Lena Dražić, Die Politik des Kritischen Komponierens. Diskursive Verflechtungen um Helmut Lachenmann, mdw Press, Wien 2024.
Dass Helmut Lachenmann heute eine herausragende Position in der Neue-Musik-Szene einnimmt, liegt nicht nur an seinen Kompositionen, sondern auch an der Wirkungsmächtigkeit seiner Schriften, die einen beträchtlichen Korpus an darauf bezogenen Texten angeregt haben. Um die Schriften und die darum kreisenden Diskurse geht es der Autorin, wobei insbesondere jene Segmente ins Auge gefasst wurden, die mit der Tendenz des „Kritischen Komponierens“ zu tun haben. Das Kritische richte sich dabei „auf die Behandlung des musikalischen Materials ebenso wie auf die soziokulturellen Bedingungen der Musikproduktion und jene der Rezeption“. Namentlich wird diese kompositorische Tendenz vor allem mit Theodor W. Adorno, Luigi Nono, Helmut Lachenmann, Nicolaus A. Huber, Mathias Spahlinger und Claus-Steffen Mahnkopf verbunden; damit ergibt sich ein Zeitraum von etwa einem Jahrhundert als Längsschnitt für den damit verbundenen Diskursstrang. Dražić geht aber noch darüber hinaus, indem sie zu Recht auf dessen tiefe Verwurzelung im (deutschen) 19. Jahrhundert verweist. Zu denken ist an den Deutschen Idealismus, an Heroengeschichte, Kanonbildung als Ausdruck bürgerlicher Ästhetik und Moral und an einen emphatischen Werkbegriff, verknüpft mit dem Konzept absoluter/autonomer Musik. Die parallel dazu entstandene deutsche Musikwissenschaft hat darauf aufbauend, bewusst oder unbewusst gelenkt nicht zuletzt auch durch nationale Ideologien, eine auf Hegemonie ausgerichtete Erzählung aufgebaut, die immer auch zur Abwertung bzw. Marginalisierung dessen geführt hat, was dem nicht entspricht.
Während nicht wenige wissenschaftliche Arbeiten zu diesem Bereich eine nicht zu übersehende befürwortende oder kritisch-ablehnende Haltung einnehmen, ist Dražićs Darstellung keineswegs tendenziös, sondern durch einen breiten Horizont gekennzeichnet, aufbauend auf einem sehr überzeugend eingesetzten theoretischen Werkzeugkasten (diskursanalytische Konzepte, Kontextanalyse, Beschreibungsmodelle sozialer Einheiten). Dabei geht sie von einem breiten Politikbegriff aus, der jede Form der Aushandlung von Machtprozessen inkludiert. Als analytische Kategorie wird der Politikbegriff daher nicht nur für explizite politische Fragen verwendet, sondern auch „zur Untersuchung der an der Praktik des Kritischen Komponierens geknüpften gesellschaftlichen Wirkungsabsicht“ und den impliziten, oft unhinterfragten, „gesellschaftstheoretischen Annahmen der Akteur_innen“. Fazit: ein sehr empfehlenswertes Buch!