In einer Filmbranche, die sich von Krise zu Krise zu retten vermag, und deren Magie systematisch und schichtweise abgetragen wird, hat der Originalton eine immer schwindendere Rolle zu spielen. Denn der Originalton hat sich vom Filmemachen abgespalten und ist ein seltsames Beipackprodukt der Filmindustrie geworden. Seine rhetorische Wertschätzung dient lediglich dazu, die Tonleute zu motivieren, überhaupt mitzumachen. Wer hat schon Lust, ein notwendiges Übel zu sein? Die Tonmeister_innen, die meistens aus dem Nebenraum mitwirken dürfen, sind zu Tonspurenverwalter_innen degradiert worden. Sie leben schizophren im Vorraum der Postproduktion, der sie zugeordnet sind, und haben den Bezug zum Drehort nicht nur räumlich, sondern auch energetisch verloren. Mit der Entfaltung der KI hat dieser Prozess an Geschwindigkeit gewonnen. Der Tonmensch wird überflüssig … Es reicht schon ein Mikrofon auf der Kamera, oder das Anbringen eines Kästchens, das den Klang direkt an der Quelle einfängt.

Zum Glück ist in dieser Dystopie die erlösende Utopie angelegt. Eine Kontrapunkt-Welt, die es neu zu erfinden gilt … Denn es werden Räume frei, neue Bewegungen entstehen, die eine vom Originalton getriebene Gestaltung hervorrufen, wo die Tonmenschen wieder in das Geschehen eingeladen werden. Und zwar mitten ins Set.

Diese neue Welt, ist die der „funambules du son direct“, der Seiltänzer_innen des Filmtons.

Ein Schritt zurück. Worum geht es eigentlich beim O-Ton?

Per se ist der O-Ton eines Filmes, „der Ton“, der an Ort und Stelle – manchmal unwiederholbar – meist authentisch eingefangen wird. Und dies ist eine – überraschenderweise – hochkomplexe Angelegenheit. Es geht hier nicht nur darum, welche Tools verwendet werden, welche Klänge erzeugt und benötigt werden, in welcher Akustik diese entstehen sollen, welcher (noch zu schreibende) audiovisuellen Partitur diese dient oder steuert, und letztendlich welche Geschichte audiovisuell überhaupt erzählt werden soll … Es geht um all das, zusammen und gleichzeitig. Auf jeder dieser Ebenen geht es um Qualitäten, die Entscheidungen und Bewusstsein benötigen – von Tonmenschen.

Auch wenn ihre Arme in der Luft hängen, sind sie keine Luftmenschen, denn zentriert und geerdet haben sie ihre Füße auf dem Boden. Aber dieser ist für sie sehr filigran; jede Ebene, in der sie sich bewegen, ist es, und diese Ebenen sind vielfältig und ineinander verflochten. Somit bewegen sich diese Seiltänzer_innen in einem Multiversum, in dem sie nur sein können (und dürfen), wenn sie Achtsamkeit und Geschicklichkeit meisterhaft beherrschen.

Was heißt das de facto?

Diese Tonmenschen beherrschen das Schwingen eines microfonierten Booms. Den Bewegungen und Emotionen der Darsteller_innen und der Geschichte folgend, nehmen sie die Klänge auf; die sie wie „time-space sculptors“ (Bildhauer ist hier einfach das unpassende Wort) in Raum- und Zeitqualitäten gestalten. Dabei wird auf die wechselnden Perspektiven der Kamera(s), die wechselnde, oft ferngesteuerte, Lichtgestaltung im Rahmen der räumlichen Gegebenheiten geachtet. Wie bei einem Parcours oder Hürdenlauf auf mehreren Ebenen.

Mit der Feinfühligkeit von Hellsehenden, Hellhörenden und Hellfühlenden, sehen sie voraus, welche Schwankungen in den Energiefeldern des Geschehens entstehen; welche unerwarteten Sätze jetzt doch noch kommen, welche neuen Blickrichtungen, die sie nicht kreuzen dürfen, entstehen werden.

Resilienz, Flexibilität und Kreativität entstehen durch psychophysiologische Kohärenz. Sie werden in Workshops bei der Filmakademie erkundet von Menschen, die auf allen Ebenen des Filmemachens geschult werden. Vom Drehbuchschreiben bis zur Montage.

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