Ein Festival für Marianna Martines im Juni 2025

Biegt man vom Michaelerplatz auf den Kohlmarkt ein und wendet den Blick rechts nach oben zur Hausfassade, findet sich dort ein Erinnerungsschild: Hier wohnte Pietro Metastasio. Dieser war Hofpoet und lieferte mit seinen Libretti die Textgrundlagen von Hunderten Opern und Oratorien. Auch der Jubilar des Jahres 2025, Antonio Salieri, griff zu Metastasios Texten. Damit galt Metastasio nicht nur als Instanz in Sachen Literatur, sondern war auch ein intellektuelles Zentrum Wiens im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts. So verwundert es nicht, dass just in diesem Haus alles ein- und ausging, was künstlerisch und intellektuell Rang und Namen hatte. Man kam regelmäßig, war eingeladen oder brachte Empfehlungsschreiben mit, hoffte auf interessante Begegnungen mit anderen Zeitgenoss_innen, unterhielt sich, tauschte Neuigkeiten aus, diskutierte literarische und musikalische Anliegen – und hörte Musik.

Marianna Martines, Anton von Maron, ca. 1780 © Wikimediacommons

Zeichnet man auf diese Weise die umtriebigen Räume im sogenannten Großen Michaelerhaus, lässt man – zumindest ab den 1760er-Jahren – Wesentliches aus: 1744 wurde in diesem Haus die Wiener Cembalistin, Sängerin und Komponistin Marianna Martines geboren. Sie wuchs hier auf, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass man sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als neugieriges, musikalisch hochbegabtes Mädchen keinen besseren Ort hätte wünschen können: Metastasio war mit Vater Martines eng befreundet, lebte in dessen kinderreichem Haushalt und widmete sich der intellektuellen und künstlerischen Erziehung aller Martines-Kinder. Auf diese Weise legte der Hofdichter die Grundlagen für Mehrsprachigkeit und Literatur – Mariannas ältester Bruder Joseph brachte es damit bis in leitende Funktionen in der Hofbibliothek. Darüber hinaus aber war das Große Michaelerhaus ein von Musik vibrierendes Haus: Ganz oben lebte die Musikerfamilie Spangler (bzw. Spängler), zeitweise residierten und arbeiteten Nicola Porpora und Giuseppe Bonno im gleichen Haus. Und der junge Joseph Haydn war in den frühen 1750er-Jahren als Mitbewohner zugleich Musiklehrer und Korrepetitor für alles, was sich musikalisch im Hause abspielte. Das freilich war viel: Sängerinnen und Sänger wurden ausgebildet, im Salon Metastasios wurde Musik aufgeführt, durchreisende Gäste, darunter Leopold und Wolfgang Mozart und Charles Burney, ließen es sich nicht nehmen, mit dem Hofpoeten über wichtige Entwicklungen in der Musik zu diskutieren und dabei selbst Musik zu spielen und zu hören. Und mittendrin: Marianna Martines. Sie wuchs buchstäblich in Musik auf. Und ihre Begabung wurde nicht ignoriert. Im Gegenteil: Sie wurde gefördert, ausgebildet und konnte die großen Räume der Wohnung am Kohlmarkt für sich als Bühne nutzen. Charles Burney, englischer Musiker und Musikgelehrte, der auf seiner großen Europareise auch Wien besuchte, gibt dazu eine anschauliche Beschreibung des Salons im Großen Michaelerhaus, in dem ihn „der große Dichter […] sehr höflich [empfing] und […] auf einem Sofa neben sich niedersetzen“ ließ. Wie üblich wurden Briefe und Empfehlungsschreiben ausgetauscht und über gemeinsame Bekannte gesprochen. „Hierauf war das Gespräch allgemein und vermischt, bis zur Ankunft eines jungen Frauenzimmers, welches von der ganzen Gesellschaft mit großer Ehrerbietung empfangen wurde. […] Es war Mademoiselle Martinez, eine Schwester des Herrn Martinez, Unterbibliothekar an der Kaiserlichen Bibliothek, dessen Vater ein vieljähriger Freund des Metastasio gewesen. […] Nach den großen Lobsprüchen, welche der Abbate Taruffi den Talenten dieses Frauenzimmers beilegte, war ich sehr neugierig, mit ihr zu sprechen und sie zu hören; und Metastasio war so verbindlich, ihr vorzuschlagen, sie möchte sich zum Flügel setzen, welches sie denn auch augenblicklich tat, ohne sich lange nötigen zu lassen oder mit falscher Bescheidenheit zu prahlen. Sie übertraf wirklich noch die Erwartungen, die man mir von ihr beigebracht hatte.“ Burney kam noch mehrmals zu Metastasio, um Martines zu hören. Er schätzte ihre Kompositionen außerordentlich und ließ sich, als er Wien verließ, einige davon abschreiben. Und: Er blieb noch lange nach Metastasios Tod mit Marianna Martines im Briefkontakt. Dass sie fließend Englisch sprach, erleichterte die Konversation. Doch was hörte Burney im Großen Michaelerhaus? Martines hatte bereits vieles komponiert: Musik für die benachbarte Kirche St. Michael – Messen, mehrere Litaneien und Miserere –, Vokalmusik in metastasianischem Stil – darunter Kantaten, Oratorien, Arien – und nicht zuletzt Musik für ihr Hauptinstrument, das Cembalo. Sonaten und Cembalo-Konzerte schrieb Martines sich selbst in die Finger. Burney attestierte ihr höchst virtuose Fingerfertigkeit: „Sie sang zwo Arien von ihrer eignen Komposition, über Worte von Metastasio, wozu sie sich selbst auf dem Flügel accompagnirte, und zwar auf eine wohlverstandne meisterhafte Manier; und aus der Art, wie sie die Ritornelle spielte, konnte ich urtheilen, daß sie sehr fertige Finger hätte.“

Obwohl Martines internationale Anerkennung erfuhr – 1773 wurde sie in die Accademia Filarmonica di Bologna aufgenommen und in den 1760er-Jahren erschienen Cembalo-Sonaten von ihr in dem Nürnberger Verlagshaus von Johann Ulrich Haffner – waren ihre Kompositionen genau für jene Räume geschrieben, in denen sie Zeit ihres Lebens erklangen: für die Kirche St. Michael und für die Räume jener musikalischen Geselligkeiten in Wien, wie sie auch im Großen Michaelerhaus stattfanden. Und so ist es ein Glücksfall, dass Martines’ Musik dorthin wieder zurückkehrt: Am 16. und 17. Juni 2025 wird ein Festival für Marianna Martines in der Pfarre St. Michael stattfinden.

Das Festival umfasst ein Konzert, u. a. mit Cembalo-Konzerten von Marianna Martines, die zeitgleich in einer neuen, kritischen Edition in der Reihe Denkmäler der Tonkunst in Österreich (DTÖ, Hollitzer Verlag Wien) erscheinen. In dieser traditionsreichen Reihe werden zudem Martines’ Messen herauskommen. Im Rahmen eines eintägigen Symposiums werden diese Editionen vorgestellt, außerdem geben Vorträge und Gespräche neue Einblicke in die Handlungsspielräume von Marianne Martines in Wien. Gerahmt wird das Festival durch Aufführungen von Martines’ Oratorium Isacco. Figura del Redentore an der Kammeroper Wien. Im Herbst 2025 folgt eine Aufführung einer ihrer Messen in der Kirche St. Michael. Das Festival gelingt durch die Kooperation mehrerer Institute der mdw – dem Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung, dem Institut für Alte Musik sowie dem Institut für Orgel, Orgelforschung und Kirchenmusik – mit dem Theater an der Wien und den Denkmälern der Tonkunst in Österreich (DTÖ). Interessierte sind herzlich eingeladen! Das detaillierte Programm wird noch bekannt gegeben: https://www.mdw.ac.at/imi/aktuelle-veranstaltungen/marianna-martines/

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