2.1 Der Komponist als Autor – eine problematische Doppelrolle



Teil I: Innenansicht

2 Lachenmann als Autor

2.1 Der Komponist als Autor – eine problematische Doppelrolle

Sind die Texte einer Komponist*in als eine Art Gebrauchsanweisung zu lesen, wie ihre Musik ›richtig‹ zu hören und zu verstehen sei? Nichts wäre verlockender, als sich den fremdartigen zeitgenössischen Klanggebilden, all den offenen Fragen und dem Fehlen von dechiffrierbaren Signifikanten nicht schutz- und orientierungslos aussetzen zu müssen in Ermangelung eines Codes, der bei der Entschlüsselung des Wortlosen assistieren könnte.1 Nun stellt die Komponist*in genau diesen Code zur Verfügung, liefert ihn frei Haus, beantwortet die Fragen und vor allem: schafft Bedeutung, füllt die Unklarheit der Zeichen mit Signifikanz. Die ›neue Musik‹ wäre ohne diese Hilfestellungen verloren, ihre Rezeptionsgeschichte unvorstellbar. Ohnedies gehört sie zu den sperrigsten unter den Künsten, deren Sinn sich den Uneingeweihten hartnäckig verschließt und die selbst geübte Ohren auf die Probe stellt, jedes Mal alle Gewissheiten fahren zu lassen und sich der Fülle an per se nicht bedeutungstra­genden Klängen ungeschützt auszuliefern.

Viele Komponist*innen empfinden das Bedürfnis, das eigene Schaffen durch wortsprachliche Untermauerung zu erklären und zu legitimieren.2 Bei diesem Unterfangen kommt – so Livine van Eecke – bis heute dem Gedankengebäude Adornos zentrale Bedeutung zu.3 Rudolf Stephan weist in einem 1970 entstandenen Text darauf hin, dass es sich bei Analysen zeitgenössischer Kompositionen »in der Regel um paraphrasierte Mitteilungen der Komponisten selbst«4 handle. War es im Umfeld der Reihentechnik noch möglich, der Schwierigkeit des Verstehens mit dem unbeholfenen Mittel einer peniblen Rekonstruktion des Kompositionsvorgangs (oder vielmehr des präkompositorischen Verfahrens, das in der Disposition von Serien, von Umstellungen und Ableitungen bestand) beizukommen – oder ihr vielmehr aus dem Weg zu gehen –,5 so macht es die postserielle Musik, in der augenscheinlich jedes Werk seinen eigenen Regeln folgt, schlechterdings unmöglich, mit einem Nachvollzug des Entstehungsakts der unergründlichen Frage nach der Beschaffenheit und dem ›Sein‹ der Musik zu entgehen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Tatsache, dass viele Komponist*innen ›neuer Musik‹ ihrem Komponieren eine ebenso reichhaltige Textproduktion an die Seite stellen, als bequemer Ausweg aus dem Dilemma einer grundsätzlichen semantischen Offenheit jeder Komposition, für die die traditionellen Parameter der Tonalität, der musikalischen Syntax und Rhetorik nicht mehr gelten. Doch ist angesichts der unhintergehbaren Differenz zwischen dem ästhetischen Medium der Musik und dem erklärenden Diskurs Vorsicht geboten. Mit welcher Textgattung haben wir es zu tun, wenn wir uns mit Komponist*innenkommentaren beschäftigen?

Zum einen ist der*die Komponist*in – in der Musik geschult – als Prosaschreibende im Regelfall Dilettant*in. So ist denn auch fraglich, ob es geboten ist, an ihre Texte hinsichtlich Kohärenz, Wissenschaftlichkeit und theoretischer Strenge dieselben Maßstäbe anzulegen wie an die Texte von Expert*innen. Zum anderen aber sagt auch eine hohe sprachliche Qualität für sich genommen noch nichts darüber aus, wie sich diese Texte zur Musik verhalten – es wäre Wunschdenken, beide als Einheit zu sehen. Bei dem verbal vermittelten Gedankengebäude einer Komponist*in, mag es noch so elaboriert sein, und ihren musikalischen Kreationen handelt es sich um zwei verschiedene Welten. Aus der Rezeption der Musik Lachenmanns ist indes das theoretische Fundament, das sich der Komponist mit seinen Texten selbst geschaffen hat, nicht wegzudenken – Jörn Peter Hiekel sieht die Texte des Komponisten »als Musterbeispiel dafür […], wie wichtig das erklärende Kommentieren von Kompositionen in der neuen Musik seit 1945 geworden ist.«6 Es ist ein müßiges Gedankenexperiment, wie die Rezeptionsgeschichte Lachenmanns verlaufen wäre, wenn wir den Begriff der ›Musique concrète instrumentale‹ oder des ›Ästhetischen Apparats‹ nicht hätten, wenn wir nicht wüssten, dass der Komponist Schönheit als Verweigerung von Gewohnheit definiert oder mit seiner Exploration ungewohnter Klangwelten auf eine Veränderung der Wahrnehmung, eine kognitive Neuorientierung zielt.

Endnoten