5.6 »Lieschen Müller beim Geschirrspülen« – die Marginalisierung des Weiblichen und die Unsichtbarkeit des Männlichen


Unterkapitel

Unterkapitel

5.6 »Lieschen Müller beim Geschirrspülen« – die Marginalisierung des Weiblichen und die Unsichtbarkeit des Männlichen
  Konstruktionen von Weiblichkeit
  Männer – das unsichtbare Geschlecht
  Sexualmetaphorik im analytischen Schreiben über Musik
  Nicht-hegemoniale Männlichkeit


Konstruktionen von Weiblichkeit

Das Kritische Komponieren ist mit dem Anspruch einer kompositorischen Kritik an gesellschaftlichen Dominanzstrukturen verbunden. Im Gefolge der Kritischen Theorie wird ihm das Potenzial zugeschrieben, herrschende Wahrnehmungsmuster zu destabilisieren, um zu Aufklärung, Emanzipation und Autonomie der Individuen beizutragen. Das Kritische Komponieren hat – so ließe sich vermuten – kein Geschlecht: Schließlich ist weder die Kritik noch das Komponieren per se weiblich oder männlich, berühren doch beide allgemein menschliche Bedürfnisse, Fähigkeiten und Probleme. Lässt sich der universalistische Anspruch des Kritischen Komponierens in Bezug auf das Geschlecht durch einen genauen Blick auf den Diskurs erhärten?

Eine mögliche Einschränkung offenbart bereits ein Blick auf die handelnden Personen: Die Komponisten, die dem Kritischen Komponieren zugerechnet werden, sind ausschließlich männlich.312 Unter den Protagonist*innen des begleitenden Diskurses stellen Frauen ebenfalls eine Minderheit dar – im analysierten Korpus betrug der Frauenanteil 11 Prozent.313 Diese Schieflage ist kein Spezifikum des Kritischen Komponierens, sondern korrespondiert mit einer mangelnden Repräsentation von Frauen, die das Feld der ›neuen Musik‹ bis in die Gegenwart prägt.

Anders stellt sich das Verhältnis der Geschlechter dar, wenn nicht die Akteur*innen, sondern deren Schriften betrachtet werden: Hier ist es nämlich – wenn überhaupt – das weibliche Geschlecht, das ausdrücklich zur Sprache kommt. In Lachenmanns Schreiben dient die Erwähnung von Frauen und Weiblichkeit nicht nur der symbolischen Darstellung von Schönheit respektive Hässlichkeit,314 sondern auch der Markierung einer Position in der sozialen Hierarchie, die ihrerseits mit bestimmten musikalischen Praktiken verbunden wird. In »Zum Problem des musikalisch Schönen heute« erklärt Lachenmann in Bezug auf den Ästhetischen Apparat, dessen Manifestationen reichten,

wenn man so will: von der Auslage einer Musikalienhandlung bis zur Ehrenkarte der Putzfrau eines Stadtrates beim Gastkonzert der Fischerchöre, von der Hohner-Mundharmonika bis zum beamteten Rundfunksinfonieorchester mit seinen vielen in Quinten gleich gestimmten Geigen und seiner einzigen Baßklarnette: Alle diese Elemente mit ihrer besonderen Hierarchie und Zuordnung, sie bilden den »ästhetischen Apparat«.315

Bei der Frage nach der Funktion, die die Thematisierung von Weiblichkeit in der Gestalt der Putzfrau hier erfüllt, muss zunächst der Textzusammenhang berücksichtigt werden: Der Abschnitt nach dem ersten Doppelpunkt ist als Anapher konzipiert, in der drei aufeinander folgende Satzelemente durch die Präpositionen ›von‹ und ›bis‹ verbunden werden. Dabei signalisiert die Wiederholung keine erschöpfende Aufzählung, sondern veranschaulicht beispielhaft die Bandbreite der Manifestationen des ästhetischen Apparats.

Sehen wir uns an, wie in dieser Auflistung die ›Putzfrau‹ situiert ist, so springt die lange und komplizierte Reihe von Ableitungen und Relationen ins Auge, die durch den doppelten Genitiv und die Präposition ›beim‹ zum Ausdruck kommt. Musikalische Praxis vollzieht sich offenbar innerhalb eines verästelten Netzwerks an Beziehungen und Abhängigkeiten, die der ›Putzfrau‹ in diesem Fall auch zu ihrer Eintrittskarte verholfen haben. Über das Bild eines Netzwerks geht die Darstellung jedoch hinaus: Das musikalische und soziale Panorama ist hierarchisch strukturiert. Dies verdeutlichen zum einen die dargestellten Musikkulturen: Das ›Gastkonzert der Fischerchöre‹ repräsentiert mit der Volkskultur ein laienhaftes Musizieren, bei dem die soziale Komponente möglicherweise wichtiger ist als die musikalische Qualität. Durch die Gegenüberstellung mit dem ›beamteten Rundfunksinfonieorchester‹ wird diese Musikkultur klar in einer sozialen Hierarchie verortet, deren implizite Bewertung durch den Autor jedoch ambivalent ausfällt: Auch wenn anzunehmen ist, dass es sich bei den Fischerchören um ein musikalisches Universum handelt, das der von Lachenmann favorisierten Kunstmusik ästhetisch denkbar fernsteht, wird im Bild der beamteten Orchestermusiker*innen mit dem für das klassisch-romantische Repertoire typischen Instrumentalaufgebot auch die bürgerliche Institutionalisierung und Normierung der Kunstmusik problematisiert.

Zum anderen entspricht der Hierarchisierung der Musikkulturen der niedere Sozialstatus der ›Putzfrau‹, wobei die Gegenüberstellung mit dem ›Stadtrat‹ das soziale Gefälle besonders anschaulich hervorhebt. Zudem ist die Reinigungstätigkeit dem Bereich der Reproduktionsarbeit316 zuzurechnen, deren ökonomische und soziale Bewertung unter jener der produktiven Arbeit liegt. Dazu kommt, dass es sich bei reproduktiven Tätigkeiten insgesamt um eine weiblich konnotierte Berufssphäre handelt, wodurch der Status der Protagonistin nochmals niedriger erscheint, als wenn etwa vom Assistenten des Stadtrats die Rede gewesen wäre: Klasse und Geschlecht verstärken einander im intersektionalen Sinn.317 Weiblichkeit steht hier also für eine Musikpraxis, die nicht nur mit einer untergeordneten Position im sozialen Gefüge in Verbindung gebracht wird, sondern im Kontext von Lachenmanns Texten auch einen ästhetisch minderwertigen Musikkonsum repräsentiert.

Auch in anderen Texten Lachenmanns tritt Geschlecht – konkret wiederum in Form des Weiblichen – in Verbindung mit weiteren Differenzachsen auf. In seinem 1976 verfassten Statement »Über Tradition« unterscheidet Lachenmann zwei Formen musikalischer Tradition: Einerseits steht der Begriff für den scheinhaften Bezug zu einer fetischisierten Vergangenheit, die durch den bürgerlichen Kulturbetrieb ausgebeutet und künstlich am Leben erhalten wird. Andererseits erlaubt Tradition ein Anknüpfen gerade an solche schöpferischen Positionen, die sich gegen diese erstarrten Konventionen behauptet haben – Lachenmann spricht von einer »laten­ten«318 im Gegensatz zur »öffentlichen Tradition«319. Seine Musique concrète instrumentale positioniert der Komponist als Alternative zu einer regressiven Flucht in die Tonalität, welche die »gemeinsame Verständigungsbasis«320 im Gegensatz zu jener aber nicht »rückwärts«321, sondern »seitwärts«322 suche: im Außerästhetischen des Alltags, dessen Zusammenhänge dem Instrumentalklang als ›Aura‹ nolens volens anhaften würden und vom Komponisten bewusst zu reflektieren seien.323 Mit dieser positiven Bezugnahme auf den Alltag distanziert sich Lachenmann vom struktur­basierten Reinheitsstreben der seriellen Avantgarde.

Unter dem Eindruck der Schriften György Lukács’ bezieht Lachenmann im Sinn einer materialistischen Ästhetik die materielle Welt und die Welt der Arbeit bzw. der Produktionsverhältnisse in die ästhetische Erfahrung mit ein. Auch wenn er das Werk also für die Assoziationsräume des Alltags öffnen möchte, steht er einem alltäglichen Musikkonsum kritisch gegenüber:

Insofern die Erfahrung des Alltags durch die darin wirkenden Medien ihrerseits ästhetisch durchsetzt ist, stoße ich dort erneut mit der Tradition zusammen und erfahre sie, diesmal ihrer alten Würde doppelt entfremdet, als das Objekt einer sinnlos in Anspruch genommenen Dienstleistung für Lieschen Müller beim Geschirrspülen.324

Im Gegensatz zur Radikalisierung ›rein‹ ästhetischer Erfahrungen durch ihre lebens­weltliche Konkretion in der Musique concrète instrumentale erscheint der Alltag in diesem Fall als Ort eines kulturindustriell vorgeformten Musikkonsums, der die Tradition zu Zwecken der Zurichtung und Verdrängung missbraucht. Die Tradition wird dabei »ihrer alten Würde doppelt entfremdet«, weil sich zu ihrer Verdinglichung im bürgerlichen Konzertbetrieb noch das medial vermittelte Musikhören gesellt – eine Situation, die ein strukturelles Erfassen des Sinnzusammenhangs unmöglich macht. Diese defizitäre Musikerfahrung vollzieht sich dabei nicht anonym – während in Lachenmanns Texten meist ein nicht näher spezifizierter idealer Hörer in Erscheinung tritt, wird das hörende Subjekt hier sogar namentlich genannt. Wer aber ist Lieschen Müller, und warum konsumiert sie die von Lachenmann geschmähte ›sinnlos in Anspruch genommene Dienstleistung‹ ausgerechnet beim Geschirrspülen?325

Der Name ›Lieschen Müller‹ steht spätestens seit dem Spielfilm Der Traum von Lieschen Müller aus dem Jahr 1961 als weibliches Gegenstück zu ›Otto Normal­verbraucher‹ emblematisch für die Durchschnittsbürgerin.326 Dementsprechend steht der Name auch hier für keine reale Person, sondern wiederum für eine fiktive Hörer*in – sie repräsentiert dabei aber gerade nicht die ideale Hörende, sondern vielmehr deren Gegenteil. Sie hört abwesend, abgelenkt, vermutlich zur Zerstreuung und Berieselung, ohne wirklich zuzuhören. Abgelenkt ist Lieschen Müller, weil sie Geschirr wäscht, also arbeitet. Wie schon bei der Putzfrau des Stadtrats dient auch hier die Zuschreibung des weiblichen Geschlechts dazu, den niedrigen Status der geschilderten Rezeptions­form hervorzuheben. Und wiederum wird ein Zusammenhang zum Feld der (weiblich konnotierten) Reproduktionsarbeit hergestellt, die im kapitalistischen Bewertungs­system die unterste Stufe einnimmt. Im Gegensatz zu Lieschen Müller tritt deren Gegenpol – jener ideale Hörer, der die Musik kontemplativ im Konzertrahmen rezipiert – bei Lachenmann stets namenlos und in grammatisch männlicher Form auf. Bedeutet das, dass diese Hörerkategorie tatsächlich als ›männlich‹ konzipiert wird? Die konventionelle Verwendung des generischen Maskulinums ließe vermuten, dass ›der Hörer‹ trotz des männlichen Genus als universell intendiert ist. Sein Gegenbild, das für die alltägliche, zerstreute Rezeption steht, wird allerdings zweifach – in Bezug auf Geschlecht und sozialen Status – markiert. Dies wirft die Frage auf, welche gesellschaftlichen Gruppen das vorgeblich Allgemeine in Gestalt von Lachenmanns ›Hörer‹ tatsächlich repräsentiert.327

Die Lesart, dass lediglich Männer zu kontemplativem Hören befähigt sind, während Frauen nicht nur an den Herd bzw. die Abwasch, sondern auch an niedere Formen des Musikkonsums ›gefesselt‹ sind, wäre wohl eine Überinterpretation. In dem gesellschaftlichen Diskurs, in den der Text sich einschreibt, sind Männer allerdings mit dem Intellekt verbunden, während Frauen für das Körperliche stehen (was allerdings durch den ›körperlichen‹ Charakter der Klänge in der Musique concrète instrumentale konterkariert wird). Während Kreativität männlich konnotiert ist, wird Frauen der reproduktive Sektor übertragen (sie bleiben – mit Simone de Beauvoir gesprochen – der Immanenz verhaftet)328. Diese Dichotomien, deren Entstehen im bürgerlichen 19. Jahrhundert Karin Hausen herausgearbeitet und deren weitreichende Auswirkungen auf den musikalischen Kanon Melanie Unseld beschrieben hat,329 wurden von dekonstruktivistisch ausgerichteten Forschenden innerhalb der Gender Studies mitunter als inhärent ›gegendert‹ interpretiert. In dieser Sichtweise gibt es keine binäre Opposition – sei es die zwischen Natur und Kultur oder jene von Vernunft und Gefühl, die von Tugend und Sünde oder jene zwischen Aktivität und Passivität –, der die ›Ur-Dichotomie‹ Gender, verstanden als soziokulturell konstruierte Ge­schlechts­identität, nicht eingeschrieben ist.330 Doch auch abseits dieser Extremposition ist bei Lachenmann der Zusammenhang einer minderwertigen, da geistfernen Rezeption mit körperlicher Arbeit und Weiblichkeit, aus dem sich ex negativo die wünschenswerte – nämlich intellektuelle und männliche – Rezeption ableiten lässt, schwer von der Hand zu weisen.

Männer – das unsichtbare Geschlecht

Während Frauen bzw. Weiblichkeit im Diskurs um Lachenmann zumindest an einigen wenigen Stellen explizit genannt werden, werden Männer und Männlichkeit noch seltener ausdrücklich zum Thema gemacht. Freilich stehen alle Personenbezeichnungen stets in der männlichen Form, doch gehört das Maskulinum wie erwähnt zum herrschenden Gebrauch der deutschen Sprache und repräsentiert, zumindest seinem Anspruch nach, alle Menschen in gleicher Weise. Spielt Männlichkeit – oder Geschlecht im Allgemeinen – im Diskurs um Lachenmann also schlicht keine Rolle? Michael Meuser und Sylka Scholz schreiben mit Verweis auf Georg Simmel, der Erfolg der männlichen Herrschaft lasse sich gerade daran ermessen, dass sie sich als Herrschaft unsichtbar mache, indem sie das Männliche zum Allgemein-Menschlichen erhebe.331 Raewyn Connell hat das Konzept der hegemonialen Männlichkeit geprägt, dem zufolge das Männliche als »der nicht markierte Begriff, der Ort symbolischer Autorität«332 erscheint. Wenn im hier behandelten Diskurs also von ›dem Hörer‹ oder ›dem Menschen‹ die Rede ist, werden diese Aussagen zwar mit dem Anspruch auf universelle Gültigkeit verbunden. Tatsächlich verallgemeinern die Diskursteilnehmer jedoch – möglicher­weise unbewusst – einen partikularen, männlichen Standpunkt. Dass diese Verall­gemeinerung als akzeptabel erscheint, unterstreicht den normativen Charakter von Männlichkeit in der westlichen Gesellschaft. Während Frauen und Weiblichkeit spezifische Aspekte des Humanen repräsentieren, wird Männlichkeit in der Sprache unsichtbar gemacht, indem sie ihre Spezifik im Allgemein-Menschlichen verbirgt.

Wer den Diskurs um Lachenmann daraufhin analysiert, welche moralischen und charakterlichen Eigenschaften als unvorteilhaft, unerwünscht oder bedrohlich gezeichnet werden, stößt schnell auf das Begriffsfeld von Behaglichkeit, Gemütlichkeit und Bequemlichkeit. Josef Häusler zufolge haben

viele der Äußerungen Helmut Lachenmanns etwas vom Appell an sich: vom Appell dessen, der das eigentliche Ethos von Kunst durch Bequemlichkeit, mangelnde Reflexion, oberflächliche Libertinage, Vermarktung und Vermassung gefährdet, bisweilen gar verraten sieht.333

Tatsächlich finden sich für diese Beobachtung zahlreiche Belege in Lachenmanns Texten. So kritisiert dieser 2010 in einer Radiosendung die Neigung des E-Musik-Publikums, Musik als eine »gemütliche warme Badewanne«334 zu verstehen, »in der man sich aalt, erholt oder suhlt.«335 Andernorts stößt sich Lachenmann an »gedankenloser Affekt-Behaglichkeit«336, einer »ästhetischen Bequemlichkeits- und Geborgenheitsideologie«337 oder der »bürgerlich-bequemen Avantgarde«338 und geißelt die Bequemlichkeit von »Querfeldeinwegen«339 ebenso wie jene »unserer kulturbeflissenen Gesellschaft«340, »den bequemen Hörer«341 genauso wie ein »bequemes Verharren in ästhetizistischen Scheinproblemen«342 oder den »Ungeist eines bequemen und eher gastronomisch motivierten Kulturbetriebs«343.

Ob von Bequemlichkeit, Behaglichkeit oder wie bei Häusler von »oberflächlicher Libertinage« die Rede ist – die damit umschriebene Haltung ist eindeutig negativ besetzt. Diese Darstellung lässt an Max Webers Konfrontation des »triebhaften Lebensgenusses«344 und der »Fleischeslust« mit der »puritanischen Berufsaskese«345 und »rationaler Lebensführung«346 denken. In »Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« überträgt Weber das Ethos eines (ideellen) asketischen Protestantismus auf die Rationalität der modernen bürgerlichen Berufsethik, die auf eine systematische Disziplinierung der Lebensweise hinaus­läuft.347 Weber beschreibt das »Heldentum«348, zu welchem »bürgerliche Klassen«349 die Kultivierung einer »puritanische[n] Tyrannei«350 gesteigert hätten, und spricht von der »nüchterne[n] Berufstugend«351 und der »strikten Ausscheidung des Erotischen«352 aus dem Puritanismus.

Bei dem Pastorensohn Lachenmann lässt sich in Ergänzung des Feindbilds ›Bequemlichkeit‹ durchaus ein Echo von Webers ›protestantischer Ethik‹ vernehmen – ein Ethos der Unnachgiebigkeit, Redlichkeit und Mäßigung und die Ablehnung von Verweichlichung, Nachgiebigkeit, Laxheit und Passivität. Zugleich trifft Lachenmanns Aversion gegen Bequemlichkeit auch Eigenschaften wie Weichheit, Schwäche oder Kraftlosigkeit. Ian Biddle und Kirsten Gibson identifizieren in Masculinity and Western Musical Practice Qualitäten wie »uprightness, steadfastness, fastidiousness, rigour«353 als zentrale Facetten bürgerlicher Männlichkeit an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, während dem Weiblichen Eigenschaften wie »softness, indulgence, capriciousness, dilettantism«354 zugeschrieben worden seien. Dabei werde ein männliches Ethos festgeschrieben und von als destabilisierend dargestellten Tendenzen der Verweichlichung und Verweiblichung abgegrenzt, wobei viele dieser Zuschreibungen bis heute wirksam seien.355 In diesem Licht besehen erscheint Lachenmanns Rüge der »Bequemlichkeit ästhetischer Gewohnheiten«356 oder der »Übermacht der Trägheit«357 als Abgrenzung gegenüber vermeintlichen Schwächen, die weiblich konnotiert sind.

Bei Weber erhält die Gegenüberstellung von Körper und Geist in Form der Trennung von Haushalt und Betrieb aber auch eine ökonomische Dimension: Die Abspaltung des unternehmerischen Betriebs von der Haushaltsführung ist eine der Grundvoraussetzungen des Kapitalismus und des okzidentalen Rationalismus in seiner Gesamtheit.358 Wie Gertraude Krell hervorhebt, ist diese Ausdifferenzierung mit einer geschlechtlichen Arbeitsteilung verbunden: Während der Mann den Part des Versorgers und Familienoberhaupts übernimmt und über den Betrieb, das rationale Prinzip und die öffentliche Sphäre gebietet, wird der Frau der private Bereich von Haus und Familie übertragen.359 Diese Trennung bildet möglicherweise die historische Voraussetzung für die Herausbildung des Konzepts ästhetischer Autonomie: Bourdieu zufolge erfordert der ästhetische Blick eine Distanz gegenüber den ökonomischen und materiellen Erfordernissen des Alltags, die an eine privilegierte Position im sozialen Gefüge gebunden ist.360 Diese Distanzierung, die mit der Delegierung gesellschaftlich notwendiger Arbeit einhergeht, lässt sich über den von Bourdieu thematisierten Klassenaspekt um die Kategorien Geschlecht und Ethnizität intersektional erweitern: Nur, wenn dominierte gesellschaft­liche Gruppen, bei denen es sich je nach historischem Zeitpunkt vermehrt um Frauen, Arbeiter*innen oder Migrant*innen handelt, zur Verrichtung reproduktiver und körperlicher Arbeiten herangezogen werden, kann das vorzugsweise weiße, männliche und bürgerliche Individuum eine adäquate Haltung zur Rezeption autonomer Kunst ausbilden.361

In der Tradition marxistischer und materialistischer Posi­tionen hat Lachenmann die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Verhältnisse in sein ästhetisches Denken mit einbezogen. Dabei ist insbesondere die Musique concrète instrumentale mit dem Anspruch verbunden, die ökonomische Basis in Gestalt der Produktionsverhältnisse im ästhetischen Gebilde wider­zuspiegeln. Der idealistische Geist-Körper-Dualismus soll überwunden werden, indem die materiellen Voraussetzungen der Klangerzeugung und die Arbeit, die zur Hervorbringung von Klängen verrichtet werden muss, im ästhetischen Resultat hörbar werden.

Sexualmetaphorik im analytischen Schreiben über Musik

1986 formuliert Lachenmann in »Über das Komponieren« drei »Grund­beobachtungen«362, deren dritte lautet: »Komponieren heißt: nicht sich gehen, sondern sich kommen lassen.«363 Damit ist in erster Linie ein ergebnisoffener Zugang zum musikalischen Schaffensprozess gemeint, der nicht von vorgefassten Konzepten ausgeht, sondern Raum für unbewusste und triebhafte Impulse sowie für unvorhergesehene Entwicklungen lässt. Lachenmann hat aber auch

keine Scheu vor dem erotischen Aspekt dieser Formulierung. Denn die Begegnung zwischen kreativem Willen und klingender Materie, was ist sie anderes als eine Begegnung, wie kompliziert auch immer, mit dem, was man liebt: geprägt von Faszination, Leidenschaft, gegenseitigem Durchdringen, Glück, Verzweiflung und, mit all dem verbunden, von existentieller Neuerfahrung des eigenen Selbst.364

Das bereits in den vorigen Beispielen präsente Denken in Dichotomien wird auch hier offenbar: Das Bild vom schöpferischen Geist des (männlichen) Komponisten, der die klingende Materie ›durchdringt‹ – an anderer Stelle spricht Lachenmann von einer »Jungfräulichkeit des Klangs«365 –, rekurriert auf die binäre Opposition von Geist und Körper, die hier in Verbindung mit dem Gegensatzpaar ›aktiv–passiv‹ patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit reproduziert.

Marion A. Guck hat darauf hingewiesen, dass das scheinbar unpersönliche Gebiet der musikalischen Analyse mitnichten neutral ist, sondern notwendigerweise die persönliche Betroffenheit der Theoretiker*in zum Ausdruck bringt, wobei sich technisches Vokabular mit der Sprache des täglichen Gebrauchs vermischt.366 Wie Fred Everett Maus und Danielle Sofer argumentieren, sind Gender und Sexualität dem analytischen Sprechen nicht äußerlich, sondern genuine Bestandteile des musikanalytischen Diskurses.367 Dieser Befund lässt sich durch den hier analysierten Diskurs bestätigen. So bringen neben Lachenmann selbst auch andere (männliche) Autoren bei der Beschreibung von Lachenmanns Musik sexuelle Metaphorik zum Einsatz. Yuval Shaked etwa meint in Kompositionen Lachenmanns »Momente des Orgasmus«368 zu erkennen. Sie würden den Komponisten, »weil er die damit verbundene Ohnmacht und Impotenz erkennt, [veranlassen,] einen Ausbruch aus der Nutzlosigkeit zu suchen.«369 In Shakeds Analyse von Mouvement (– vor der Erstarrung) ist weiters von »sehr schnellen Impulsen« die Rede, »die das nächste Stadium schwängern.«370 Die Subjektposition, in der sich der Analytiker dem Komponisten verbunden weiß, indem er diesem ein ›Schwängern‹ der Musik unterstellt, ist selbstverständlich eine männliche – Frauen kommen dabei als Subjekte nicht in Betracht. Nun ist die Verwendung von Sexualmetaphorik im analytischen Sprechen über Musik kein männliches Vorrecht – Susan McClary hat einen Gutteil des Repertoires europäischer Kunstmusik seit dem 18. Jahrhundert als elaborierte Darstellung von Verzögerung und letztendlichem Eintreten des männlichen Orgasmus beschrieben. Worauf McClary mit ihrer feministischen Kritik abzielt, ist allerdings nicht die hypothetische Sexualisierung der Musik, sondern das durch kulturelle Verschiebungen bewirkte Verdrängen des Weiblichen und der eindrucksvolle Siegeszug dessen, was sie als phallisches Prinzip definiert.371 Ähnlich ist im Sprechen über die Musik Lachenmanns nicht die Verwendung sexueller Metaphorik an sich bemerkenswert, sondern die maskuline Norm, die darin zum Ausdruck kommt.

Nicht-hegemoniale Männlichkeit

Raewyn Connell hat neben der ›hegemonialen‹ auch andere Formen von Männlichkeit beschrieben, die auf unterschiedliche Weise von dieser Norm divergieren.372 Biddle und Gibson heben in diesem Zusammenhang insbesondere jene Männlichkeiten hervor, die sie als »creative masculinities«373 bezeichnen. So schildern sie am Beispiel des Episodenfilms Die zweite Heimat. Chronik einer Jugend374 von Edgar Reitz anhand des jungen Komponisten Hermann eine alternative Männlichkeit im Kontext der Boheme der westdeutschen 1960er-Jahre, die sich von traditionellen, patriarchal geprägten Formen der Maskulinität durch ihre Affinität zur Musik und ihren Protest gegenüber der ›alten Ordnung‹ abhebt.375 In Music, Masculinity and the Claims of History schildert Biddle die Konstruktion eines devianten jüdischen Männerkörpers in den deutschsprachigen Metropolen des Fin de Siècle, den der herrschende Diskurs mit Intellektualität, Homosexualität und Kreativität in Verbindung gebracht habe.376 Dieser Lesart zufolge ist künstlerische Männlichkeit also immer schon ›in Gefahr‹. Ähnlich argumentiert Maus, dass es sich bei der Männlichkeit von Musikern um eine unsichere und kompromittierte Form des Maskulinen handle, dass wir es also bei Musikern mit Menschen zu tun hätten, die nicht einfach nur Männer sind.377

Auch in den Texten Lachenmanns lassen sich Anzeichen für eine derartige nicht-hegemoniale Männlichkeit finden. So divergieren die Aussagen des Komponisten in manchen Punkten von dem Objektivitätsstreben im Musikschrifttum des späten 20. Jahrhunderts, welches Guck zufolge traditionell mit Männlichkeit assoziiert wird.378 In seiner Kritik am Reinheitsstreben der seriellen Musik, seiner Zurückweisung des Geist-Körper-Dualismus und dem Wunsch, die körperliche Komponente der Klangerzeugung in seine Musik zu integrieren, weicht Lachenmann von jener Norm des Rationalen ab, die Connell unter dem Schlagwort »Männer von Vernunft«379 thematisiert.380 Auch die auf S. 2 thematisierte sexuelle Konnotation des ›Sich-kommen-Lassens‹ ist ambivalent: Einerseits setzt sie den Komponisten als sexuell aktiv Handelnden in Szene und den Geist-Körper-Dualismus wieder in Kraft – ganz davon abgesehen, dass sich eine weibliche Komponierende mit dem expliziten Rekurs auf die eigene Sexualität unter den gegenwärtigen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern der Gefahr der Objektivierung aussetzen würde. Zugleich impliziert der suchende Gestus der damit gemeinten Haltung und die angesprochene Gegenseitigkeit des Durchdringens und Durchdrungen-Werdens von Komponist und Musik aber auch einen Kontrollverlust und eine Form der Unsicherheit und Passivität, die der Vorstellung hegemonialer Männlichkeit widerspricht.

Nachdem sich der erste Hauptteil dieses Buches vornehmlich mit der politischen Wirkungsabsicht des Kritischen Komponierens befasste, ging es in diesem zweiten Teil um jene »hinter dem Rücken der Subjekte«381 verborgenen Diskursschichten, in denen sich implizite gesellschaftstheoretische Annahmen der Akteur*innen manifestieren. Der provokative Begriff der ›bürgerlichen Ideologie‹ wurde gezielt eingesetzt, um solche Relikte der europäischen Musiktradition des 19. Jahrhunderts zu kennzeichnen, die im Diskurs um das Kritische Komponieren ihren Widerhall finden.

Nach einer Auseinandersetzung mit der Figur des ›Hörers‹ in den Schriften von und über Lachenmann, die im Sinne der Rezeptionstheorie als Anthropomorphisierung normativer Forderungen an die Hörenden gelesen werden kann, wurde das Kunstverständnis des Kritischen Komponierens auf Überreste des deutschen Idealismus untersucht. Ebenfalls auf das 19. Jahrhundert zurückgeführt wurde das Changieren zwischen Fortschritt und Reaktion, wie es in Lachenmanns Festhalten an ›Handwerk und Metier‹, geschlossenem Kunstwerk oder Elementen einer konservativen Kulturkritik zum Ausdruck kommt.

Eine weitere Ambivalenz betrifft das Begriffspaar von Egalität und Elitendenken: Während Lachenmann einerseits die Vorzüge eines laienhaften Musikhörens hervorhebt, betont er zugleich die Einzigartigkeit von Kunstmusik gegenüber der ›billigen Magie‹ der ›Unterhaltungsmusik‹. Erstere erscheint dabei nicht als Teilkultur innerhalb eines heterogenen Gemeinwesens, sondern wird im Gefolge der Aufklärung mit dem Anspruch verbunden, die kulturellen Interessen der Gesellschaft schlechthin zur Darstellung zu bringen. In der Konfrontation mit nicht-westlichen Musikkulturen wird dieser Anspruch auf Allgemeingültigkeit auf eine Probe gestellt. Ähnlich wie bereits gegenüber der ›Unterhaltungsmusik‹ macht sich Lachenmann hier für eine Abgrenzung europäisch geprägter Kunstmusik gegenüber außereuropäischen Kulturen stark, die – dem eurozentrischen Diskurs entsprechend – als statisch und homogen gezeichnet werden.

Ziel dieses zweiten Teiles war es, den Anspruch des Kritischen Komponierens auf Emanzipation sowie sein Anfechten von Dominanzstrukturen an dessen eigenen Äußerungen zu messen, wie es Adornos Konzept der ›immanenten Kritik‹382 entspricht. In diesem Sinn nahm das letzte Kapitel des zweiten Teiles die An- und Abwesenheit von Geschlecht im Diskurs des Kritischen Komponierens ins Visier. Dabei wurde gezeigt, dass in den Texten Lachenmanns Weiblichkeit mit einer untergeordneten Position in der Hierarchie musikalischer Praktiken verbunden wird. Diese mit Alltagsverrichtungen wie insbesondere der Sorgearbeit verbundene Position erscheint als Gegenstück zum ›idealen Hörer‹, der damit implizit als männlich lesbar wird. Die Hierarchisierung der Praktiken wurde mit Webers Darstellung der geschlechtlichen Arbeitsteilung verknüpft, der zufolge die öffentliche Sphäre Männern vorbehalten ist, während der Aktionsradius von Frauen aufs Private beschränkt bleibt. Dies würde bedeuten, dass die von Bourdieu der herrschenden Klasse zugestandene Distanz zum Reich der Notwendigkeit möglicherweise eine Voraussetzung jenes dem Kritischen Komponieren angemessenen ›strukturellen‹ Hörens darstellt – und dieses somit privilegierten Gesellschaftsschichten vorbehalten bleibt, während Frauen, Arbeiter*innen oder Migrant*innen davon ausgeschlossen sind.

Endnoten


  1. Nicolaus A. Huber, der den Begriff ›kritisches Komponieren‹ 1972 in seinem gleichnamigen Aufsatz geprägt hat, nennt darin keine Beispiele. Mahnkopf definiert 2006 Huber, Lachenmann und Spahlinger als Vertreter des Kritischen Komponierens. Nonnenmann nennt ein Jahr davor außerdem noch Globokar, Hespos, Holliger und Riehm, merkt aber an, dass es sich um keine erschöpfende Aufzählung handelt. Huber, »Kritisches Komponieren«; Mahnkopf, »Was heißt kritisches Komponieren?«, S. 19; Nonnenmann, »Die Sackgasse als Ausweg«, S. 38.↩︎

  2. Von 157 untersuchten Autor*innen handelt es sich bei 18 um Frauen.↩︎

  3. Vgl. Steenhuisen, »Interview with Helmut Lachenmann«, S. 9-14.↩︎

  4. Lachenmann, »Zum Problem des musikalisch Schönen heute«, S. 107.↩︎

  5. Unter ›Reproduktionsarbeit‹ wird im materialistischen Feminismus jene Arbeit verstanden, die zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft dient. Darunter fällt Haus- und Erziehungsarbeit ebenso wie Pflege, emotionale Arbeit oder Sexarbeit. Im Hochkapitalismus wurden und werden reproduktive Tätigkeiten zum größten Teil un- oder unterbezahlt von Frauen ausgeführt. Vgl. Silvia Federici, Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Münster 22015, S. 21-86; zur Aufteilung von Hausarbeit unter den Geschlechtern vgl. Gisela Notz, »Arbeit. Hausarbeit, Ehrenamt, Erwerbsarbeit«, in: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie, hg. von Beate Kortendiek (= Geschlecht & Gesellschaft, Bd. 35), Wiesbaden 32010, S. 480-488, hier S. 480-481.↩︎

  6. Der von Kimberlé Crenshaw geprägte Begriff der Intersektionalität meint den analytischen Blick auf die Überschneidung, Verschränkung und wechselseitige Beeinflussung von Unterdrückungsverhältnissen wie Sexismus, Heteronormativität, Rassismus oder Klassismus, die nur in ihrem Zusammenwirken adäquat zu verstehen seien. Vgl. Beate Binder und Sabine Hess, »Intersektionalität aus der Perspektive der Europäischen Ethnologie«, in: Intersektionalität revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen, hg. von Sabine Hess u.a., Bielefeld 2011, S. 15-52, hier S. 15-17.↩︎

  7. Lachenmann, »Über Tradition«, S. 339.↩︎

  8. Ebd., S. 339.↩︎

  9. Ebd., S. 340.↩︎

  10. Ebd.↩︎

  11. Ebd.↩︎

  12. Lachenmann, »Vier Grundbestimmungen des Musikhörens«, S. 61.↩︎

  13. Lachenmann, »Über Tradition«, S. 340.↩︎

  14. Bezeichnend ist, dass Lachenmann diesen Musikkonsum als »sinnlos« bezeichnet – vermutlich, weil der strukturelle Zusammenhang vermeintlich nicht oder nur ungenügend erfasst wird, womit ›Sinn‹ wiederum als Eigenschaft des Werkes erscheint. Mit Tia DeNora wäre hingegen jeder Musikkonsum sinnvoll insofern, als Musik im Alltag von Menschen mit einer Vielfalt an differenzierten sozialen Bedeutungen verbunden wird. Vgl. DeNora, Music in Everyday Life, S. 5-6, 13, 33.↩︎

  15. O. V., Lieschen Müller, https://de.wikipedia.org/wiki/Lieschen_Müller (Zugriff am 17. Oktober 2020).↩︎

  16. Suzanne G. Cusick argumentiert, dass die vorgebliche Bedeutungslosigkeit der Kategorie Geschlecht innerhalb der Musikwissenschaft den Ausschluss der Erfahrungen von Frauen begünstigte. Suzanne G. Cusick, »Gender, Musicology, and Feminism«, in: Rethinking Music, hg. von Nicholas Cook u.a., Oxford 2001, S. 471-498, hier S. 473-474.↩︎

  17. Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau. Neuübersetzung, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 88-89; vgl. Susanne Moser, Freiheit und Anerkennung bei Simone de Beauvoir, Tübingen 2002, https://bit.ly/2YyCJuH, S. 30 (Zugriff am 25. Juni 2020).↩︎

  18. Karin Hausen, »Die Polarisierung der ›Geschlechtscharaktere‹. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben«, in: Geschlechtergeschichte als Gesellschaftsgeschichte (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 202), Göttingen 2012, S. 19-49, hier S. 20-25; Melanie Unseld, Musikwissenschaft als Kulturwissenschaft (= Oldenburger Universitätsreden, Bd. 195) 2010, https://bit.ly/2B5DLFt (Zugriff am 24. Juni 2020), S. 11.↩︎

  19. So projizieren Biddle und Gibson Dichotomien wie Tugend–Sünde, Sprache–Gesang, perfekt–imperfekt, ganz–defizitär oder positiv–negativ auf die Gegenüberstellung von ›viril‹ und ›effeminiert‹. Ian Biddle und Kirsten Gibson, »Section One: Introduction«, in: Masculinity and Western Musical Practice, hg. von Ian Biddle u.a., Farnham 2009, S. 15-19, hier S. 15.↩︎

  20. Michael Meuser und Sylka Scholz, »Hegemoniale Männlichkeit«, in: Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, hg. von Martin Dinges, Frankfurt a.M. u.a. 2005, S. 211-228, hier S. 225.↩︎

  21. Raewyn Connell, Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 22000, S. 91.↩︎

  22. Josef Häusler, »Vorwort des Herausgebers«, in: MaeE3, S. XIX.↩︎

  23. Lachenmann, »›… total verformt natürlich‹«, S. 90.↩︎

  24. Ebd.↩︎

  25. Helmut Lachenmann, »Fassade für großes Orchester (1973)«, in: MaeE3, S. 388.↩︎

  26. Lachenmann, »Zur Analyse Neuer Musik«, S. 34.↩︎

  27. Helmut Lachenmann, »Trio fluido für Klarinette, Viola und Schlagzeug (1966) I«, in: MaeE3, S. 373.↩︎

  28. Lachenmann, »Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung«, S. 362.↩︎

  29. Helmut Lachenmann, »Kunst, Freiheit und die Würde des Orchestermusikers. An Vinko Globokar«, in: MaeE3, S. 337-338, hier S. 338.↩︎

  30. Lachenmann, »›… total verformt natürlich‹«, S. 90.↩︎

  31. Lachenmann, »Über Schönberg«, S. 261.↩︎

  32. Lachenmann, »Vom Greifen und Begreifen – Versuch für Kinder«, S. 163.↩︎

  33. Max Weber, »Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus« [1920], in: Ders., Die protestantische Ethik I. Eine Aufsatzsammlung, hg. von Johannes Winckelmann, Hamburg 41975, S. 135.↩︎

  34. Ebd., S. 187.↩︎

  35. Ebd., S. 182.↩︎

  36. Peter Ghosh, »Protestantismus, asketischer«, in: Max Weber-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Hans-Peter Müller u.a., Stuttgart, Weimar 2014, S. 105-107, hier S. 105-106.↩︎

  37. Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionsphilosophie I, Tübingen 91988, S. 20-21; zit.n. Joachim Fischer, »Bürgertum«, in: Max Weber-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Hans-Peter Müller u.a., Stuttgart, Weimar 2014, S. 37.↩︎

  38. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Religionsphilosophie I, S. 20-21; zit.n. Fischer, »Bürgertum«, S. 37.↩︎

  39. Ebd.↩︎

  40. Weber, Die protestantische Ethik I, S. 183.↩︎

  41. Ebd., S. 177.↩︎

  42. Ian Biddle und Kirsten Gibson, »Introduction«, in: Masculinity and Western Musical Practice, hg. von Ian Biddle u.a., Farnham 2009, S. 1-12, hier S. 7.↩︎

  43. Ebd.↩︎

  44. Ebd., S. 7-9.↩︎

  45. Lachenmann, »Zur Analyse Neuer Musik«, S. 22.↩︎

  46. Lachenmann, »Präzision und Utopie«, S. 14.↩︎

  47. Vgl. Alex Demirovic, Hegemonie und das Paradox von privat und öffentlich, https://transversal.at/transversal/0605/demirovic/de (Zugriff am 26. Juni 2020).↩︎

  48. Getraude Krell, »Gefühl und Geschlecht in Bürokratie, Gemeinschaft und ICH-AG«, in: Organisationen und Netzwerke: Der Fall Gender, hg. von Ursula Pasero u.a., Wiesbaden 2004, S. 65-92, hier S. 74.↩︎

  49. Für Bourdieu ist die ästhetische Einstellung gekennzeichnet »durch den Aufschub und die Suspendierung des ökonomischen Zwangs und zugleich durch objektive wie subjektive Distanz zum Drängenden der Praxis«. Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1987, S. 100.↩︎

  50. Vgl. Cusick, »Gender, Musicology, and Feminism«, S. 496: »[T]he category of ›liberal individual‹ is not legally or politically a universal one habitable by any human being. It is, rather, one more case of the masculine having been claimed as the universal […]. In practice, some would argue, he is a European man: he occupies a category not logically available to people who seem not to behave according to European ideas of rationality. In any case, social harmony requires that people who are implicitly not permitted to enter the category ›liberal individual‹ retain the illusion that they can. […] Thus, to the extent that aesthetic listening to ›the music itself‹ teaches us the mental and imaginative patterns of a liberal individual’s life […], such listening helps to sustain our complicity with the illusion on which social harmony rests. Feminist challenges to the authority of ›the music itself‹ may be understood to complement feminist challenges to the social and political theory that conflates the masculine with the liberal individual, who is the ideal citizen.«↩︎

  51. Lachenmann, »Über das Komponieren«, S. 74.↩︎

  52. Ebd., S. 81.↩︎

  53. Ebd., S. 82.↩︎

  54. Lachenmann, »Paradiese auf Zeit«, S. 208.↩︎

  55. Marion A. Guck, »Analytical Fictions«, in: Music Theory Spectrum 16 (1994), Heft 2, S. S. 217-230S, hier S. 218, 229.↩︎

  56. Fred Everett Maus, »Masculine Discourse in Music Theory«, in: Perspectives of New Music 31 (1993), Heft 2, S. 264-293, hier S. 264-265, 270-271; Danielle Sofer, »Specters of Sex. Tracing the Tools and Techniques of Contemporary Music Analysis«, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Musiktheorie 17 (2020), Heft 1, S. 31-63, hier S. 33, https://www.gmth.de/zeitschrift/artikel/1029.aspx (Zugriff am 7. Juli 2020).↩︎

  57. Yuval Shaked, »›Wie ein Käfer, auf dem Rücken zappelnd‹. Zu Mouvement (– vor der Erstarrung) (1982-84) von Helmut Lachenmann – Eine Werkanalyse«, in: MusikTexte 3 (1985), Heft 8, S. 9-16, hier S. 9.↩︎

  58. Ebd.↩︎

  59. Ebd., S. 12.↩︎

  60. Susan McClary, Feminine Endings. Music, Gender, and Sexuality, Minneapolis 1991, S. 112-313.↩︎

  61. Z. B. schwule oder Schwarze Männlichkeiten; Connell, Der gemachte Mann, S. 99-101.↩︎

  62. Biddle, Gibson, »Introduction«, S. 52; Ian Biddle, Music, Masculinity and the Claims of History. The Austro-German Tradition from Hegel to Freud, Farnham 2011, S. 164.↩︎

  63. Edgar Reitz, Die zweite Heimat. Chronik einer Jugend, 1992, https://www.youtube.com/watch?v=H0kyr9C-Csw&list=PLIl65iXmFOr1ZURU8WMZ0DCAouYkMLjaV (Zugriff am 26. Juni 2020).↩︎

  64. Biddle, Gibson, »Introduction«, S. 49-52.↩︎

  65. Biddle, Music, Masculinity and the Claims of History, S. 157-160.↩︎

  66. Maus gebraucht die Formulierung: »Perhaps, in dealing with male musicians, particularly specialists in listening, one is dealing with people who are not simply men.« Daran ließe sich allerdings die Frage anschließen, ob das Männliche in dieser Reinform überhaupt existiert, ob nicht jeder Mann zwingend mehr als nur männlich ist und eine solch rigide Definition von Männlichkeit überhaupt eine empirische Entsprechung hat. Maus scheint sich der Problematik bewusst gewesen zu sein, da er in einer Fußnote die alternative Formulierung vorschlägt: »Male musicians, particularly specialists in listening, do not unproblematically exemplify all important aspects of the contemporary social role ›man‹, partly because their crucial activity of sensitive listening does not seem to fall on the masculine side of the active/passive dichotomy.« Maus, »Masculine Discourse in Music Theory«, S. 276.↩︎

  67. Das angestrebte Ziel wird Guck zufolge jedoch durch beiläufig mitgelieferte Bedeutungen in Form von bildhafter Sprache, also durch eine semantische Überdeterminierung verfehlt. Dieses stellt in der von Guck beschriebenen Form zwar ein Spezifikum der angloamerikanischen Musikforschung dar – dennoch lassen sich gerade im Komponieren der Nachkriegszeit in den deutschsprachigen Ländern vergleichbare Tendenzen zu einer vermeintlich objektiven Rationalität feststellen. Guck, »Analytical Fictions«, S. 217-218.↩︎

  68. Connell, Der gemachte Mann, S. 185.↩︎

  69. Vgl. z.B. Lachenmann, »Komponieren im Schatten von Darmstadt«, S. 350.↩︎

  70. Matouschek, Wodak, »›Rumänen, Roma … und andere Fremde‹«, S. 217.↩︎

  71. Vgl. Guido Kreis, »Die philosophische Kritik der musikalischen Werke«, in: Adorno-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, hg. von Richard Klein u.a., Stuttgart 22019, S. 85-96, hier S. 85ff.↩︎