Visuelle Strategien für einen linken Populismus

Eine Diskussion mit Blick auf künstlerisch-aktivistische Interventionen

Rachel Mader


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Mader, Rachel. 2024. “Visuelle Strategien Für Einen Linken Populismus. Eine Diskussion Mit Blick Auf Künstlerisch-Aktivistische Interventionen.” In Populismus Kritisieren. Kunst – Politik – Geschlecht, edited by Evelyn Annuß, Ralf Von Appen, Sarah Chaker, Silke Felber, Andrea Glauser, Therese Kaufmann, and Susanne Lettow, 215–24. Wien und Bielefeld: mdwPress. https://doi.org/10.1515/9783839474303-014. Cite

Abstract

Abstract

The proposal of left-wing populism has a difficult standing in the Western European context. The idea that this political language, which is used extremely successfully in the right-wing camp, could be used by the left with similar impact is almost universally rejected. In light of selected artistic-activist interventions that have vehemently sought to draw public attention to politically enlightened concerns in recent years, the text discusses whether they can be read as proposals for a left-wing populist vocabulary. Examples include the action Die Toten kommen (The Dead Are Coming) by the artist collective Zentrum für Politische Schönheit (Center for Political Beauty) and the spectacularly staged toppling of the statue of Edward Colston in Bristol, which was torn down by demonstrators.

Über die Autorin

Über die Autorin

Rachel Mader ist Kunstwissenschaftlerin. Seit 2012 leitet sie das Kompetenzzentrum Kunst, Design & Öffentlichkeit an der Hochschule Luzern – Design Film Kunst. Sie verantwortet sowohl praxisbasierte Forschungsprojekte zu künstlerischer Selbstorganisation und Kulturpolitik, künstlerische Kollektivität, dem Sammeln ephemerer Kunst (Live Performances), Kunstschulen als Heterotopien sowie Projekte in der Grundlagenforschung zu Themen wie künstlerischer Forschung, den Institutional Studies, Ambiguität in der Kunst oder auch Kunst und Politik. Mader ist Co-Präsidentin des Swiss Artistic Research Network (SARN).


Der Vorschlag eines linken Populismus hat im westeuropäischen Kontext schon deshalb einen schweren Stand, weil das Phänomen »Populismus« nahezu ausschließlich mit seiner rechtsgerichteten Erscheinungsform in Verbindung gebracht wird.1 Die Idee, dass diese im rechten Lager äußerst erfolgreich eingesetzte politische Sprache von links mit ähnlicher Schlagkraft genutzt werden könnte, trifft fast durchwegs auf Ablehnung. Daran vermochte auch der 2018 von der Philosophin Chantal Mouffe veröffentlichte Text mit dem manifestartigen Titel For a Left Populism kaum etwas zu ändern. Vielmehr begegnete auch diesem viel und grundsätzliche Kritik – wenn auch nicht nur. Viel Zuspruch erhielt Mouffe für ihren entschiedenen Einsatz, eine kraftvolle linke Bewegung konzeptualisieren zu wollen, die der erstarkenden Rechten gegenübertreten können soll und gleichzeitig die vielerorts zersplitterte Linke in »transversaler Art und Weise« (Mouffe 2018, 17) zu vereinen verspricht. Dass sie aber genau mit dieser Konzeptualisierung sehr allgemein bleibt, ist einer der Kritikpunkte an ihrem Vorschlag (Davis 2018; Matheis 2019). Dass sie beim Aufbau dieser Bewegung auf starke Führungsfiguren (u.a. Intellektuelle) setzen will, wird ihr ebenfalls angelastet und als wenig progressiv bezeichnet (Hackbarth 2018). Das in früheren Überlegungen diskutierte Potential künstlerisch-aktivistischer Praktiken greift sie im Zusammenhang mit dem Postulat für einen linken Populismus vorerst nicht explizit auf, obwohl Mouffe in früheren Schriften diesen »gegenhegemonialen Interventionen« (Mouffe 2014, 158) ein grosses Potential für die Entwicklung von »Subjektivitäten und die Ausarbeitung neuer Welten« (135) zuspricht. Sie betont allerdings erneut die »zentrale Rolle«, die das »politische Imaginäre« (Mouffe 2018, 17), das gerade auch über kulturelle Aktivitäten verhandelt wird, in unserer Gesellschaft übernimmt.

Nachfolgend will ich mit Blick auf ausgewählte künstlerische respektive künstlerisch-aktivistische Interventionen, die sich in den letzten Jahren mit großer Vehemenz und Deutlichkeit um die öffentliche Aufmerksamkeit politisch aufklärerischer Anliegen bemüht haben, thesenhaft diskutieren, ob sie als Vorschläge für ein linkspopulistisches Vokabular gelesen werden können. Als Beispiele dienen mir dabei einerseits die Aktion Die Toten kommen des Künstler:innenkollektivs Zentrum für Politische Schönheit, die durchwegs auf maximale öffentliche Sichtbarkeit und nicht selten auch als Provokationen angelegt sind, sowie ein ähnlich spektakulär inszenierter und medial effektiv kommunizierten Denkmalsturz der letzten Jahre, die von Demonstrierenden heruntergerissene Statue von Edward Colston in Bristol. Diskutiert werden die Beispiele entlang von Kriterien, mit denen Populismus in jüngeren Publikationen üblicherweise charakterisiert wird: Dazu zählen Eindeutigkeit und Lautstärke in Auftritt und Kommunikation genauso wie die affektiv befrachtete Argumentation, der gezielte Angriff auf die politische Gegnerschaft und der Anspruch, im Namen des ›Volkes‹ zu sprechen. Dabei entspricht die Anrufung des Volkes jedoch nicht genau den in gängigen Populismustheorien entworfenen Bezugsgrössen, indem sich die in diesem Beitrag diskutierten Akteur:innen auch als Konsequenz aus ihrem progressiv-kritischen Selbstverständnis nicht als Stimme oder Repräsentant:innen ebendieses behaupten. Vielmehr findet sich eine alternative Konzeptualisierung der Idee des Volkes in Referenzen wie dem Humanismus, den Blickwinkeln von gesellschaftlich Marginalisierten oder von Rassismen und Kolonialismen kodierten Öffentlichkeitsmomenten, wie sie beispielsweise in Denkmälern materialisiert sind. Ich diskutiere, wo und wie sich diese Merkmale im Rahmen der erwähnten künstlerisch-aktivistischen Interventionen finden und unter welchen Vorzeichen sie zum Einsatz kommen. Es geht dabei nicht um die grundlegende Betrachtung eines linken Populismus als politische Haltung, sondern um die Diskussion, inwiefern die in den vorgestellten Beispielen entworfene Sprache als linkspopulistisches Vokabular verstanden werden und wie sich dieses von rechtsorientierten Strategien unterscheiden kann. Das grundsätzliche dahinterliegende Interesse liegt in der Frage, in welcher Weise die aus einem linken Blickwinkel heraus formulierten visuellen Strategien Ansätze für eine effektive Gegenrede zur rechtspopulistischen politischen Rhetorik bieten können.

Rhetorische Kniffe: Laut, deutlich und angriffig

Vieles in den Auftritten des Zentrums für politische Schönheit spricht dafür, diese als populistisch zu bezeichnen. Seine Inszenierungen etwa zielen durchwegs auf maximale öffentliche Sichtbarkeit, lokalisieren die Interventionen entsprechend prominent und spitzen Aussagen und Auftritt auf Provokation hin zu. Das zeigte sich in der 2015 veranstalteten Aktion Die Toten kommen gleich mehrfach: Der zu Beginn und unter großer Teilnahme von Sympathisant:innen durchgeführte Marsch der Entschlossenen führte nicht nur durch das Zentrum von Berlin, um schließlich vor dem Kanzleramt zu enden; das vor ebendiesem mit einem Plakat prominent angekündigte und scheinbar unter der Schirmherrschaft des damaligen Bundesinnenministers Thomas de Maizière stehende Denkmal, mit dem den »unbekannten Einwanderern«2 gedacht werden sollte, war eine ebenso fordernde, wie prominent platzierte Behauptung, die fern jeglicher Realisierung war. Das im Rahmen der Aktion durchgeführte Begräbnis einer 34-jährigen, aus Syrien geflüchteten und auf der Überfahrt im Mittelmeer ertrunkenen Frau auf dem für Muslime vorgesehenen Bereich des Friedhofes in Berlin-Gatow wurde – das machen die dokumentierenden Aufnahmen augenscheinlich – auf mediale Verwertbarkeit hin inszeniert: Die leeren, mit den Namen der für diese Misere verantwortlichen Politiker:innen (u.a. Merkel) ausgeschilderten Stühle waren nicht zu übersehen. Die empörte und entsprechend ausgreifende Berichterstattung über die im Nachgang zum Marsch illegal errichteten Gedenkkreuze auf der dafür großflächig aufgegrabenen Wiese vor dem Kanzleramt war ganz im Sinne der Initiator:innen selbst, was sich schon daran zeigt, dass sie umfassend auf der Projektseite des Zentrums dokumentiert wird. Ebendort findet sich auch die Dokumentation der Ergebnisse des über die sozialen Medien verbreiteten Aufrufs zur dezentralen Errichtung weiterer Gräber, der bis heute europaweit tausende Sympathisant:innen gefolgt sind, was auf der Website als Erfolgsgeschichte geschildert wird.

Die – wie die meisten des Zentrums – sehr aufwändige Aktion lässt sich als präzise austarierte Choreografie von Bestandteilen unterschiedlicher Ordnung charakterisieren und vereint viele Merkmale, die als Handschrift des Zentrums bezeichnet werden können. Im vorgestellten Fall gehört der durch entsprechende Kleidung und Requisiten (etwa Särge oder Holzkreuze) zwischen Trauermarsch und Demonstration oszillierende Zug durch das politische und touristische Zentrum Berlins ebenso dazu wie auch die selbstbewusste Behauptung der scheinbar bereits beschlossenen Errichtung eines Denkmals seitens der Regierung. Das optimal zur medialen Verwertung vorbereitete Begräbnis entbehrt nicht der ernsthaft und respektvoll arrangierten affektiven Ansprache, die auch in Kombination mit der direkten Anklage der für diese Situation verantwortlich gemachten Regierungsvertreter:innen – markiert durch die leeren Stuhlreihen – nicht an Würde verliert. Gerahmt wird diese Aktion – und das scheint mir die entscheidende Differenz zum rechtslastigen Populismus –mit einem Argumentarium, dass zwar die politischen Missstände und die ihrer Meinung nach Schuldigen klar benennt, zugleich aber auf humanistische Werte rekurriert. Zu lesen sind etwa auf gesellschaftspolitische Veränderung abzielende Wendungen wie »verwandelt Flüchtlinge in Menschen«3; und immer wieder werden auch Lösungen vorgeschlagen, auch wenn diese aufgrund der gesellschaftlichen Verfasstheit mitunter fast utopischen Charakter haben. Das gilt auch für den im Rahmen der Aktion Kindertransporthilfe des Bundes (2014) breitenwirksam kommunizierten Vorschlag, Kinder aus den Bürgerkriegsgebieten in Syrien zu Gastfamilien in Deutschland zu bringen: Auf den via Werbebroschüren und einer Website verbreiteten Aufruf haben sich, gemäss Angaben des ZPS, denn auch weit über tausend Menschen gemeldet. Diesen Erfolg interpretierte das Zentrum als Blamage für die Bundesregierung, die sich nicht fähig zeige, ein ähnlich »fertiges Konzept zur Rettung von 55.000 Kindern«4 zu erstellen. Anders als im rechtslastigen populistischen Argumentarium, wird in den Aktionen des Zentrums für politische Schönheit nicht mittels der Anrufung negativer Affekte, sondern über Empathie und Solidarität mobilisiert.

Zeichen als Angriffsfläche

In anderer Weise wirken bei den Denkmalstürzen der jüngeren Geschichte (hier gemeint sind v.a. diejenigen in den westlichen Industrienationen) negative Affekte und solidarische Mobilisierung zusammen. Negative, aus der Ablehnung ungerechter gesellschaftlicher Verhältnisse hervorgegangene Affekte sind die verantwortliche einende Triebkraft dieser Demontagen. In den nicht selten niedergerissenen Denkmälern sehen die Aktivist:innen nicht nur diejenigen Werte verkörpert, die sie verurteilen, also etwa Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder Kriegsverherrlichung. Auch kritisieren sie die anhaltende Akzeptanz dieser gesellschaftlich längst dubios gewordenen Verehrungen, die diese qua ihrer Präsenz im öffentlichen Raum vorführen. Denkmäler respektive häufig einzelne Figuren stehen dabei zeichenhaft als Kondensat für gesellschaftlich akute Problematiken, die sich gerade aufgrund der öffentlich tolerierten Aufstellung als Fläche für eine kritische Abarbeitung zu eignen scheinen. Die Geschichte der bereits in den 1990er-Jahren unter Beschuss geratenen und am 7. Juni 2020 schließlich im Zuge von Black-Lives-Matter-Protesten in Bristol niedergerissene Statue des britischen Kaufmanns und Sklavenhändlers Edward Colston steht exemplarisch für die Schwierigkeiten, die mit dem Versuch einer Neubewertung kolonialer Vermächtnisse im kollektiven Erinnerungsschatz verbunden sind. Der aus Bristol stammende Edward Colston erlangte einen guten Teil seines enormen Vermögens über den Sklavenhandel, den er als leitender Angestellter der Royal African Company Ende des 17. Jahrhunderts verantwortete. Ansehnliche Anteile dieses Kapitals nutzte er für philanthropische Aktivitäten in seiner Heimatstadt, finanzierte Spitäler, Schulen, Armenhäuser, Kirchen oder auch Altersheime und vererbte weitere Summen an Wohltätigkeitsorganisationen, die sich seinen politischen und religiösen Ansichten unterordneten. Als Parlamentsvertreter setzte er sich zudem für die Aufrechterhaltung des Rechts, Sklavenhandel zu betreiben, ein (Bruggmann 2023). Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entschied sich die Stadt Bristol, Colston mit einem Denkmal zu ehren, und vergab den entsprechenden Auftrag an den irischen Bildhauer John Cassidy. 1895 wurde die Statue im Stadtzentrum errichtet. Erst in den 1990er-Jahren wuchs der Unmut gegenüber der öffentlichen Huldigung von Colston und künstlerische Interventionen sowie politische Petitionen forderten erstmals die Entfernung des Monuments. Es dauerte dann aber mehr als zwanzig Jahre, bis die Stadt Bristol handelte und eine Projektgruppe mit der Ausarbeitung einer Informationstafel betraute, die, am Sockel der Statue montiert, die Figur Colston aus einer kritischen Perspektive einordnen sollte. Doch gerade diese Einordnung erwies sich – wenig erstaunlich – als fast nicht zu bewältigende Aufgabe und trotz drei Versuchen kam es nicht zu einer Einigung über die Gewichtung der inhaltlichen Aussagen und angemessenen Formulierungen. Monierten die einen an der ersten Version, dass die Schuldfrage hinsichtlich der 19.000 bereits während ihrer Überfahrt umgekommenen Sklaven zu einseitig nur Colston zugeschrieben wurde, störten sich andere an der deutlichen Benennung der politisch motivierten Ausrichtung seiner philanthropischen Zuwendungen (»Bristolians who did not subscribe to his religious and political beliefs were not permitted to benefit from his charities« (Cork 2018)). In der Überarbeitung wurde diesen Kritikpunkten Rechnung getragen, indem die Großzügigkeit Colstons stärker betont wurde. Wurden in einem nächsten Entwurf seine Gaben konkret benannt, schilderte ihn eine dritte Version gar als »the city’s greatest benefactor« und seine Verbindung zum Sklavenhandel wurde nicht mehr als aktive Beteiligung, sondern nur mehr als Involvierung bezeichnet (Cork 2018). Doch auch dieser Vorschlag konnte sich nicht durchsetze, und noch während ein neues Gremium aufgrund erneuter Grundsatzkritik an einem alternativen Konzept zum Umgang mit der Kontextualisierung der Figur Colston arbeitete, wurde die Diskussion von der Aktualität überholt: Am 7. Juni 2020 wurde die Statue während der weltweiten Proteste, die als Folge der Ermordung George Floyds durch Polizisten aufflammten, vom Sockel gerissen und von einer Gruppe von Demonstrant:innen an einem Seil bis zum Hafen von Bristol geschleift und dort versenkt, von wo sie vier Tage später geborgen und schließlich vom 4. Juni 2021 bis zum Frühjahr 2022 in ihrem beschädigten Zustand im M Shed Museum in Bristol zusammen mit Plakaten der Demonstration und einer die Geschehnisse einordnenden Timeline präsentiert wurde. Für die kurze Dauer von einem Tag befand sich auf dem Sockel die vom Künstler Marc Quinn geschaffene Skulptur A Surge of Power (Jen Reid). Es ist dies die aus schwarzem Harz nachgebildete Jen Reid, die sich während eines Protests im Jahr 2020 auf den Sockel gestellt und kämpferisch die zur Faust geballte Hand in die Luft gestreckt hat und deren Bild durch seinen ikonischen Charakter rege in der Presse kursierte (Quinn und Reid 2020). Unterdessen liegt der Bericht der We are Bristol History Commission vor, die 2021 im Nachgang zu den Unruhen ins Leben gerufen wurde. Er enthält Empfehlungen zum konkreten Umgang mit der Statue selbst wie auch mit dem leeren Sockel sowie Anregungen dazu, wie die Öffentlichkeit in die Diskussion um die Bearbeitung von problematischem Kulturerbe eingezogen werden kann.5

Die enorm angestiegene Aufmerksamkeit gegenüber Denkmälern ist darum erstaunlich, weil ihre ›Unsichtbarkeit‹ über Jahrzehnte, teilweise Jahrhunderte hinweg ein Allgemeinplatz war.6 Dass sie in den letzten Jahren mit derartiger Heftigkeit ins Zentrum politischer Kontroversen rücken konnten, hat in gleicher Weise mit ihrer Zeichenhaftigkeit wie mit einer Umwertung und Umnutzung des öffentlichen Raums vor allem seitens sozialer Bewegungen zu tun. In der Statue von Colston exemplifiziert sich in kondensierter Form, was die Historikerin Izabel Barros als »koloniale Kontinuität« (Mader und Barros 2023, 219) beschreibt und von dessen Komplexität und Beständigkeit das Denkmal in Bristol Zeugnis ablegt. Sie umfasst nicht nur die Geschichte des Monuments selbst, sondern vor allem auch die unreflektierte Weiterschreibung kolonialer Verhältnisse, die an der unangetasteten Präsenz dieser und ähnlich problematischer Figuren an prominenten Plätzen im öffentlichen Raum demonstriert wird. Der Angriff auf Colston oder auch ähnlich umstrittene historische Figuren schließt passgenau an diese Konstellation an: Die Adressierung von Geschichte und Gegenwart von Rassismus über eine Person ermöglicht in gleicher Weise die Zuspitzung der Aussage wie die Konzentration der Aufmerksamkeit. In negativer Adaption von Jean Baudrillards Überlegungen zur Funktionsweise von Zeichen, die keinen Bezug zur Realität mehr aufweisen würden (Baudrillard 1982 [1976]), ließe sich behaupten, dass Denkmäler im Moment ihres Sturzes die ganze (politische) Realität beinhalten.

Symbolpolitik – Affekte – Imagination: Koordinaten des Vokabulars

Baudrillards Diktum, gemäß dem die Postmoderne durch den Verlust der realitätsfundierten Sinnhaftigkeit von Zeichen gekennzeichnet sei (Baudrillard 1982 [1976)]), findet ein Echo in den aktuellen Einschätzungen zur Symbolpolitik: Ihr Einsatz wird aus allen politischen Lagern dafür kritisiert,7 weniger Inhalte oder Haltungen zu vermitteln, als maximale Aufmerksamkeit erregen zu wollen; die Verknappung und Zuspitzung der Zeichensprache würde dabei für die affektive Mobilisierung eingesetzt. Das führe zu postpolitischen Scheindebatten, in denen zwar Feindbilder geschaffen und Missstände angeklagt, nicht aber politisch, also gesellschaftsverändernd, gehandelt werde.8 Ähnlich polarisierend wie die Debatten um Symbolpolitik selbst, werden auch die oben genannten Denkmalstürze oder die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit diskutiert: Während die einen diese ›Politik der Zeichen‹ als gefährliche Verkürzung kritisieren,9 erachten andere genau die einfache und klare Sprache als Möglichkeit, breitenwirksam zu sein. An diesen beiden Beispielen zeigt sich auch die in der Diskussion häufig unterschlagene Komplexität, auf die ein konstruktives symbolpolitisches Intervenieren angewiesen ist: Dies, weil sie nebst einer gezielt kuratierten Zeichenpolitik und der Mobilisierung von Affekten auch auf die Anrufung und Pflege von kollektiven Imaginationen angewiesen ist, die den Horizont einer gemeinsamen, gesellschaftlichen Zukunft beschreiben. Das Konzept des Imaginären, so der griechische Philosoph Cornelius Castoriadis, ist für die gesellschaftliche Konstitution darum von grundlegender Wichtigkeit, weil sie die soziale Welt als gemeinschaftlichen kreativen Gestaltungsprozess konzeptualisiert, der eine geteilte Vorstellung davon, wie sie sein könnte, als imaginativer Horizont zugrunde liegt (Seyfert 2010, 253-272).

Diese sowohl auf das Grundsätzliche wie ins Zukünftige weisende Geste findet sich – wenn auch in je unterschiedlicher Art und Weise – in den vorgestellten künstlerisch-aktivistischen Interventionen: in den Aktivitäten des Zentrums für Politische Schönheit dann, wenn konkrete Lösungsvorschläge für politische Probleme detailgenau ausformuliert und beispielhaft umgesetzt werden, aber auch im rahmenden Diskurs, den die Gruppe begleitend zu ihren Aktionen entwickelt hat und medienwirksam passgenau einzusetzen versteht. Die Denkmalstürze selbst sind erstmal eher Kommentare auf eine verfehlte Geschichtsdarstellung und weisen damit nicht in die Zukunft. Die dadurch entstehende Leerstelle aber war bereits mehrfach Anlass sowohl für Vorschläge alternativer Gedenkfiguren wie – und das scheint mir fast wichtiger – Ausgangspunkt vielfältiger politischer Aktivitäten, wie etwa der bereits erwähnte Massnahmenkatalog in Bristol belegt. In beiden Fällen aber zeigt sich, dass zwar die eingesetzten Gesten, die als populistisch bezeichnet werden können, deutlich, lautstark und effektiv sind, deswegen aber keineswegs ohne Ambivalenzen. Das Risiko etwa, dass die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit nach dem lauten Knall – auch wenn er immer wiederkommt – vor allem im eigenen Bezugssystem der Kunst hängen bleiben, ist genauso da, wie dass der Denkmalsturz in einer reduktionistischen Vereindeutigung und damit im selbstgenügsamen Radikalismus stecken bleibt. Die Entwicklung eines linkspopulistischen Vokabulars, das nicht in postpolitischer Repräsentation und damit an der zeichenhaften Oberfläche stecken bleibt, ist auch darum komplex und anspruchsvoll, weil kaum vorauszusagen ist, welche Effekte erzielt werden (können). Es ist also der Versuch eines politischen Handelns – wissend um die zahlreichen Ambivalenzen, die es dabei von den die populistischen Gesten gestaltenden Akteur:innen zu moderieren gilt.

Endnoten


  1. Das ist eine zugespitzte Aussage, die so etwa für Amerika oder Lateinamerika nicht gelten würde. Vgl. dazu die international geführte Diskussion in Lüscher und Zichy 2021.↩︎

  2. Details zum Denkmal, zum gesamten Projekt wie aber auch zur extensiven medialen Debatte, die das Projekt begleitet haben, finden sich hier: Zentrum für Politische Schönheit. o.J., »Die Toten kommen.« Stand: 28. September 2022. https://politicalbeauty.de/die-toten-kommen.html↩︎

  3. Zentrum für Politische Schönheit. o.J., »Die Toten kommen.« Stand: 28. September 2022. https://politicalbeauty.de/die-toten-kommen.html↩︎

  4. Zentrum für Politische Schönheit. o.J. »Kindertransporthilfe.« Stand:28. September 2022. https://politicalbeauty.de/kindertransporthilfe.html↩︎

  5. Weiterführende Informationen zur erwähnten Kommission sowie Links zum Bericht finden sich hier: https://www.bristol.gov.uk/policies-plans-strategies/we-are-bristol-history-commission (Stand: 28.09.2022).↩︎

  6. Erinnert sei hier in aller Kürze an Robert Musils zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemachten Ausspruch, dass das Auffallende an Denkmälern sei, dass man sie nicht bemerke – eine Aussage, auf die sich zahlreiche Texte zu dieser Thematik beziehen (Macho 2020).↩︎

  7. Vgl. die Pressestimmen auf der Seite des Zentrums für politische Schönheit.↩︎

  8. Der Begriff des Postpolitischen wurde in den 2000er Jahren von Chantal Mouffe in Anlehnung an Jacques Rancière sowie Slavoj Žižek in diversen Foren eingebracht. Sie bezeichnen damit den Mangel an Konflikten, die das Politische in grundlegender Weise kennzeichnen.↩︎

  9. Diese Ausprägung der Debatte findet sich häufig in Beiträgen von Wissenschaftler:innen, die mit dem Sturz und damit dem Verschwinden des ›Zeichens‹ aus der Öffentlichkeit auch die Möglichkeit der öffentlich ausgetragenen Kritik verloren gehen sehen. Thomas Macho trägt dieses Argument in seinem oben genannten Text vor (Macho 2020). In Bezug auf die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit lassen sich diese unterschiedlichen Einschätzungen der verwendeten Zeichensprache in den Pressezitaten nachzeichnen, die das Kollektiv auf den jeweiligen Projektenseiten zusammengestellt hat: Zentrum für Politische Schönheit, o.J., Stand: 28. September 2022. https://politicalbeauty.de/.↩︎

Literatur

Baudrillard, Jean. 1982. Der symbolische Tausch und der Tod. München: Matthes und Seitz.

Bruggmann, Andrea. 2023. »Bristol und der Fall Edward Colston.« In Die Gegenwart des Denkmals. Auslegung, Zerstörung, Belebung, herausgegeben von Wolfgang Brückle, Rachel Mader und Brita Polzer, 229-244. Zürich/Berlin: diaphanes.

Cork, Tristan. 2018. »Row breaks out as Merchant Venturer accused of ›sanitising‹ Edward Colston’s involvement in slave trade.« Bristol Live, 23. August 2018. Stand: 9.4.2024. https://www.bristolpost.co.uk/news/bristol-news/row-breaks-out-merchant-venturer-1925896.

Davies, Williams. 2018. »For a Left Populism by Chantal Mouffe Review.« The Guardian, 7. Juli 2018. Stand: 9.4.2024. https://www.theguardian.com/books/2018/jul/07/left-populism-chantal-mouffe-leftwing-popular-movement-race-nation.

Hackbarth, Daniel. 2018. »Elitär gegen das Establishment.« WoZ, Nr. 38, 9, 20. September 2018.

Lüscher, Jonas und Michael Zichy, Hg. 2021. Der populistische Planet. Berichte aus einer Welt in Aufruhr. München: C.H. Beck.

Macho, Thomas. 2020. »Die Bedeutung von Denkmaldebatten.« 2. September 2020. Stand: 28. September 2022. https://www.kulturrat.de/themen/erinnerungskultur/denkmalkultur/die-bedeutung-von-denkmaldebatten/.

Mader, Rachel und Izabel Barros. 2023. »Gespräch.« In Die Gegenwart des Denkmals. Auslegung, Zerstörung, Belebung, herausgegeben von Wolfgang Brückle, Rachel Mader und Brita Polzer, 217-224. Zürich/Berlin: diaphanes.

Matheis, Ava. 2019. Chantal Mouffe – Linkspopulismus als Wunderwaffe? Marx21. Stand: 29. Juli 2019: https://www.marx21.de/chantal-mouffe-linkspopulismus-als-wunderwaffe/

Mouffe, Chantal. 2014. Agonistik. Die Welt politisch denken. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Mouffe, Chantal. 2018. Für einen linken Populismus. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Quinn, Marc und Jen Reid. 2020. »A joint statement from Marc Quinn and Jen Reid.« 15. Juli 2020, Website von Marc Quinn. http://marcquinn.com/studio/news/a-joint-statement-from-marc-quinn-and-jen-reid.

Seyfert, Robert. 2010. »Castoriadis: Institution, Macht, Politik.« In Das Politische denken. Zeitgenössische Positionen, herausgegeben von Ulrich Bröckling und Robert Feustel, 253-272. Bielefeld: transcript.