1.3 Vom Text zum Kontext: das analytische Verfahren


Unterkapitel

Unterkapitel

1.3 Vom Text zum Kontext: das analytische Verfahren
  Der Gegenstand der Analyse
  Die Analyseschritte


Wie ihre Vertreter*innen betonen, handelt es sich bei der CDA um keine festgelegte Methode.66 Ihr Ansatz wird in diesem Buch daher mit detaillierter ausgearbeiteten diskursanalytischen Verfahren – wie jenen von Reiner Keller und Hubert Knoblauch, insbesondere aber der von Achim Landwehr beschriebenen ›historischen Diskursanalyse‹ – kombiniert.67

Wie von Fairclough vorgeschlagen, vollzieht sich das Analyseverfahren in drei Etappen:

I. Zunächst wird der Diskurs aus sich selbst heraus, noch ohne Betrachtung des Kontexts, zur Darstellung gebracht. Dieser Teil der Untersuchung zielt darauf ab, wesentliche Kategorien und Denkfiguren herauszuarbeiten und die Argumentations­weise der Teilnehmer*innen sowie die interne Strukturierung und Funktionsweise des Diskurses nachvollziehbar zu machen (Kapitel 4).

II. Darauf folgt in Kapitel 5 die Interpretation der im ersten Teil generierten diskursiven Figuren. Dieser Abschnitt, der ideologische Elemente des Diskurses zur Darstellung bringen soll, ist an das Modell der ›historischen Diskursanalyse‹ angelehnt.68 Zur Orientierung dient dabei eine Reihe von Begriffen oder ›Topoi‹, die sich im Zuge der Textanalyse als Knotenpunkte herauskristallisiert haben. Mit Reiner Keller werden sie »in einen weiteren Interpretations­horizont – bspw. Fragen der Macht oder Hegemonie, der Rolle einzelner Akteure und Ereignisse im Diskurs oder diskursiven Feld usw. – gestellt«69. Domann verweist in diesem Zusammenhang auf Charles Taylors Begriff der »Hintergrundbilder«70 (»background ›pictures‹«71) als impliziten Bezugsrahmen kulturell geteilter Vor­annahmen und Praktiken, die in den Aussagen nicht explizit gemacht werden, diese aber in einen Horizont stellen, der sie in ihrer Bedeutung erst verständlich macht. Anders als hermeneutischen Verfahren geht es der historischen Diskursanalyse nicht um das Erfassen einer mentalen Wirklichkeit ›hinter‹ den Aussagen oder darum, herauszufinden, was die Autor*innen wirklich gedacht hätten. Gegenstand ist vielmehr die Positivität des Diskurses, der sich durch eine Formation von den Einzeltext transzendierenden Aussagen definiert. Dieser Etappe liegen die folgenden Arbeitsschritte zugrunde:

Korpusbildung: Ein Diskurs wird mit Landwehr als eine Menge von »Aussagen, die sich hinsichtlich eines bestimmten Themas systematisch organisieren und durch eine gleichförmige (nicht identische) Wiederholung auszeichnen«,72 gefasst. Vor dem Hintergrund eines imaginären Korpus – der Menge aller vorliegenden Aussagen über das Kritische Komponieren – wurde für das konkrete Korpus eine Auswahl getroffen, die dem Anspruch der Repräsentativität folgt (zur Begrenzung des Korpus vgl. S. 24).

Die Aussagenanalyse gliederte sich in die detaillierte Untersuchung von Textbausteinen, die von der Ebene des Gesamttextes bis zur Analyse lexikalischer Feinheiten reicht. Auf der Makro-Ebene bestand sie in der Bestimmung der Textsorte und ‑gestalt, des Themas sowie beherrschender Darstellungsprinzipien, narrativer Muster und Querbezüge zu anderen Texten. Die Mikro-Ebene umfasste die Analyse relevanter Argumentationsstränge, Wortfeldanalysen sowie die eingehende Beschäftigung mit Rhetorik und Lexik, einschließlich der Verwendungshäufigkeit einzelner Begriffe.

In der eigentlichen Diskursanalyse wurden aus der Gegenüberstellung von Einzeltextanalysen schließlich jene übergreifenden Tendenzen und ›Topoi‹ (emphatisches Kunstverständnis, Universalismus, Humanität) generiert, die die Kernkategorien der vorliegenden Arbeit bilden und in Kapitel 5 ausführlich dargestellt werden.

III. Die letzte Etappe gibt den von Landwehr unter »Kontextanalyse«73 subsumierten Rahmenbedingungen und sozialen Beziehungen breiten Raum, indem der beschriebene Diskurs in Relation zum sozialen Feld der ›neuen Musik‹ gesetzt wird. Der Fokus wird dabei auf die am Diskurs beteiligten Akteur*innen, die damit einhergehenden Ereignisse sowie die institutionellen Rahmenbedingungen gelegt, unter denen sich der Diskurs vollzieht:74 »During this phase, the researcher draws on social theory in order to reveal the ideological underpinnings of the interpretive procedures. This is how discourse analysis becomes ›critical‹.«75 Unter diesen Analyseschritt fallen in der vorliegenden Arbeit auch Fragen »nach den möglichen Ursachen, Rahmenbedingungen und Wirkungen spezifischer Diskursverläufe.«76

Der Gegenstand der Analyse

Der Diskurs des Kritischen Komponierens soll hier am Beispiel der Texte Helmut Lachenmanns analysiert werden, dessen mündliche und schriftliche Äußerungen das Herzstück des untersuchten Korpus darstellen. Ein Subkorpus bilden die Texte anderer Autor*innen über Lachenmann, die daraufhin befragt werden, inwiefern darin Denkfiguren aus Lachenmanns eigenen Texten reproduziert werden und sie somit ebenfalls als Bestandteil des untersuchten Diskurses anzusehen sind. Auch wenn eine Unterscheidung kompositionstechnischer und gesellschaftspolitischer Fragen in völliger Trennschärfe nicht möglich ist, stehen jene Texte im Mittelpunkt, in welchen explizit gesellschaftliche und politische Aspekte des Kritischen Komponierens behandelt werden. Das Verhältnis zwischen Lachenmanns Schriften und den Schriften über ihn wird in Kapitel 6 einer detaillierten Untersuchung unterzogen.

Der 1996 von Josef Häusler herausgegebene erste Band der Schriften Helmut Lachenmanns, Musik als existentielle Erfahrung, bildet den Grundstock bei der Untersuchung der Texte Lachenmanns, umfasst er doch alle wesentlichen Schriften aus dem Zeitraum 1966-199677 – also jene Texte, die der Autor zum Zeitpunkt der Veröffentlichung weiterhin als gültig anerkannte. So nicht anders angegeben, wird hier nach der dritten Auflage von 2015 [MaeE3] zitiert. Vor 1996 entstandene Texte, die nicht in den Schriftenband Eingang fanden, wurden ausschließlich ergänzend herangezogen. Bei Musik als existentielle Erfahrung handelt es sich um eine praktische Leseausgabe, die sich an ein breiteres Publikum richtet, nicht um eine Edition mit philologisch-kritischem Anspruch, was den Nachvollzug von Varianten in der Textgestalt mitunter erschwert. Lachenmanns Schriften liegen häufig in unterschiedlichen Textstadien vor: Ihren Ursprung bilden oft Redebeiträge für Kongresse oder den Rundfunk, die in adaptierter Form in einem Tagungsband oder einer Zeitschrift publiziert wurden.78 Diese Erstver­öffentlichungen wurden für Musik als existentielle Erfahrung nochmals überarbeitet, ohne dass dies eigens gekennzeichnet wäre. Auch für die beiden Neuauflagen des ersten Schriftenbands wurden die Texte weiteren Überarbeitungen unterzogen.79 Wie bereits Nonnenmann dargelegt hat, handelt es sich bei den Differenzen zwischen den Textgestalten – auch jenen zwischen Vortragstext, Erstveröffentlichung und Fassung letzter Hand – allerdings nur selten um inhaltliche Abweichungen, sondern in der Regel lediglich um Eingriffe redaktioneller Natur.80 Da der 2021 von Ulrich Mosch herausgegebene zweite Band der Schriften Helmut Lachenmanns erst in der Fertigstellungsphase dieses Buches erschien, werden die nach Erscheinen von Musik als existentielle Erfah­rung entstandenen Texte in diesem Buch nach den jeweiligen Originalquellen zitiert. Berücksichtigung fanden insbesondere jene, die über bloße Gelegen­heitsprodukte hinausgehen (konkret betrifft dies die Texte »Die Musik ist tot … aber die Kreativität lebt«81 (1997), »Philosophy of Composition. Is There Such a Thing?«82 (2004), »Kunst in (Un)Sicherheit bringen«83 (2006), »›East meets West? West eats meat‹ … oder das Crescendo des Bolero«84 (2008), »Kunst und Demokratie«85 (2009), »Tradition der Irritation. Nachdenken über das Komponieren, den Kunstbegriff und das Hören«86 (2012) und »Komponieren am Krater«87 (2016))88. Interviews und Gelegenheitstexte – wie etwa Würdigungen von Persönlichkeiten aus dem Musikbereich, CD-Booklets, Programmheft-Texte, Vor- und Geleitworte sowie kurze Statements und Kommentare zu Jubiläen und aktuellen kulturpolitischen Anlässen – gingen exemplarisch in das Korpus ein. Auch Texte, die ausschließlich in mündlicher Form vorliegen – dabei handelt es sich primär um Interviews und Diskussionen für Hörfunk und Fernsehen –, wurden zwar ausschnitthaft in die Analyse mit einbezogen, spielen aber gegenüber den oben erwähnten ›Haupttexten‹ eine untergeordnete Rolle.

Texte Lachenmanns: Ausführliche Diskursanalyse
  • Affekt und Aspekt

  • Aufgaben des Fachs Musiktheorie in der Schulmusik-Ausbildung

  • Bedingungen des Materials. Stichworte zur Praxis der Theoriebildung

  • Die gefährdete Kommunikation

  • ›Last meets West? West eats meat‹ … oder das Crescendo des Bolero. Materialien, Notizen und Gedankenspiele

  • Fragen – Antworten. Gespräch mit Heinz-Klaus Metzger

  • Geschichte und Gegenwart in der Musik von heute

  • Hören ist wehrlos – ohne Hören. Über Möglichkeiten und Schwierigkeiten

  • In Sachen Eisler. Brief an ›Kunst und Gesellschaft‹

  • Klangtypen der Neuen Musik

  • Komponieren am Krater

  • Komponieren im Schatten von Darmstadt

  • Kunst in (Un)Sicherheit bringen

  • Kunst und Demokratie

  • Musik als Abbild vom Menschen. Über die Chancen der Schönheit im heutigen Komponieren

  • Musik als existentielle Erfahrung. Gespräch mit Ulrich Mosch

  • Paradiese auf Zeit. Gespräch mit Peter Szendy

  • Über Tradition

  • Vier Grundbestimmungen des Musikhörens

  • Vom Greifen und Begreifen – Versuch für Kinder

  • Werkstatt-Gespräch mit Ursula Stürzbecher

  • Zum Problem des musikalisch Schönen heute

  • Zum Problem des Strukturalismus

  • Zum Verhältnis Kompositionstechnik – Gesellschaftlicher Standort

  • Zur Analyse neuer Musik

Texte Lachenmanns: Ergänzende Betrachtung
  • Accanto

  • Accanto. Musik für einen Soloklarinettisten mit Orchester (1975/76)

  • Air. Musik für großes Orchester mit Schlagzeug-Solo (1968/69)

  • Antwort zu ‚Das Schöne & das Häßliche‘

  • »Bewundernswerter Geist«. Nachruft auf Heinz-Klaus Metzger

  • Die Musik ist tot … aber die Kreativität lebt. Zum Festakt 75 Jahre Donaueschinger Musiktage am 18. Oktober 1996

  • Fassade für großes Orchester (1973)

  • Carsten Fastner, ›Ich verehre Morricone‹ (Interview)

  • Harmonica. Musik für Orchester mit Solo-Tuba (1981/83)

  • Herausforderung an das Hören. Gespräch mit Reinhold Urmetzer

  • Idée musicale

  • In aller Souveränität unscheinbare Menschlichkeit

  • Klangschatten – mein Saitenspiel (1972)

  • Kunst, Freiheit und die Würde des Orchestermusikers. An Vinko Globokar

  • Leserzuschrift zum Fusionsplan der beiden SWR-Sinfonieorchester

  • Luigi Nono oder Rückblick auf die serielle Musik

  • Mahler – eine Herausforderung

  • Nono, Webern, Mozart, Boulez. Text zur Sendereihe ›Komponisten machen Programm‹

  • NUN. [Werkeinführung]

  • Offener Brief an Hans Werner Henze

  • Philosophy of composition. Is there such a thing?

  • Präzision und Utopie. Die Musik des Komponisten Mark Andre lässt das Zuhören zum Hören werden

  • Selbstporträt 1975. Woher – Wo – Wohin

  • Siciliano – Abbildungen und Kommentarfragmente

  • temA

  • ›… total verformt natürlich‹. Helmut Lachenmann moderiert E- und U-Musik

  • Tradition der Irritation. Nachdenken über das Komponieren, den Kunstbegriff und das Hören

  • Trio fluido für Klarinette, Viola und Schlagzeug (1966) I

  • Über das Komponieren

  • Über mein zweites Streichquartett. (»Reigen seliger Geister«)

  • Über Nicolaus A. Huber

  • Über Schönberg

  • Von Nono berührt. Für Carla Henius

  • Von verlorener Unschuld

  • Zur Frage einer gesellschaftskritischen (-ändernden) Funktion der Musik

  • 1968. Ein Fragebogen

Interviews, Diskussionen und Rundfunk-Sendungen
  • Birkenkötter, Das Postmoderne in der Musik Helmut Lachenmanns am Beispiel der ›Musik mit Bildern‹ »Das Mädchen mit den Schwefelhölzern«

  • De Benedictis und Mosch, Alla ricerca di luce e chiarezza. L’epistolario Helmut Lachenmann-Luigi Nono (1957–1990)

  • Demmler, »Wo bleibt das Negative?« Podiumsdiskussion mit Heinz-Klaus Metzger, Helmut Lachenmann, Matthias Pinscher und Max Nyffeler

  • Gadenstätter und Utz, »Klang, Magie, Struktur«. Podiumsdiskussion mit Helmut Lachenmann

  • Hiekel, »Kritisches Komponieren, Glückserfahrungen und die Macht der Musik. Jörn Peter Hiekel im Gespräch mit Helmut Lachenmann, Hans-Peter Jahn, Martin Kaltenecker, Ulrich Mosch und Isabel Mundry«

  • Metzger, »Gespräch zwischen John Cage, Helmut Lachenmann und Heinz-Klaus Metzger«

  • Gielen, Orchesterfarben: Helmut Lachenmann

  • Hilberg, »›Nicht hörig, sondern hellhörig‹. Helmut Lachenmann im Gespräch«

  • Konold, »Distanz wegen Nähe. Gespräch mit dem Komponisten Helmut Lachenmann«

  • Ryan, »Musik als ›Gefahr‹ für das Hören. Gespräch mit Helmut Lachenmann«

  • Steenhuisen, »Interview with Helmut Lachenmann«

  • Still, Helmut Lachenmann ›Pression‹ with Lucas Fels

  • Struck-Schloen, »›Ernst machen: das kann ja heiter werden!‹ Helmut Lachenmann im Radiogespräch«

Texte des diskursiven Umfelds
  • Heister, »Neue Musik im 20. Jahrhundert und ihre Feinde«

  • Huber, »Intention und Wirkung. Zur Situation der Neuen Musik«

  • Ders., »Kritisches Komponieren«

  • Mahnkopf, »Adornos musikalische Moderne«

  • Ders., Kritik der neuen Musik

  • Ders., »Foreword«, in: Critical Composition Today

  • Ders., »Was heißt kritisches Komponieren?«

  • Ders., Kritische Theorie der Musik

  • Metzger, »Adornos ›Philosophie der neuen Musik‹ ein halbes Jahrhundert später«

  • Metzger und Riehn, »Editorial«, in: Geschichte der Musik als Gegenwart. Hans Heinrich Eggebrecht und Mathias Spahlinger im Gespräch

  • Oehlschlägel, Mit Haut und Haaren. Gespräche mit Mathias Spahlinger

  • Redaktion der Zeitschrift Kunst und Gesellschaft, »Musik im Klassenkampf«

  • Spahlinger, »politische implikationen des materials der neuen musik«

Texte über Lachenmann
  • Abbinanti, »Sections of Exergue/Evocations/Dialogue with Timbre«

  • Böttinger, »erstarrt/befreit – erstarrt?«

  • Brinkmann, »Der Autor als sein Exeget«

  • Cavallotti, »Präformation des Materials und kreative Freiheit«

  • Cox, »Helmut Lachenmann als romantischer Hochmodernist‹«

  • Ders., »Critical Modernism«

  • Domann, »›Wo bleibt das Negative?«

  • Etscheit und dpa, »Komponist Lachenmann setzt auf Hörner. Uraufführung in München«

  • Febel, »Zu Ein Kinderspiel und Les Consolations von Helmut Lachenmann«

  • Gottwald, »Vom Schönen im Wahren«

  • Grüny, »›Zustände, die sich verändern‹«

  • Handschick, »Visionen und Realitäten – Schüler-Kompositionsprojekte zwischen Kunstanspruch und Klischeeproduktion«

  • Häusler, »Vorwort des Herausgebers«

  • Hiekel, »Interkulturalität als existentielle Erfahrung«

  • Ders., »Erfolg als Ermutigung«

  • Ders., »Lachenmann verstehen«

  • Ders., »Die Freiheit zum Staunen«

  • Ders., »Ist Versöhnen das Ziel?«

  • Hinz, »Lachenmann lesen. Ein Kinderspiel«

  • Hockings, »Helmut Lachenmann’s Concept of Rejection«

  • Hockings, Jewanski und Hüppe, »Helmut Lachenmann«

  • Hüppe, »Über das Höhlengleichnis«

  • Ders., »Topographie der ästhetischen Neugierde«

  • Ders., »Rezeption, Bilder und Strukturen«

  • Ders., »Helmut Lachenmann«

  • Jahn, »Pression«

  • Ders., »›Schöne Stellen‹«

  • Jeschke, »Hören ohne zu und auf?«

  • Kabisch, »Dialektisches Komponieren – dialektisches Hören«

  • Kaltenecker, »Manches geht in der Nacht verloren«

  • Ders., Avec Helmut Lachenmann

  • Ders., »Helmut Lachenmann und das ‚kritische Orchester’«

  • Ders., »Hören mit Bildern«

  • Ders., »Was ist eine reiche Musik«

  • Kohler, »Zur politischen Dimension einer musikalischen Kategorie«

  • Lesser, »Dialectic and Form in the Music of Helmut Lachenmann«

  • Linke, Konstellationen

  • Mäckelmann, »Helmut Lachenmann, oder: ›Das neu zu rechtfertigende Schöne‹«

  • Mahnkopf, »Helmut Lachenmann: Concertini«

  • Ders., »Zwei Versuche zu Helmut Lachenmann«

  • Mohammad, »What has Lachenmann done with my Mozart?!«

  • Mosch, »Vorwort«

  • Nonnenmann, Angebot durch Verweigerung

  • Ders., »›Musik mit Bildern‹«

  • Ders., »Die Sackgasse als Ausweg«

  • Ders., »Was ist Musik?«

  • Nyffeler, »Himmel und Höhle«

  • Ders., »Sich neu erfinden, indem man sich treu bleibt«

  • o. V., »Eine kalte Dusche im Konzertsaal«

  • Rocha, »Where Does Music Start?«

  • Schmidt, E., »Mahler contra Lachenmann«

  • Schmidt, M., »Mozart gedenken. Erinnerung und Bild bei Helmut Lachenmann«

  • Shaked, »›Wie ein Käfer, auf dem Rücken zappelnd‹«

  • Sielecki, Das Politische in den Kompositionen von Helmut Lachenmann und Nicolaus A. Huber

  • Utz, »Klangkadenz und Himmelsmechanik«

  • Utz und Gadenstätter, »Vorwort«

  • van Eecke, »NUN?!«

  • Ders., »The Adornian Reception of (the) Child(hood) in Helmut Lachenmann’s ›Ein Kinderspiel‹«

  • Wellmer, »Über Negativität, Autonomie und Welthaltigkeit der Musik«

  • Ders., Versuch über Musik und Sprache

  • Zehentreiter, »Sensory Cognition as an Autonomous Form of Critique«

  • Zender, »Über Helmut Lachenmann«

Innerhalb der Texte über Lachenmann steht insbesondere die deutschsprachige Literatur im Fokus dieser Arbeit. Die englischsprachige Literatur dient dabei vor allem als Kontrastfolie, da sie die Spezifik des deutschsprachigen Diskurses nochmals klarer hervortreten lässt. Im Mittelpunkt stehen Lachenmann gewidmete Monografien und Sammelbände; auch einige Zeitschriften-Sonderhefte (MusikTexte 1997, NZfM 2006) sowie die beiden Lachenmann gewidmeten Ausgaben der Musik-Konzepte (1988 und 2000) sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung.

Unter den Lachenmann-Monografien sind insbesondere die beiden Bände von Rainer Nonnenmann – einem Musikwissenschaftler, der sich besonders intensiv mit Lachenmann beschäftigt hat – sowie Albrecht Wellmers Versuch über Musik und Sprache hervorzuheben, das als philosophische Auseinandersetzung mit der Musikästhetik Lachenmanns eine Sonderstellung einnimmt. Daneben haben sich Autoren wie Hans-Werner Heister, Jörn Peter Hiekel, Eberhard Hüppe, Hans-Klaus Jungheinrich, Martin Kaltenecker, Ulrich Mosch oder Jürg Stenzl wiederholt mit Lachenmann beschäftigt. Auch wenn diese Auseinandersetzung im Regelfall auf die Musik zielt, nehmen Lachenmanns Texte darin durchwegs einen hohen Stellenwert ein, wobei eine Frühphase der weitgehenden Identifikation mit der Position des Komponisten von einer Phase abgelöst wird, in der die Autor*innen vermehrt eigenständige Kategorien und alternative Deutungsmuster an den Gegen­stand herantragen.89 Unvermeidlich ist in diesem Zusammenhang, dass zahlreiche Texte in diesem Buch eine Doppelrolle einnehmen: Sie stellen einerseits eine unverzichtbare Quelle für das Verständnis von Lachenmanns Schaffen dar und werden andererseits als Bestandteile eines Diskurses ausgewertet, in dem sich bestimmte übergreifende Tendenzen beobachten lassen. Eine scharfe Trennung in Korpus und Sekundärliteratur wäre im Sinne methodischer Klarheit zwar wünschenswert, ist aber praktisch undurchführbar, weshalb die Lesenden ersucht werden, ein gewisses Maß an Ambivalenz zu tolerieren. Folgerichtig überschneiden sich die in Abbildung 1 angeführten Texte über Lachenmann mit jenen, die im Literaturverzeichnis unter »Sekundärliteratur« firmieren (siehe S. 258). Beispielhaft hinzugezogen wurden auch journalistische Beiträge wie Aufführungskritiken, Zeitungsinterviews sowie Radio- und Fernsehbeiträge.

Da die vorliegende Arbeit Lachenmanns Schriften als Fallbeispiel heranzieht, machen diese auch das Schwergewicht innerhalb des untersuchten Textkorpus aus. Um jedoch Verflechtungen innerhalb des Diskurses sichtbar zu machen, die diesen als solchen erst plastisch werden lassen, wurden ausgewählte Texte des diskursiven Umfelds mit einbezogen. Diese umfassen zunächst Publikationen der Komponisten, die Nonnenmann neben Lachenmann zum Kernbestand des Kritischen Komponierens zählt: Nicolaus A. Huber und Mathias Spahlinger, die sich – wenn auch in geringerem Umfang als Lachenmann – aktiv an dem begleitenden Diskurs beteiligt haben. Als wesentlicher Vermittler zwischen der ersten Generation der Kritischen Theorie und deren Adaption im Umfeld der ›neuen Musik‹ durch eine jüngere Komponisten­generation wurde Heinz-Klaus Metzger herangezogen. Ebenso berücksichtigt wurde mit Claus-Steffen Mahnkopf ein die Tradition der Kritischen Theorie fortschreibender Komponist und Philosoph, der den Diskurs des Kritischen Komponierens in einer Vielzahl von Publikationen mitgeprägt hat. Unter den zahlreichen weiteren Diskursteilnehmer*innen ist Nonnenmann als ein Autor hervorzuheben, der – mit zeitlicher Verzögerung und somit aus bereits historischem Blickwinkel – über mehrere der betroffenen Komponisten geschrieben hat und maßgeblich an der Ausdifferenzierung des Begriffs ›Kritisches Komponieren‹ beteiligt war. Somit ist Nonnenmann in einer Doppelrolle präsent, in der sich auch andere in der vorliegenden Arbeit zitierte Autor*innen wiederfinden: Sie sind Teil des Diskurses, den sie zugleich zum Objekt ihrer Forschung machen, treten also als Akteur*innen und als Expert*innen in Erscheinung – ein Umstand, der keine unbeträchtliche methodische Herausforderung darstellt.

Die Analyseschritte

Die Arbeit setzt sich aus drei Hauptteilen zusammen, die den oben erläuterten Schritten der Diskursanalyse entsprechen: Nach einer einleitenden Befragung der problematischen Doppelrolle von Komponist und (Text‑)Autor nimmt Teil I zentrale Denkfiguren in den Texten Lachenmanns unter die Lupe, wobei das Hauptaugenmerk auf der diskursiven Herstellung von Bezügen zwischen Musik und Gesellschaft liegt. Ein Blick auf Parallelen von Lachenmanns Texten zu den Schriften von György Lukács und Theodor W. Adorno (Kapitel 3) führt zu grundlegenden Konzepten des Lachenmann’schen Denkens (Kapitel 4) – etwa der an Begriffen wie Welthaltigkeit, Sprachcharakter oder Transzendenz festgemachten Vorstellung von Musik als klanglichem Phänomen, dessen Gehalt die akustische Sphäre überschreitet (4.1). Die spezifischen Verknüpfungen von Musik und Gesellschaft nimmt auch Kapitel 4.2 ins Visier, in welchem Lachenmanns von Adorno entlehnter Materialbegriff als Konzept vorgestellt wird, das bereits die musikalischen Mittel selbst – unabhängig von außermusikalischen Inhalten – als inhärent gesellschaftlich begreift. Schließlich zeigt Kapitel 4.3, wie Lachenmann den Hauptakzent von der Materialebene auf die Ebene der Wahrnehmung verschiebt, die sich als eigentlicher Ort des gesellschaftsverändernden Anspruchs des Kritischen Komponierens erweist.

Fairclough und Wodak zufolge zielt die CDA darauf ab, die häufig unbewussten ideologischen Aspekte und Machtverhältnisse innerhalb von Diskursen sichtbar zu machen.90 Im Gegensatz zu akteursbasierten, mikrosoziologischen Ansätzen wie dem symbolischen Interaktionismus – aber auch anders als an Foucault angelehnte Zugänge, die sich auf die »Positivität des Diskurses«91 beschränken – sieht die CDA den Blickwinkel der Akteur*innen nicht als unhintergehbare Letztinstanz, sondern zielt auf Wissensebenen »hinter dem Rücken der Subjekte«92, die diesen möglicherweise verborgen bleiben. In Übereinstimmung mit diesem kritischen Anspruch werden in Teil II wesentliche Topoi des Diskurses auf implizite und unhinterfragt vorausgesetzte soziokulturelle Grundannahmen hin untersucht, die sich in einer Traditionslinie der bürgerlichen Kultur des 19. Jahrhunderts verorten lassen (Kapitel 5). In Zusammenhang mit Themen wie Elitismus, Universalismus oder Eurozentrismus werden Spannungen zwischen demokratischen, partizipativen und egalitären Idealen auf der einen und konservativen, hierarchischen und elitären Tendenzen auf der anderen Seite sichtbar gemacht. Auch die implizite Gewichtung von Männlichkeit und Weiblichkeit verweist auf diskursive Ausschlüsse.

Nach diesen Nahaufnahmen tritt Teil III gewissermaßen einen Schritt zurück, um einen Blick von außen auf Lachenmanns Denken und das Kritische Komponieren zu werfen. Während bisher die Texte von Lachenmann das Zentrum der Betrachtung bildeten, nimmt Kapitel 6 verstärkt die Texte über Lachenmann und deren Verhältnis zu Lachenmanns eigenen Schriften ins Visier. Die Verortung des Diskurses im sozialen Feld der ›neuen Musik‹ schafft in Kapitel 7 schließlich jenen Kontext, dem im Rahmen der CDA besondere Bedeutung zukommt, bestimmt die Position der Subjekte innerhalb des sozialen Gefüges doch auch deren Positionierung im Diskurs: »To determine whether a particular (type of) discursive event does ideo­logical work, it is not enough to analyse texts; one also needs to consider how texts are interpreted and received and what social effects they have.«93 Da das Aufzeigen von Verbindungen zwischen dem Diskurs und anderen Elementen der sozialen Wirklichkeit ein zentrales Element der CDA darstellt, erschöpft sich diese nicht in reiner Textanalyse, sondern ist notwendig auf sozial­wissenschaftliche Methoden angewiesen.94 Nachdem die Durchführung empirischer Feldforschung den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde, greife ich zu diesem Zweck auf bestehende sozialwissenschaftliche Unter­suchungen zum Feld der ›neuen Musik‹ zurück. Dabei wird der Blick auch auf mögliche Diskrepanzen zwischen Diskurs und Praxis gelenkt.95 Die CDA schärft den Blick dafür, dass Diskurse stets ein Austragungsort von Machtkämpfen sind und die Vorherrschaft im sozialen Feld auf der Ebene des Diskurses erkämpft und verteidigt werden muss.

Die Arbeit schließt mit einigen grundsätzlichen Gedanken, die den Diskurs des Kritischen Komponierens im historisch gewachsenen Feld politischer Ästhetik verorten. Der Epilog richtet den Blick auf die komplexen Verstrickungen von ästhetischem und politischem Denken, die tief in der modernen Ästhetik verankert sind. Diese Reflexionen verstehen sich weniger als Zusammenfassung denn als tentativer Ausblick auf mögliche Denkrichtungen, welche über die in diesem Buch angestellten Überlegungen hinausführen.

Bei diesem Buch handelt es sich um eine überarbeitete Fassung einer Arbeit, die im November 2020 unter dem Titel Die Politik des Kritischen Komponierens bei Helmut Lachenmann. Ein Diskurs im Spannungsfeld von Musikästhetik und Musik­soziologie am Institut für Musikwissenschaft und Interpretationsforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien als Dissertation angenommen wurde. Ihr Zustandekommen verdankt sich in wesentlichem Ausmaß der kritischen Unterstützung und dem stets interessierten Nachfragen meiner Betreuer, Nikolaus Urbanek und Tasos Zembylas. Das Erscheinen dieses Buches wäre nicht möglich ohne die akribische Lektüre sowie die umsichtigen Anregungen meiner Lektorin Sophie Zehetmayer. Die Arbeit ist gewachsen an zahllosen kollegialen Diskussionen – insbesondere gilt mein Dank für herausfordernde Denkanstöße und konstruktive Kritik Cornelia Szábo-Knotik, Annegret Huber, Andreas Holzer, Julia Heimerdinger, Juri Giannini, Wolfgang Fuhrmann, Tia DeNora, Marie-Agnes Dittrich und Evelyn Annuß. Bedanken möchte ich mich auch bei Angela Ida De Benedictis von der Paul Sacher Stiftung Basel für die kompetente Erschließung und die freundliche Bereitstellung von Materialien aus der Sammlung Helmut Lachenmann. Karl-Jürgen Kemmelmeyer danke ich für wertvolle Einsichten in die Diskussion über eine neue Studienordnung für das Fach Schulmusik an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, an der Helmut Lachenmann beteiligt war. Nicht zuletzt gilt mein Dank Vitali Bodnar und Therese Kaufmann für die Unterstützung bei der Veröffentlichung dieser Arbeit und deren Aufnahme in das Verlagsprogramm von mdwPress.

Endnoten