Demokratiekritik des Populismus <-> Politiktheorie des Films

Drehli Robnik


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Robnik, Drehli. 2024. “Demokratiekritik Des Populismus <-> Politiktheorie Des Films.” In Populismus Kritisieren. Kunst – Politik – Geschlecht, edited by Evelyn Annuß, Ralf Von Appen, Sarah Chaker, Silke Felber, Andrea Glauser, Therese Kaufmann, and Susanne Lettow, 53–66. Wien und Bielefeld: mdwPress. https://doi.org/10.1515/9783839474303-005. Cite

Abstract

Abstract

The article represents an attempt at a critique of populism in three senses: firstly, in the sense of an analysis of »populist reason« (according to Laclau); secondly, in the sense of linking populist mobilization back to an egalitarian-democratic project (left-wing populism according to Mouffe); thirdly, in the sense of a radical democratic critique of identifying, totalizing forms in which a people is made to appear. At the same time, this making-appearance as well as an emphasis on popular conflict orientation is not abandoned; this is in accordance with the criticism of reductions of democracy in its current institutional forms – a criticism that populism, also in its exuberance of intensification and »thing-fixing«, can achieve. This is illustrated here using, among other things, references from populism theories to film theories as well as the social thriller Us (USA 2019).

Über den Autor

Über den Autor

Drehli Robnik ist Essayist und Theoriedienstleister in Sachen Geschichte, Film und Politik, sowie Edutainer und Disk-Jockey. Er »lebt« in Wien-Erdberg und ist Veranstalter der Vortragsreihe PolitikProjektionen und des Musik-Clubs Sonntag’sdisco in Wien. Robnik ist Autor von Büchern zur Geschichtsästhetik von Anti-Nazi-Widerstand in Film und Fernsehen, zu Jacques Rancière, Kontrollhorrorkino, Pandemie-Spielfilm, sowie zu populärem Kino und Politik (Ansichten und Absichten, hg. von Alexander Horwath). 2022 erschien, herausgegeben von Robnik zusammen mit Joachim Schätz, der 50 Beiträge umfassende Band Gewohnte Gewalt zu häuslich-männlicher Gewalt im »domestic thriller«. Ende 2023 erschien sein Buch Flexibler Faschismus. Siegfried Kracauers Analysen rechter Mobilisierungen damals und heute.

Übersicht

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Hießen diese Reihe (bzw. das auf ihr basierende Buchvorhaben) und ihre Aufgabenstellung »Rechtspopulismus kritisieren«, wäre es fast einfach: Rechtspopulismus wäre, als eine Mobilisierungsform anti-egalitärer, meist sexistischer und rassistischer Politik, die sich mit Kapitalinteressen gut versteht, ›einfach‹ abzulehnen, politisch zu bekämpfen. Was aber hier ansteht, ist Populismus – mit dem Anspruch, ihn zu kritisieren. Das heißt, dass Kritik gefragt ist: Problematisierung, Frage nach Grenzen legitimen Gebrauchs.

Für Kritik in einem solchen klassischen Verständnis scheint Populismus ein einziger Problemfall zu sein, ja, nachgerade ein politisches Jammertal von ›Kritik-Unfähigkeit‹ darzustellen – denn: Zurecht wird Populismus mit Politiken zusammengedacht, die von Aufhebung (bestimmter) geltender Regeln geprägt sind – von antiinstitutioneller Dynamik, Unsystematik, Überschwang. Eben da setzen einige Kritiken des Populismus an, etwa auch mit ethischer Tönung (Populismus in seiner rechten Form assoziiert mit dem Rabiaten und mit einer Versuchung, der gegenüber, so wird behauptet, die etablierte Politik stand- und Distanz halten müsse [Heitmeyer 2018]). Ich setze nun allerdings mehr auf die generelle Kracauer’sche Lektion, wonach Kritik weniger aus sicherer Distanz als in der Nähe zum Objekt sticht. Und in Sachen Populismus lege ich zunächst zwei – einander nahe – kritische Zugänge dar, die dieser Mobilisierungsform mehr abgewinnen. Es sind dies die in den Nuller- bzw. Zehnerjahren ausgearbeiteten politiktheoretischen Projekte von Chantal Mouffe und von ihrem Arbeits‑/Lebensgefährten Ernesto Laclau.

Laclau (2005) versucht, am Populismus dezidiert eine Rationalität darzulegen, eine Logik, Populist Reason. Er geht gerade von dem aus, was Populismus in vorherrschender bürgerlich-liberaler Einschätzung apriori als politisch defizient und verwerflich dequalifiziert. Populismus heiße, dass es viel Pathos und wenig durchformte Programmatik gibt; er sei eine Form, in der Politik von sachverständig Berechnenden auf unwissend Empfindende übergehe: Das lehnt der liberale Diskurs ab.1 Genau dort aber macht Laclau die populist reason fest – im Bruch mit dem Normalablauf, der Politik expertokratisch und institutionell-administrativ engführt. Was in diesem populistischen Bruch entsteht, ist ein militantes Volk als politisches Subjekt: Das populistische Pathos markiert diese Formierung von etwas (zumindest zum Teil) Neuem, das nie ganz auf soziale Milieus reduzierbar ist, die im Vornhinein existieren und sich bekunden. Populismus meint bei Laclau: Konstruktion eines Volkes in der überschwänglichen Besetzung politischer Forderungen, die nicht im Konzert der Interessensäußerungen von Gesellschaftsteilen aufgehen – Forderungen, die insofern auch den Rahmen formaldemokratischer Ausverhandlung übersteigen. Im Populismus formiert sich ein kollektives Gegensubjekt zur herrschenden Ordnung, das von dieser und im sozialen Normalablauf so nicht vorgesehen war.

Für Laclau lässt sich Populismus kritisieren, indem er auf seine innere Logik hin analysiert wird. Bei dieser Analyse spielt Laclau Fragen nach Zielen populistischer Mobilisierungen, auch die Links-rechts-Frage, fast kokett herunter – und fährt im Gegenzug das Moment einer nicht verhandelbaren feind*innenschaftlichen Beziehung des konstruierten Volkes zur herrschenden institutionellen Ordnung hoch. Genau hier setzt Mouffes (2018) mehrfache Populismuskritik an: Ihr Buch über Linkspopulismus zielt darauf, Populismus einzuhegen und an Voraussetzungen, zum Teil regelhafter Natur, rückzubinden. Nämlich: Die Einhegung betrifft dessen Feind*in-Moment, den Antagonismus, den Mouffe (nicht nur hier) ins Theorie- und Regel-Framework des Agonismus überführt sehen will; sie betrifft also die Austragbarkeit von Konflikten entlang einer Wir/Sie‑, Us/Them-Unterscheidung. Diese ist für Mouffe unabdingbar für Politik, zu ziehen aber eben zwischen legitimen Gegner*innen, nicht Feind*innen. Insofern kann populistische Militanz auch innerhalb eines formaldemokratischen Rahmens gegen die herrschende Ordnung angehen. Das ist nicht nur eine Konzept-Geste der Mäßigung. Sondern, erstens: Populistische Militanz wird so nicht mit dem quasi-apokalyptischen Maximalanspruch eines totalen Bruchs mit dem Gegebenen belastet. Zweitens: Der populistische Kampf innerhalb eines formaldemokratischen Rahmens gewinnt nun seinerseits die Dimension einer praktischen Kritik – Kritik eben an der Formalität etablierter demokratischer Ordnungen.

Populismus als Demokratiekritik verweist strukturell auf das notwendig Unvollständige demokratischer Ordnungen, auf ein kategorisches Immer-noch-erst-Kommen von Demokratie; und durch konkrete Forderungen kann diese Kritik darauf hinweisen, wie sehr gegebene Demokratien defizient sind, v.a. insofern sie Klassenherrschaften sind. Wie viel Rassismus, Kolonialismus, Heterosexismus, Ableismus oder Umweltzerstörung einer Demokratie innewohnt, ob das zu kritisieren, zu attackieren ist oder markant in den Bereich populistischer Mobilisierung fällt, sei dahingestellt. Und sicherlich zielen Mouffes (Rück‑)Bindungen des Populismus auf Linkspopulismus als einen Idealtypus.

Populismus ist an sich keine politische Programmatik oder Ideologie, sondern eine zielneutrale Form, ein Volk gegen die etablierte Macht zu konstruieren/mobilisieren (Mobilisierung als Konstruktion). In Mouffes Konzeption wird er zu einem Medium der Radikalisierung von Demokratie. So sieht es nicht nur sie; auch Feustel und Bescherer (2018) betonen diese Nähe von Populismus zu Demokratiekritik. Recht spezifisch im Theorie-Kontext ist Mouffes Ausgestaltung einer politisch wünschenswerten populistischen Konfrontation. Diese Konfrontation erfolgt erstens gegen neoliberal-kapital-oligarchische Regimes als heute zentrale Machtformation, zweitens ist sie getragen von einer Äquivalenzkette, einer Allianz mit geteilten Gegner*innen, hier als Allianz heterogener Forderungen nach effektiver Egalität in antirassistischer, migrantisch-aktivistischer, feministischer oder ökologischer Hinsicht. Damit ist betont, dass in einem populistischen Bündnis heterogene, vielheitliche Subjektpositionen und Ansprüche im Zeichen, im Namen einer geteilten Gegenpositionierung zusammengefasst sind. (Diese Heterogenitätsemphase steht auch dem liberalen Verdikt entgegen, populistische Bewegungen beanspruchten stets, das einzig legitime Volk zu verkörpern, fielen also im Grunde in eins mit nationalistischem Purismus; z.B. Müller 2016.)

Mouffe sieht die Demokratiekritik, die ein populistisches Projekt ihrer Präferenz an der oligarchischen, im Weiteren auch rassistischen, sexistischen Grundverfassung formaler Demokratien übt, auch an Ziele von Gleichheits- und Gerechtigkeitspolitik gebunden. Und sie sieht Populismus an ein ihm vorgesetztes Attribut gebunden, eben links: Sie theoretisiert und propagiert linken Populismus. So folgt prüfende Kritik des Populismus bei Mouffe auch der Links-rechts-Unterscheidung, für deren Wiederaufnahme im Sinn einer vielheitlichen Linken sie plädiert.

Schließlich bringt ihr Modell ein kritisches Verhältnis des Populismus zum Nationalismus ins Spiel: kritisch im Sinn von Abgrenzung – für Mouffe, wie auch für Agnes Heller, ist der oft als Parade-Populist zitierte Viktor Orbán kein Populist, sondern (neofeudaler Ethno‑)Nationalist (Mouffe und Misik 2018; Heller 2021). Kritisch ist das von Mouffe angedachte Verhältnis von Populismus zum Nationalismus auch im Sinn ihrer Bereitschaft, sich in kritische Nähe zum Nationalen zu begeben; in eine Nähe, kraft derer das politische Pathos und die Liebe, die viele Leute für nationale Heimat(en) hegen, nicht den Rechten überlassen wird. Diese Teilstrategie ist für links-egalitäre Projekte heikel, und Mouffes konkrete Vorschläge sind da nicht allzu überzeugend: Linker Patriotismus in Österreich könnte ja Stolz aufs »Rote Wien« oder die Psychoanalyse kultivieren (Mouffe und Misik 2018).

So attraktiv beides in vieler Hinsicht (nicht nur für mich) ist: Stolz aufs »Rote Wien« ist wohl eher für die Konstruktion munizipalistischer »Rebel City«-Genealogien (oder für sozialdemokratische Geschichts-Folklore) geeignet. Und Stolz auf die Psychoanalyse wird, so ist zu vermuten, anstatt ein Allianzprojekt zu motivieren, sich vielfach bloß auf urbane Bildungsmilieus beschränken. Vor allem ist Mouffes Hereinnehmen von Patriotismus m.E. kein gangbarer Weg für linken Populismus. (Salopp gesagt: Ich fürchte, dass unter dem Banner ›Linkspatriotismus‹ mehr an Aversionen gegen linke Identitätspolitik und mehr an – sozusagen legitimiertem – Patriotismus artikuliert wird als an linken egalitären Agenden.) Aber: Das Postulat, der Rechten konzeptuell und praktisch Wertobjekte streitig zu machen, setzt zum Teil Forderungen fort, wie sie unorthodoxe Marxisten um 1930 an die Linke herantrugen. Das sind also im damals avant la lettre ›post-identitär‹ angehauchten Marxismus eines Bloch (1985) oder Kracauer (2013) – teils ähnlich heute in Mouffes Heterogenitäts-offenem Linkspopulismus – Forderungen nach Allianzen, z.B. einem klassenübergreifenden, antifaschistisch-emanzipatorischen Projekt, und Forderungen, der Rechten manches, zumal Gefühle und Einzelmenschliches, nicht zu überlassen. Dieses Problem, welches heterogene politische Allianzgebilde wie z.B. Arbeiter*innen, Bäuer*innen, Migras und Queers in ihren gegenherrschaftlichen Kämpfen verknüpfen, sie auch über geteilte Gegner*innenschaften hinaus Äquivalenz-verketten könnte – dieses für Linkspopulismus grundlegende Problem stelle ich nur in den Raum. Samt dem Hinweis darauf, dass populistische Politik sich nicht (wie Feustel und Bescherer [2018] andeuten) als politischen Gestus einer reinen Öffnung verstehen lässt; vielmehr – wie oben angespielt anhand von Sinn fürs Ganze – umfasst Populismus Teil-Schließungen mit: also Setzungen (auch Grenz-Setzungen, aber definitiv keine nationalen, kolonialen oder festungseuropäischen), die notwendig zu kritisieren, aber nicht weg zu reduzieren sind. (Wegreduzierbar sind sie auch nicht durch jene Art von Ambivalenz-Orthodoxie, die heute verbreitet ist.)2

Um den Überbegriff Populismuskritik weiter zu entfalten: Meine Legitimitätsfragen münden in Skepsis gegen einen Populismus, der Volk in seiner Fülle, vollen Identität und Präsenz geltend macht. Und in ein Wahrheitsmoment radikaler Demokratie, die den Populismus hinaustreibt über das zielneutrale reine Erfolgskalkül von Gegenmacht, egal welche (oder auch Antikapitalismus, egal welcher – bis hin zu quergedachten Ressentiments gegen »Finanzkapital« und »Big Pharma«). Radikale Demokratie als Bewahrheitung von Populismus führt zu Fragen der Wahrnehmung im emphatischen Sinn eines Nehmens von Wahrheit – Aufnehmen als Perspektivieren, Zu- und Aufteilen von Wahrheit, gar einer découpage und Montage von Wahrheit, zum Schnitt, der ZusammenSpalt stiftet, zur Schere, die aufteilt und in der Spaltung zusammenfügt. Das Diagramm-Objekt der Schere als Vergegenständlichung eines problematischen sharing, einer Aufteilung im ZusammenSpalt, bringt uns nah zu meinem Referenzfilm Us; und zwar lose entlang einer Theorie des Films, wie Heide Schlüpmann (2002) das (mit Siegfried Kracauer) formuliert hat: Gemeint ist Theorie, die vom Film ausgeht und mit der wir ›mitgehen‹ können; und Film in dieser Hinsicht nicht als passives Objekt der Anwendung von oder Erfassung durch Theorie, sondern als objekthafte Agentur von Theorie, von Einsicht. Das umfasst Einsicht auch ins Objekthafte von Menschen, zumal unter Bedingungen kapitaler und imperialer Verdinglichung, sowie Einsicht in die Passivität und die Passionen, die bei jeder Agency, auch politischen, ins Spiel kommen (um zu bleiben).

Theorie des Films und Kritik des Populismus, das ist jeweils im Doppelsinn formuliert. Aber es gibt keine intrinsische, innere Notwendigkeit, kraft derer Film auf egalitärer Politik bzw. Demokratiekritik aufbaut oder umgekehrt. Es bleibt eine kontingente Verknüpfung und ist umso mehr wert, in sie zu investieren: in Film – im vorliegenden Kontext Mainstream-Film (salopp gesagt das, was auch in Kleinstädten im Multiplex läuft) – als Wahrnehmung, die ein Zeigen/Sehen und auch dessen Problematisierung umfasst.

Ich resümiere: Populismus heißt Mobilisieren und In-Bewegung-Zeigen eines militanten Volks, das bislang unsichtbar war. Er hat seine kritische Wahrheit im Radikalisieren von Demokratie: Demokratie in ihrer Unvollständigkeit – ja, als politische Einrichtung schlechthin der Wahrung der Unvollständigkeit von Gesellschaft. Dieses Wahrnehmen von Unvollständigkeit wirkt auch auf die populistische Setzung zurück.

Um noch einmal auf Laclaus (2005, 149-152) Populismustheorie zu rekurrieren, und zwar nunmehr auf seinen Gedanken eines Underdog als populares militantes Subjekt: Im Normalablauf funktional gegliederter Gesellschaften haben wir gleichsam oben und unten im Komplementärverhältnis vor uns – etwa, schematisch gesagt, Kapital oben, Lohnarbeit unten; beide gleichen ihre Interessen gegeneinander ab. Es herrscht quasi Ruhe und die Leute sind an ihrem jeweils zugewiesenen Ort tätig. Im Fall der Unterbrechung dieses Normablaufs identifiziert sich die Unterseite ein Stück weit mit der Figur eines zur Ordnung heterogenen, verworfenen Underdogs. In unserem klassischen Klassen-Beispiel: Das Volk der Lohnarbeit positioniert sich nicht über Funktionserfüllung (»Die Arbeit hoch!«), sondern etwa als »Verdammte dieser Erde«, die ausgeschlossen sind aus der produktivistischen Komplementarität – und deren Veränderungsanspruch aufs Ganze der Klassenordnung zielt. Das sind Konturen eines Aufstands von Underdogs, die nicht am zugewiesenen Ort bleiben. Laclaus (2005, 113f.) Populismustheorie verfährt oft im Modus der Psychoanalyse. Anders als vielleicht erwartet: Es geht ihm nicht, wie im Freudianismus der Kritischen Theorie, um analytische Distanz zum ›Regressiven‹ des Populismus (zu ›Ichverlust‹ oder neurotischen Fixierungen in der Masse). Sondern es ergibt sich ein unerwarteter Film(-Theorie)-Konnex am Schauplatz des Populismus – und die Frage: Was ist sein Ding? Die Referenz ist da etwas verwickelt: Laclau zitiert ausführlich die Lacanianerin Joan Copjec und deren Bezugnahmen auf Filmtheorien von Bélà Balász und v.a. Gilles Deleuze, nämlich deren Theorien der Großaufnahme (bei Deleuze 1989, 143-154: Affektbild). Der Witz daran ist: Close-up bedeutet seinem Potenzial nach – und manchmal wird das akut spürbar – nicht einfach das Herauspflücken eines partikularen Teils, Partialobjekts, aus dem Ensemble einer Szene; vielmehr bringt das jeweils vergrößerte Objekt das Ganze der Szene zum Ausdruck. Laclau nennt das die »elevation«, die Erhebung eines relativ beliebigen partikularen Objekts zum Status eines Dings, das für die Ganzheit und Fülle einer Situation einsteht. Ein Detail erfährt Überbewertung, durch die es das Ganze zur Geltung bringt. Laclau lenkt ein, dass wir uns da wohl fragen: Was hat das mit Populismus zu tun? Und er sagt kokett: alles.3 Nämlich: Die Erhebung des Teils zum Status des Vollen und Ganzen – eines unmöglichen Ganzen, weshalb die Erhebung stets ein vermessener Anspruch ist – entspricht der (hegemonie‑)politischen Logik eines universellen Projekts, eingerichtet an einem kontingenten partikularen Punkt. Und so wie die Großaufnahme, ist der Populismus die pathetisch aufgeladene Form dieses Projekts.

Um dies nun mit Bezug auf den Film Us plastischer zu machen: Dass das Ganze von Filmen in ihren Details zum Ausdruck kommt, dieser Anspruch ist heute im Mainstream-Film(-Konsum) nachgerade standardisiert. Ich meine das routinemäßige Absuchen filmischer Texturen nach Easter Eggs, sprechenden Details, Zitaten und Querverweisen, in Close-up oder als aufdringliches ›Ding im Bild‹. Jordan Peeles Filme Get Out und Us sind dahingehend exemplarisch und gewitzt. Peeles Us – Wir aus dem Jahr 2019 ist eine Hollywood-Horrorsatire über Gesellschaft in Spaltung in oben und unten – und einen Aufstand der Unteren. Der Aufstand zeigt ein zuvor inexistentes Volk. Und: Us macht wahrnehmbar und problematisierbar, wie sehr die Mobilisierung von militantem Volk rückgebunden bleibt an einen evil twin des Populismus (im Zeichen einer bereits angesprochenen Krise innerhalb dieser Mobilisierungspolitik).

Das politische Geschehen in Us konfrontiert uns mit einer Wir/Sie-Unterscheidung zwischen oben und unten, dynamisiert durch den Aufstand einer Unterwelt-Population. Eine ›Erhebung‹ ließe sich diese Elevation nennen, in Anklang an die Laclau’sche »elevation« eines Partikular-Elements zum Anspruch auf den Status des für die gesellschaftliche Ganzheit einstehenden Dings sowie mit Verweis auf den politisch-topografischen Doppelsinn des Nach-oben-Steigens dieses Volkes – ließe sich so nennen, würde nicht die Rede von einer ›Volks-Erhebung‹ uns unversehens in den Jargon nationalsozialistischer Mobilisierungspropaganda versetzen. (Zu denken wäre etwa an die Titulierung von Graz als »Stadt der Volkserhebung« seitens der Nazi-Propaganda ab 1938.) Das heißt: Unversehens kommt der Überschwang und Ganzheitsanspruch einer »population in elevation« der Nazi-Rhetorik und faschistischen Vorstellungen von »Volk in Bewegung« unangenehm nahe. Prekäre Naheverhältnisse zwischen revolutionärer Politik und ihrer feindlichen Aneignung/Pervertierung von rechts, das ist ein großes Thema im kritischen Rückblick auf historische Faschismen. Auch heute wird populistische Elevation eines Partikular-Dings zum Ganzen als rechtspopulistische ›Volks-Erhebung‹ virulent – und dabei ein krasser Problemfall von Sich-Berufen auf Underdog-Status.

Ich meine Corona-Maßnahmen-Verweiger*innen und Querdenker*innen. Deren Mobilisierungen 2020-20234 sind ein Beispiel populistischer Konstruktion eines militanten Volkes: Leute verschiedener Klassen, Alltagsmilieus und Parteipräferenzen (wenn auch mit einem Überhang der Mittelschichten bzw. von Sozial- und Gesundheitsberufler*innen) sowie ein gewisses Spektrum an Forderungen – mit eher ökologischem Spin (Attacken auf »Big Pharma«), Unbehagen an Expertokratie (Drosten oder Covid-Kommissionen), Staatskritik (angesichts der Einschränkung von Bewegungsfreiheit), ins Libertäre gewendete klassisch-liberale Agenden (Warnung vor »Meinungsdiktatur« und »Zensur«) – verbanden sich in einer Äquivalenzkette mit völkisch-biopolitischer Dominante, zunehmender rechter Organisationshoheit und geteiltem Gegner: »die Regierung« und deren paranoisch unterstellte konspirative Strippenzieher*innen.5 Jenseits demokratischer Ausverhandelbarkeit situiert war dabei die Erhebung eines Partikular-Dings zum Objekt, objective (Ziel), das Fülle und Ganzheit verkörpert: Maske und Impfung wurden zum Ding erhoben, das über Freiheit und Unfreiheit entscheidet. Aus totaler Unfreiheit, Fremdbestimmtheit und Diktatur sah dieses populare Subjekt sich durch Abschaffung von Impf- und Maskenpflicht zur totalen Freiheit zurückgelangen – die diesem Framework zufolge bis März 2020 völlig intakt uneingeschränkt gewesen sein muss.

Hier kommt ein Evil Twin des populistischen Underdogs zum Tragen. Viele Querdenker*innen sahen und inszenierten sich als physisch von exzessiver Staatsgewalt Betroffene, trugen vereinzelt das »I can’t breathe!« des rassistisch ermordeten George Floyd als Kleidungssujet (in Anspielung auf die zu tragende Schutzmaske) und schon etwas häufiger Davidsterne mit Aufschrift »Ungeimpft« und ähnliche Holocaust-Anspielungen. So zeigten sie sich in Identifikation mit dem Status verfemter Opfer staatlich-rassistischer Selektion und Gewalt. Dies allerdings als Ausdrucksform einer Machtfantasie: Die Selbstviktimisierung mit Davidstern erfolgte nicht zuletzt aus dem implizierten Verschwörungsglauben heraus, es verleihe Jüd*innen Macht, wenn sie auf Opfererfahrung im Holocaust hinweisen – Definitionsmacht, ›Nobilitierung‹. Hinzu kommt jenes Feel-good-Moment an der geteilten Inszenierung der eigenen empfundenen Opferrolle, auf das Simon Strick (2021, 65; 137) als ein Element rechter Mobilisierung im Modus vergemeinschaftender Gefühlspolitik hinweist.

Im Sinn des Genießens des Umschlags imaginierter Opferschaft in imaginierte Allmacht sind die selbsterklärten Stigmatisierten allmächtige Underdogs – in ihrer Mobilisierung grundsätzlich allwissend, alles durchschauend;6 dies zumal kraft Verschwörungsfantasien, die – auch wenn sie nicht gleich direkt auf George Soros zielen – strukturell antisemitisch sind. Desgleichen wird der durch den »Impfzwang« vergiftungsbedrohte Volkskörper – der die als Körper »unserer Kinder« als einen besonders bedroht gefühlten Kernbestand, nachgerade Schatz, umfasst – aufgerufen, seine Macht zum Selbstgenuss zur Geltung zu bringen: Corona-Demos verbinden die Anmutung von Feuerwehrfest-Gaudi unmittelbar mit Anspruch auf das Staats-Macht-Ganze, bezeugt mittels rotweißroter Landesfahnen, vorzugsweise mit offiziösem Bundesadler. Anstelle von Forderungen steht ein Anspruch auf totale Freiheit im politischen Raum, auf ungehemmt erfüllte Selbst-Präsenz, aufgeladen mit dem Nimbus souveräner Gewalt auf Augenhöhe mit dem Staat.7

Bei dieser rechtspopulistischen Mobilisierung fällt genau die Populismuskritik, das herrschaftskritische Moment am Populismus, weg: die Bindung an die Vertiefung von Demokratie in ihrer Unvollständigkeit – von Demokratie als Einrichtung der Wahrnehmung von Unvollständigkeit (sei es Demokratie alltagspraktisch im Sinn rechtsstaatlicher Einhegungen und von Ansätzen solidargesellschaftlicher [Selbst-]Beschränkung, sei es Demokratie ideell, potenziell oder im Kommen) – als Durcheinander-Sein nicht-souveräner, zueinander kontingenter Körper und Subjekte. Keine Populismuskritik, keine Radikalisierung von Demokratie: Hetze ist nicht Kritik; völkische Enthemmungsdrohungen sind nicht radikal (auch wenn es in TV-Reportagen über Corona-Demonstrationen hieß, diese würden »immer radikaler« – gemeint war ja: immer gewalttätiger).

Dagegen das Radikal(demokratisch)e an Us (weiterf. Robnik 2021): Das populistische Ding ist hier unmittelbar die elevation als gespaltene, ebenso eine Spaltung der population. In Us ist die ›Erhebung‹ in sich gespalten: in die Erhebung eines unterirdischen Underdog-Volkes zu einem monströsen Volksmassen-Ding – und in eine elevation, die der Zerstreuung in ein Ding-Milieu gleichkommt. Eine Ausprägung dieser Spaltung ist die Aufspaltung der Religions- und v.a. Pessach/Oster-Thematik von Us. Zum einen das Fest des Auszugs aus der Unterdrückung bzw. das der Totenwelt-Auferstehung einer charismatischen Führungsperson (Lupita Nyong’o in einer Doppelrolle, wie alle Darsteller*innen in Us), dazu (Oster‑)Hasen und der Bibelvers Jeremias 11:11, beides oft im Bild. Relevant ist der Vers weniger inhaltlich (eine Verhängnis-Drohung Gottes an die Menschen) denn als Zeichen 11:11. Elf bzw. Doppel-Elf fügen sich als Bildmuster (vier Striche) in eine mehr motivische denn thematische Serie von Easter Eggs ein – auf der anderen Oster- und Offenbarungs-Linie des Films. Auf dieser ist revelation durchkreuzt und verzeitlicht durch elevation im Sinn der Ausstreuungen des Motivs eleven, der Doppel-Elf, über die Textur von Us: 11:11 als Uhrzeit, Baseball-Spielstand, Autonummer, Vier-Striche-Kratzer auf einer Stirn, IIII-Logo der kalifornischen Hardcore-Punkband Black Flag auf drei T-Shirt-Sujets.

Wir haben es hier mit einer elevation zu tun, die gerade nicht ›voll auf die Zwölf‹ geht, sondern voll auf eleven, also aufs Unganze geht. Elf ist die Zahl zwillingshafter Verdopplung, wie sie Us durchzieht, zugleich Zahl der Unvollständigkeit, Unrundheit, des Rests, wie das in Us anhand der »desidentifizierten« (zu diesem Begriff: Rancière 2002, 148) Masse zum Ausdruck kommt (dazu gleich mehr): nicht zehn, nicht ein Dutzend; etymologisch abstammend vom germanischen Wort für »eine*r übrig«. Spielen wir kurz das deutsche »Eleven« als kleines Motto ein: Elev*innen sind Leute, die lernen. Lernen ist prozessual verzeitlichtes Wissen: Es vollzieht sich entlang von Uneindeutigkeiten, Annäherung, Entschlüsselung. Dieses Elevische in Us betrifft das Entziffern der Easter Eggs und Popkultur-Referenzen, aber auch Sehen und Hören im Atmosphärischen, im Unterton, im Augenwinkel, im Anschnitt; das »elevische Lernen« betrifft weiters – in eher narrativer Hinsicht – die immer neuen Rekausalisierungen der mysteriösen Vorgänge entlang der Ober- und Unterwelt-Spaltung. Us konfrontiert uns nämlich mit einem gewissen Erklärungs-Overload für die Existenz und ›Erhebung‹ der Unterwelt-Population der im Plot sogenannten »Tethered«, der »Zusammengehängten«. Der Film verfährt dabei eben nicht so liberal, dass er das Wie und Warum einfach offenlässt, sondern reißt verschiedene, auch divergente, kausallogische Rahmungen an und setzt sie gegeneinander. Heraus kommen nicht plot holes, sondern die Vermittlung eines Sinns dafür, dass politische Artikulationen und gesellschaftliche Aufteilungen nie restlos aufeinander reduziert werden können.

Neben Horrorfilm-Standards wie Spiegel, Schatten, Doppelgänger und Portal werden diverse Regierungs-Verschwörungs-Narrative angetippt oder ausbuchstabiert. Der ikonische Korridor im Unterwelt-Quartier verbindet mehrere klassenbezogene Zuschreibungen: eine Anmutung von ›Brennpunkt-Schule‹, von Shopping-Mall, von Gefängnis. Das Klassen-Framework hat allerdings dort Grenzen, wo Ober- und Unterwelt in Us sich, gerade weil sie zueinander Zwillingsvölker in telepathisch-unbewusster Mimesis-Beziehung sind, eher als geschlossene Milieus erweisen: Sie interagieren nicht, weder durch Ausbeutung noch durch soziale Mobilität; Auf- und Abstieg Einzelner ist gänzlich irregulär (eine Singularität, die in der Plot-Entfaltung zum Aufstand führt).

Zugleich ist dieser Film mit seinem (Quasi‑)Klassen-Thema sowie mit seinem Fokus auf der sozialen Trauma-Biografie einer »middle-class«-Frau und Familienmutter auch ein Film, der weißen Rassismus konfrontiert; gerade weil Peele, Autor/Regisseur von Get Out, die Erwartung, auch in seinem Nachfolgefilm Us ginge es zentral um Rassismus-Erfahrung, unterläuft und »matter of fact«-mäßig die All-American-Mittelklassefamilie, das U.S.-Us, das protagonistische Wir Schwarz besetzt. Warum sollten African Americans, als Figuren der Kritik sozialer Verhältnisse, aufs Rassismus-Thema festgelegt sein? (Im Film kommen rassialisierte Reichtumsdifferenzen zu der weißen Familie und Klassenherkunftsspaltungen innerhalb Schwarzer Sozietäten von dort aus hinzu.)

Es treten also Kausalkontexte in Reibung zueinander und das betrifft schließlich auch den Charakter des Aufstands. Dieser vollzieht sich zum einen als landesweites Morden der »Tethered« an ihren jeweiligen Oberwelt-Zwillingen. Diese Gewaltakte führen aus der Politik heraus und sind nicht zuletzt ein Zugeständnis ans Horrorgenre. Zum anderen entspricht der Aufstand der Forderung seiner Organisatorin Red, er solle, wie sie sagt, ein »Statement« sein, »that the world would see«. Und er ist in seinem Erscheinungsbild eine Form praktizierter Demokratiekritik, das Reenactment ihrer Kindheitserinnerung an das 1986er Menschenkette-Charity-Event Hands Across America als einer Leerform von Solidarität. Red nimmt das bloß formale Versprechen von Solidarität qua Reziprozität/Überkreuzung »Hand in Hand« beim Wort. Und so konstruiert sich ein Underdog-Volk als Menschenkette in roten Overalls (Farbe und Montur der Arbeiter*innenbewegung). Und der Familienvater kombiniert sinnig – während seine Tochter »cringingly« die Augen rollt –, die Menschenkette sehe aus wie »some fucked-up performance art«.

Performance steht da im Raum des Wir. Judith Butler gibt – in Fortführung ihrer Infragestellung körperlicher Ursprünglichkeit – unter dem der US-Verfassungspräambel entlehnten Titel »We the People« Folgendes zu verstehen: Die selbstkonstitutive Deklaration des Volkes liegt immer schon in dessen Versammlung. Allerdings: Im Gegensatz zum Vitalismus und zur Präsenz »von aufbrausenden Mengen«, auf die heutige Rechtspopulismen setzen, geht es ihr – ohne das Pathos-Moment von Wut gänzlich zu verwerfen – primär um ein egalitäres Zusammen unvollständiger, abhängiger, gerade darin zusammenhängender Körper. Dieses manifestiert sich in der Bezeichnung als Verzeitlichung dieser Körper: Anstelle des großen Jetzt völkischer Einheit in Evidenz erscheint eine »Reihe« »performativer Inkraftsetzungen« der Frage, »wer das Volk ist und was es will« (2017, 41; 43; 51-54).

Im Zeichen des Mottos »We the People« fragt sich: Wer ist das Volk von Us, und was will es? Es wendet sich an unsere Wahrnehmung, fordert sie heraus. Aber gerade nicht im Wege von Überwältigung. Viele Filme, zumal (Zombie‑)Horror‑, SciFi- und Action-Filme, beschwören eine Augenblicks-Offenbarung des Volkes, ein Fantasma des Aufwachens nach Art von: Endlich – das Volk in seiner Fülle und Präsenz! Us hingegen mündet in eine Offenbarung, die sich selbst infrage stellt: Us bietet sehr wohl die elevation einer population; Underdogs bleiben nicht am Platz. Aber die Menschenkette ist im Film mehr wahrgenommen als gezeigt und entbehrt somit der Apokalyptik, die Inszenierungen von Volk im Aufstand oft anhaftet.

Bezeichnend ist das Filmende: Eine Helikopter-Kamerafahrt moduliert unerwartet von der typisch redundanten, Abspann-tauglichen Schlusseinstellung von oben in den Blick der Staatsmacht, dem sich neben anderen Helikoptern die endlos über Hügel gezogene Menschenkette zeigt – allerdings undeutlich, teils kurz im Überfliegen, teils als zartes rotes Muster im Landschaftspanoramagrün. Eher Suchbild denn Evidenz ist die Anmutung der Totalaufnahme, die den Aufstand als landesweiten vorführt, in Ansätzen feiert, zugleich aber eigentümliche Verhaltung und Fraglichkeit mit artikuliert. Dazu erklingt Minnie Ripertons Les Fleur [sic!]; diese New-Age-Soul-Hymne von 1971 gibt uns ein Zählproblem mit: Eine Blume oder viele? Oder Menschenkette als Kollektivsubjekt? Eleventy heißt »unbestimmte große Menge«.

Sozialer ZusammenSpalt: Us inszeniert die elevation einer population und hält beide gespalten. Die Ding-Ausformung dieser Spaltung ist die Schere, im Film motivisch ausgestreut als Waffe und Muster, vom Schere-Stein-Papier-Spiel über das Rad, das die weißen Zwillinge am Strand schlagen, bis zu überkreuzten Händen der Menschenkette. »Schere zwischen Arm und Reich« existiert als Ungleichheits-Diagramm nur im Deutschen; die ›soziale Schere‹ von Us verbindet aber, darüber hinausgehend, das Konflikt-Moment des Schnitts, der Wir/Sie-Differenz, mit der Gebundenheit des Oben an das Unten: mit der Unmöglichkeit der Besitzenden, sich abzusetzen, die ›da unten‹ abzuhängen, mit der teilweisen Unbestimmtheit des aufständischen Volkes, das mehr Fragezeichen denn Projektionsfläche ist. Um es mit Zeichen zu sagen: Die Ausformung des 1111 bzw. IIII der Vielen zur Menschenkette ergibt, leicht versetzt, Winkel der verbundenen Arme über dem der breit aufgestellten Beine, eine Serie XXXX. Das alte Schriftsymbol für Kampf oder Schlacht (gekreuzte Schwerter) verbindet sich mit dem X: Eine militante Unbekannte hält Populismuskritik als Wahrung der Unvollständigkeit von Volk aufrecht.

Endnoten

  1. Ähnlich Rancière (2017): Populismus sei ein Label, unter dem die herrschende antipolitische Doxa demokratisch aktive Subjekte mit unwissenden Massen gleichsetze.↩︎

  2. Was wäre/ist ein linkspopulistisches Mobilisierungsprojekt? Etwa die Donnerstagsdemos 2018/19 in Österreich, v.a. Wien. Eine Mosaik-Linke mit grünen und queeren Zügen plus Liberale und christlich motivierte Bürgerliche, v.a. Junge und Alte (kaum 40- bis 50-Jährige), versammelte sich wöchentlich zum lauten, musikalisierten Straßenzug mit Fokus auf gemeinsame Gegner*innen: rechtsnationale Rassist*innen in der türkis-blauen Regierung. Als Sebastian Kurz sein neoliberal-autoritäres Projekt ab 2020 ohne die FPÖ fortsetzte, endete auch die Do-Demo-Bewegung (mündete aber in die Gründung der Wahlplattform LINKS). Spannend war der Ansatz dieser Demonstrationen, eine Reihe diverser Forderung als separate Wochen-Leitthemen zu forcieren: diesen Donnerstag race, nächsten Donnerstag class, dann gender, aber auch Ökologie und Burschenschaftler-Netzwerk-Kritik, geklammert unter der ›Dachmarke‹ Do(nnerstag) als – im laclauschen Sinn – kontingentem »Partikular-Ding«, das die »Fülle des Projekts« verkörperte (siehe Robnik 2019).↩︎

  3. Im Wortlaut: »The reader would perhaps ask herself: what has all this to do with popular identities? The answer is very simple: everything« (Laclau 2005, 114).↩︎

  4. Ich beziehe mich dabei u.a. auf meine Beobachtungen als Zuseher bei Anti-Corona-Maßnahmen-Großdemonstrationen in Wien im März 2021, im März 2022, im Mai 2022 sowie – quasi als Siegesfeier angelegt – im März 2023.↩︎

  5. Zu den breit gestreuten – vielfach aus sozialtherapeutischen Intelligenz-Milieus und vormaligen links gepolten Gegenkulturen stammenden – Teilnehmendengruppen von Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen siehe Amlinger und Nachtwey 2022, 253-255; 268. Zur politisch-ideologischen Amalgamierung eines kontingenzvergessenen, aus sozialen Bezogenheiten herausgelösten fundamentalindividualistisch enthemmten Freiheitskonzepts (»verdinglichte Freiheit«) mit einer Aggression gegen Sündenbock-Gruppen, denen Urherber*innenschaft an der Einschränkung der betreffenden Selbstentfaltungs-Freiheit zugeschrieben wird, zum in sich spannungsreichen Syndrom eines libertären Autoritarismus, als Triebkraft insbesondere auch von Corona-Protest- und »Querdenker«-Kollektiven siehe Amlinger und Nachtwey 2022, etwa 12-17; 177f.; 182; 190; 200.↩︎

  6. Zur Kritik eines durch verschwörungsgläubige Online-Kommunikation »souveränisiert[en]« Selbst, das »Avantgardebewusstsein« und den »Anschein eines parrhesischen, eines rückhaltlos wahrsprechenden Subjekts« für sich reklamiert vgl. Moser 2022, 79f. Ähnlich, ebenfalls unter Heranziehung des Foucault’schen »Parrhesia«-Begriffs, über das selbst zugeschriebene, häufig verschwörungsglaubensgesättigte »exklusive Wissen« von Corona-Maßnahmen-Gegner*innen, Amlinger und Nachtwey 2022, 192; 203; 261; 273; 278.↩︎

  7. Wie wenig es die Teilnehmenden stört, dass auf Corona-Demos der Mord am jüdischen Volk per Kostümierung bagatellisiert wird, könnte mit darauf beruhen, dass durch den Davidstern-Karnevalismus eine Population, die in breiter Wahrnehmung mit Ge- und Verboten assoziiert ist – von den Zehn Geboten bis zu Holocaust-Gedenk-Imperativen, die von rechts als »Schuldkult« diffamiert werden –, dass damit also das jüdische Volk in seiner (zugeschriebenen) Eigenschaft als Kollektivsubjekt von Gesetzlichkeit emuliert wird. So wie die Staatsgewalt geht in diesem Sinn auch Gesetzeskraft auf die Teilnehmenden am Demo-Ritual über. Zum Ressentiment derer, die sich »versammeln«, um »den Augenblick der autoritären Freigabe des Verbotenen zu zelebrieren«, im antisemitischen Affekt gegen das Judentum als jene, die – historisch bzw. geschichtsphilosophisch gesehen – »den Individualismus, das abstrakte Recht, den Begriff der Person propagierten« (siehe Horkheimer und Adorno 1969, 184; 193).↩︎

Literatur

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Deleuze, Gilles. 1989 [1983]. Das Bewegungs-Bild. Kino 1. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

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Laclau, Ernesto. 2005. On Populist Reason. London/New York: Verso.

Moser, Jeannie. 2022. »Das Misstrauen der ›Querdenker‹-Mesalliance.«. In WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung 19, 2.

Mouffe, Chantal und Robert Misik. 2018. »For a Left Populism.« Podiumsgespräch, Stadtkino Wien 29.9.

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Robnik, Drehli. 2019. »We all go to the do!-Show: Die Donnerstagdemos als Struktur von Allianz-Politik.« Erweiterter Mosaik-Blog-Eintrag. Stand: 16.3.2022. https://independent.academia.edu/DrehliRobnik.

Robnik, Drehli. 2021. »Class Is Us: Zur Film-Wahrnehmung von Klasse und Kampf – Versammlung, Verkörperung, Zerstreuung (anhand von Get Out und Us).« In Klassen sehen. Soziale Konflikte und ihre Szenarien, herausgegeben von Drehli Robnik, 97-128. Münster: Unrast.

Schlüpmann, Heide. 2002. Öffentliche Intimität. Die Theorie im Kino. Frankfurt a.M./Basel: Stroemfeld.

Strick, Simon. 2021. Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus. Bielefeld: transcript.