Birgit Sauer
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Abstract
Abstract
The phenomenon of the current rise of authoritarian right-wing populism in Europe is genuinely gendered and is based on the transformation of social gender structures in European democracies. Gender and sexuality relations have played a prominent role in the struggle for cultural hegemony by authoritarian right-wing actors over the past 15 years. Gender has become a central discursive node of the authoritarian right in a new way. In almost all European countries – but also in Latin America, the USA and Russia – right-wing authoritarian forces have joined a global movement that combats gender mainstreaming, gender studies and sexual diversity under the labels of ›anti-genderism‹, ›gender ideology‹ or ›gender theory‹. The anti-gender discourse modulates the double antagonism of an »us« against »them up there«, e.g. resentment against the EU when gender mainstreaming is presented as a dictate from Brussels, i.e. »from above«, and an »us« against »the others«, e.g. migrants.
In addition, right-wing authoritarian actors invoke a »crisis of masculinity« and thus reinterpret neoliberal social changes in terms of gender issues. They promise salvation through masculinist identity politics and offer the self-affirmation of white masculinity. In this way, gender or rather anti-gender appeals offer starting points for the re-establishment of old gender constellations and hierarchies. Gender inequality becomes the paradigm for a new, unequal model of society and for an anti-democratic project of the authoritarian right.
Über die Autorin
Über die Autorin
Birgit Sauer war bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 2022 Professorin für Politikwissenschaft an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Wien. Ihre Forschungen beschäftigen sich mit feministischer Staats- und Demokratietheorie; Rechtspopulismus und Geschlecht; Politik, Gefühle und Affekte; politische Repräsentation von Frauen und vergleichende Geschlechterpolitiken. Jüngste Forschungsprojekte: POP-MED. Political and Media Populism: ›Refugee Crisis‹ in Slovenia and Austria; CURE – Cultures of rejection. Aktuelle Publikationen: Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten, Frankfurt a.M./New York: Campus, 2023, gemeinsam mit Otto Penz.
Übersicht
Übersicht
Wahlgewinne autoritärer rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa, nationalpopulistische rechte Regierungen in Ungarn und Polen sowie der Brexit sind Ausweis sich verschiebender politischer Kräfteverhältnisse – eine Verschiebung in Richtung eines rechten »autoritären Populismus« (Hall 1985, 116).1 Auch die machtvolle medial-öffentliche Präsenz rechter sozialer Bewegungen wie Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Deutschland, die »Identitäre Bewegung« in Österreich und der »Querdenker« in Deutschland und in Österreich unterstützen demokratiegefährdende Entwicklungen. Auch wenn sich rechtsradikale Gruppierungen in vielen westeuropäischen Ländern bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg (re‑)etabliert hatten, handelt es sich beim Erstarken bzw. der Entstehung autoritärer rechtspopulistischer Parteien seit den 1990er-Jahren um vergleichsweise neue politische Phänomene (Birsl 2011, 11; Müller 2016, 18).
Im Anschluss an Cas Muddes Charakterisierung des Populismus als »thin centred ideology« (Mudde 2004, 543), die sich mit anderen Ideologien verknüpfen muss, um politische Wirksamkeit zu entfalten, fasse ich autoritären Rechtspopulismus als eine politische Kommunikationsstrategie, die rassistische, nationalistische, völkische, sexistische und homophobe Ideologien verbreitet. Allerdings verweist dessen Entwicklung auf mehr: auf eine fundamentale Verschiebung sozialer Kräfteverhältnisse in Richtung Autoritarisierung auf der Basis einer jahrelangen neoliberalen Restrukturierung des Verhältnisses von Markt, Staat und Gesellschaft zugunsten einer Dominanz der Ökonomie.
Diese generelle Transformation der politischen Landschaft wird auch daran sichtbar, dass Mainstream-Parteien durchaus bereit sind, autoritäre rechtspopulistische Forderungen in Regierungsprogramme zu gießen – nicht zuletzt dort, wo sie mit rechten Parteien koalieren, wie beispielsweise in Österreich 2017 bis 2019. Das jüngste Beispiel der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), die korrupte Art, öffentliche Meinung zu manipulieren und Berichterstattung zu kaufen, zeigt die Gefahr und Möglichkeit einer Transformation liberaler Demokratie in eine autoritäre Richtung, die mit dem Konzept des »radikalisierten Konservatismus« (Strobl 2021) nur unzureichend beschrieben ist. Autoritären und rechten Parteien und Bewegungen in Europa geht es um mehr als nur eine restriktivere Immigrationspolitik: Sie zielen darauf, die Länder der EU in Richtung eines national-autoritären bzw. national-sozialen Projekts (Balibar 1999) umzubauen. Die Ausgrenzung von Migrant_innen ist somit Teil einer Strategie, um für diesen Umbau Konsens herzustellen, also autoritäre und ausschließende Diskurse und Praktiken zum common sense zu machen.
Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse nehmen in diesem Kampf um kulturelle Hegemonie sowie um neue, neoliberal-autoritäre Staatsverhältnisse seit der vergangenen Dekade eine prominente Rolle ein – wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Deutlichkeit in einzelnen europäischen Ländern. Mein Text wirft eine geschlechterkritische Sicht auf diese Entwicklungen und will deutlich machen, dass Geschlechterverhältnisse ein Schlüssel zum Verständnis des aktuellen Erstarkens autoritär rechter Parteien in Europa sind. Ich begreife das Phänomen des autoritären Rechtspopulismus als genuin vergeschlechtlicht, als eine Entwicklung, die aus der Transformation gesellschaftlicher Geschlechterstrukturen europäischer Demokratien hervorgeht. Meine gesellschaftstheoretisch informierte geschlechterkritische Analyse verweist auf den Zusammenhang von ökonomischen Transformationen, sozialen Kräfteverhältnissen und Veränderungen von Geschlechterregimen als Erklärungsfaktoren für den Erfolg autoritärer rechtspopulistischer Parteien. Diese Perspektive öffnet auch den Blick auf die Konstruktionen und Strategien des Umbaus westlicher Gesellschaften durch ein autoritäres, nicht-demokratisches und anti-pluralistisches Projekt. Ich werde zunächst darstellen, welche Bedeutung Geschlecht in autoritär populistischen Diskursen zukommt. Danach werde ich vornehmlich an den Beispielen Deutschlands und Österreichs die geschlechtertransformatorischen Prozesse skizzieren, die den autoritär populistischen Erfolgen zugrunde liegen. Abschließend werde ich zeigen, dass die autoritäre rechtspopulistische Mobilisierung auf einer maskulinistischen Identitätspolitik ruht, die meine Reflexion der Rolle von Geschlecht für das autoritäre rechtspopulistische Hegemonieprojekt fundiert.
Geschlecht im autoritär populistischen Diskurs
Geschlecht war für rechte Ideologien und Gruppierungen schon immer zentral, standen doch Vorstellungen von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit, von Heterosexualität und traditionellen Familienverhältnissen stets im Zentrum völkischer Ideen von Nation und Staat und waren unmittelbar mit rassistischen Konzepten der Reinheit des Volkes, der Aus- und Abgrenzung von als ›Andere‹ Identifizierten verknüpft (z.B. Birsl 1994; Bitzan 1997). Auch wenn die Mobilisierung von Geschlecht stark von je unterschiedlichen nationalen Kontexten abhängt (Mudde und Kaltwasser 2015, 17; Sauer et al. 2016), lassen sich gemeinsame diskursive Stränge europäischer autoritär rechtspopulistischer Parteien ausmachen, so beispielsweise die Berufung auf ein natürliches zweigeschlechtlich-polares Geschlechterkonzept, auf eine traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und damit verbundene Geschlechterrollen des männlichen Familienernährers und der Frau als Mutter (Sauer et al. 2016, 113; Mayer et al. 2016). Die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung biete Müttern, so das aktualisierte Argument, Schutz vor Ausbeutung auf dem globalisierten Erwerbsarbeitsmarkt. Die österreichische FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) beispielsweise bemüht das Argument der ›freien Wahl‹ zwischen Beruf und Mutterschaft, damit sich Frauen bewusst für den Beruf der Mutter entscheiden könnten (Sauer et al. 2016, 112). Transformierte Geschlechterbilder zählen also zu den Innovationen des europäischen autoritären Populismus (Mayer et al. 2016, 91). Amesberger und Halbmayr (2002, 308) konstatieren für die österreichische FPÖ ein »modernisiertes traditionelles Rollenbild«, wie dies de Lange und Mügge (2015, 63) auch für die Niederlande und Flandern feststellen konnten, nicht zuletzt, weil zunehmend Frauen in autoritären rechtspopulistischen Parteien ihren Vertretungs- und Repräsentationsanspruch offensiv vortragen und Führungspositionen übernehmen. Ein weiterer Mosaikstein in rechtspopulistischen »patriarchal frames« (Wodak 2015, 151) ist die Vorstellung, dass Frauen aufgrund ihrer Bedeutung für die Nation geschützt werden müssen. Hegemoniale Männlichkeit (zum Begriff Connell und Messerschmidt 2005) realisiert sich daher in einem Beschützergestus gegenüber Frauen, dessen sich freilich auch der viel beschworene ›kleine Mann‹ bedienen kann.
In der vergangenen Dekade avancierte schließlich Geschlecht in neuartiger Weise zum zentralen diskursiven Knotenpunkt der autoritären Rechten. In nahezu allen europäischen Ländern – aber auch in Lateinamerika, in den USA und Russland – ist eine neue Auseinandersetzung rechter autoritärer Kräfte mit der Geschlechterthematik feststellbar. Diese Kräfte schlossen sich einer nahezu globalen Bewegung an, die unter den Labeln »Anti-Genderismus«, »Gender-Ideologie« oder »Gender-Theorie« (kritisch, Hark und Villa 2015; Kuhar und Patternotte 2017) Gender Mainstreaming, Gender Studies und sexuelle Vielfalt bekämpfen. Diese Bewegung wurde 1995 vom Vatikan als Reaktion auf das Abschlussdokument der UN-Frauenkonferenz in Beijing initiiert (Paternotte 2015), um Homosexualität zu stigmatisieren und Frauen reproduktive Rechte abzusprechen. Erst eine Dekade später ›entdeckten‹ rechts-autoritäre Akteur_innen den sogenannten ›Genderismus‹ als ein Vehikel für ihre populistische Mobilisierung. Das Programm der Alternative für Deutschland (AfD) sowie das Handbuch der FPÖ für ihre Funktionär_innen (FPÖ-Bildungsinstitut 2013) reflektieren diesen anti-feministischen Impetus, während rechts-autoritäre Parteien in nordischen Staaten sowohl gegenüber Homosexualität als auch gegenüber Gleichstellungspolitiken offener sind (Mayer et al. 2016).
Der Anti-Gender-Diskurs passt perfekt zu den autoritär-rechtspopulistischen Antagonismen, die ›das Volk‹ ansprechen und diskursiv herstellen sollen: Vertikal konstruiert der Antagonismus ein Wir, ›die da unten‹, also eine vermeintliche Mehrheit gegen ›jene dort oben‹, eine korrupte Elite, die nur an ihren eigenen (Macht‑)Interessen orientiert und nicht responsiv gegenüber der Mehrheit der Bürger_innen sei. Horizontal wird dieses Wir gegen ›die Anderen‹ gesetzt, gegen Personengruppen, die ausgeschlossen werden sollen, weil sie die Homogenität des Wir herausfordern oder infrage stellen – seien dies Migrant_innen, Muslim_innen oder LGBTIQ+-Personen. Europaweit moduliert der Anti-Gender-Diskurs diese doppelten Antagonismen, z.B. Ressentiments gegen die EU, wenn Gender Mainstreaming als Diktat aus Brüssel, also ›von oben‹ dargestellt wird, oder als »intellektueller Wohlstandsmüll«, wie Beatrix von Storch diese Gleichstellungsstrategie charakterisiert (zit. in Wielowiejski 2018, 143). Der Anti-Gender-Diskurs produziert Anti-Elitismus und Anti-Intellektualismus, beispielsweise in der Rede von der Nutzlosigkeit von Gender Studies, die gar keine echte Wissenschaft seien und nur die Machtinteressen einiger weniger Professor_innen befriedigten (Mayer und Sauer 2017). Der europaweite anti-genderistische Impuls rechts-autoritärer Parteien ermöglicht neuartige (diskursive) Koalitionen mit dem rechts-konservativen und katholischen Milieu (Mayer und Sauer 2017).
Das Koalitionspotenzial geht aber darüber hinaus und betrifft zunehmend auch liberale Kräfte, die ›Identitätspolitiken‹ diffamieren – und zwar nicht nur, um damit traditionelle Geschlechterhierarchien (z.B. in der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache) oder Heteronormativität zu sichern. Anti-Migrationspolitiken werden schließlich ebenfalls mit dem Geschlechterdiskurs gerechtfertigt: Geschlechterungleichheit wird nämlich besonders laut in Bezug auf muslimische Communitys thematisiert und kritisiert (de Lange und Mügge 2015, 65), sichtbar beispielsweise in den europaweiten prohibitiven Maßnahmen gegen muslimische Körperverhüllung (Sauer 2012) oder auch um die sexuelle Gewalt in der Kölner Silvesternacht (Dietze 2016a). Trotz traditioneller Familien- und Geschlechtervorstellungen und trotz vehementer Kritik an Gleichstellungspolitik wird im autoritären rechten Diskurs eine vermeintlich in europäischen Gesellschaften bereits erreichte Geschlechtergleichheit gegen Migrant_innen in Stellung gebracht. Auch wenn die Parteien differieren, wie Sarah de Lange und Liza Mügge (2015, 62) am Beispiel flämischer und niederländischer rechter Parteien zeigen, wird die Aufwertung der eigenen ›Kultur‹ als gleichstellungsorientiert und liberal bemüht, mit dem Effekt, insbesondere Muslim_innen als patriarchal, frauenfeindlich und gewalttätig zu zeichnen und sie damit als ›nicht-zugehörig‹ auszugrenzen. Dieses Phänomen bezeichnet Sara R. Farris (2017) als »femonationalism« und Gabriele Dietze (2016b) als »Ethnosexismus«. Der rechts-autoritäre Geschlechterdiskurs fügt sich also in eine Politik des Othering ein, in eine Politik der Angst vor den ›Anderen‹, die neben Muslim_innen, Migrant_innen und Geflüchteten auch Roma, Homosexuelle und Transgender-Personen sowie Feministinnen und Gleichstellungsakteur_innen sein können. Vor diesem Hintergrund werde ich im folgenden Abschnitt argumentieren, dass der Erfolg des autoritären Rechtspopulismus (auch) auf dem Angebot einer maskulinistischen Identitätspolitik als Antwort auf Transformationen von Geschlechterregimen beruht.
Die Entstehung der autoritären Rechten aus Geschlechterverhältnissen. Maskulinistische Identitätspolitik
Neoliberale ökonomische Globalisierung, die Verschiebung der Grenzen zwischen Staat, Gesellschaft und Markt zugunsten der Ökonomie, eine globale Mobilisierung zur Migration und der Abbau europäischer Sozialstaaten bilden seit den 1990er-Jahren den materiell-sozialen Hintergrund für die Wahlerfolge rechts-autoritärer Parteien. Die neoliberale Restrukturierung europäischer Sozialstaaten, die Finanzialisierung des Kapitalismus und die Deregulierung von Arbeit resultierten in steigender sozialer Ungleichheit und zunehmender Armut bei zeitgleich enormem Reichtumszuwachs. In einem stetigen Prozess wurden die materiellen Voraussetzungen eines hegemonialen Kompromisses umverteilender Wohlfahrtsstaatlichkeit zerstört (Demirović und Sablowski 2011, 80ff.). Zugleich sollten die Menschen ein wettbewerbsorientiertes, gleichsam »unternehmerisches Selbst« (Bröckling 2007) entwickeln, was zu Individualisierung und Entsolidarisierung beitrug.
Die Erosion des Wohlfahrtskonsenses delegitimierte die traditionellen Parteien, die immer weniger auf die Bedürfnisse und Interessen der Mehrheit der Bürger_innen eingingen und stattdessen die ökonomischen Kräfte unterstützten und so die Basis liberaler Demokratie zerstörten (Demirović und Sablowski 2011, 96ff.). Dies bereitete den Boden für antidemokratische Tendenzen und damit auch für die Popularität autoritär-rechter Parteien. Sie verschärfen diese Prozesse der Verunsicherung im Kontext steigender Geflüchtetenzahlen und deuten die Ursachen sozialer Ungleichheit von einer Klassen- in eine Migrations- und Flüchtlingsfrage um (Dörre 2020).
Doch neben Klassenverhältnissen müssen auch Geschlechterverhältnisse zur Erklärung des Phänomens des autoritären Rechtspopulismus in Betracht gezogen werden. Sein Erstarken ist nur erklärbar, wenn Geschlechterverhältnisse, wenn die Mobilisierung von Klasse und Geschlecht an der Schnittstelle zu Ethnizität und Nationalität, also neuartige intersektionale Kräfteverhältnisse, in die Analyse einbezogen werden, wie sie beispielsweise auch mit der Kritik von linker einseitiger Fokussierung auf Klasse eingefordert wird (Graefe und van Dyk 2019).
Ein kurzer Blick auf die longue durée soll dies deutlich machen: Die Bearbeitung des Konflikts um Lohnarbeit, also der wohlfahrtsstaatliche Konsens nach dem Zweiten Weltkrieg, basierte bis weit in die 1970er-Jahre hinein auf Geschlechterungleichheit, vor allem auf der Trennung von bezahlter Lohn- sowie unbezahlter Sorgearbeit. Arbeitskräftemangel wurde durch gezielte Immigration kompensiert und Migrant_innen blieben politische Rechte vorenthalten (Mattes 2005, 206-236). Trotz formal gleicher Rechte erhielten Frauen wegen der Nicht-Regulierung von Reproduktionsarbeit nur schwer Zugang zu Erwerbsarbeit und zu sozialen Rechten und blieben abhängig von Ehemännern oder Vätern. Sie waren daher nur prekär in den hegemonialen demokratischen Kompromiss wie auch in liberal-demokratische Institutionen integriert und blieben politisch unterrepräsentiert (Ahrens et al. 2020, 22-36). Diese Konstellation kristallisierte sich in einer unhinterfragten weißen männlichen Hegemonie: Männer der Mehrheitsgesellschaft konnten sicher sein, immer höhergestellt, immer überlegen zu sein, dass ihre Stimme eher gehört würde als jene von Frauen, dass ihre Interessen also besser berücksichtigt würden – sei es im Markt- und Arbeitsgeschehen, sei es in der politischen Sphäre.
Erst die Phase der Demokratisierung und des Ausbaus bestimmter wohlfahrtsstaatlicher Segmente nach dem Zweiten Weltkrieg, z.B. im Bildungsbereich, erlaubte seit den 1970er-Jahren die Politisierung von Geschlechterungleichheit und führte zu ersten frauenbewegten Erfolgen. So gelang sukzessiv die partielle Integration von mehr Frauen in nationalstaatliche Wohlfahrtsinstitutionen, in den Erwerbsarbeitsmarkt und in politische Institutionen (Frauenerwerbstätigkeit in Westdeutschland: Statista 2020; in Österreich: Dörfler und Wernhart 2016). Dieser Integrationsprozess erfuhr durch das neoliberale Arrangement von Markt und Staat seit den 1990er-Jahren eine, wenn auch geschlechterambivalente, Beschleunigung. Denn die Anrufung von Frauen als Erwerbstätige muss klassenspezifisch differenziert betrachtet werden. Erwerbstätigkeit war und ist nicht für alle Frauen gleichermaßen mit größerer Handlungsfähigkeit und Autonomie verbunden. Während es für gut ausgebildete Frauen nun einfacher ist, beruflich erfolgreich zu sein, durch Gleichstellungsmaßnahmen gefördert zu werden und familiäre Sorgearbeit tendenziell zukaufen zu können, werden weniger gut ausgebildete oder migrierte Frauen in unsichere Arbeitsverhältnisse gezwungen (Amelina und Lutz 2019, Kap. 4).
Insgesamt wurde die systematische Aushöhlung des Wohlstands der Erwerbstätigen, die Prekarisierung von Arbeit und die steigende soziale Verunsicherung von einer stärkeren Erwerbsbeteiligung von gut ausgebildeten Frauen und von einer (zumindest) diskursiven Auflösung des männlichen Ernährermodells begleitet. Mit dem neoliberalen Umbau kapitalistischer Gesellschaften erodierten also hierarchische Geschlechterregime, die männliche Vorherrschaft in der Familie wie auch in der Öffentlichkeit. Kurzum, tradierte Lebensweisen veränderten sich, die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung innerhalb von Familien sowie die Idee der heterosexuellen Kleinfamilie wurden infrage gestellt (Oschmiansky et al. 2020).
Autoritäre Rechtspopulisten greifen nun im Kontext der Nichtbearbeitung von sozialer Ungleichheit durch die Volksparteien vor allem männliche Enttäuschungen und Ohnmachtsgefühle – die Folgen dieser Transformationen – auf und deuten sie in Hass auf Frauen und auf Gleichstellungspolitik sowie in Wut gegen ›Andere‹, insbesondere gegen Migrant_innen um. Zugleich bieten rechte Akteur_innen neue – exklusive – Solidaritätsmuster an (Dörre 2016, 5) und propagieren einen »national-soziale(n) Protektionismus« (Janssen 2015, 7), wollen also z.B. sozialstaatliche Leistungen nur der Mehrheitsbevölkerung zur Verfügung stellen. Dies verknüpft die autoritäre Rechte mit der Zeichnung von Männern als Opfern von Gleichstellungspolitik oder der bedrohlichen Sexualität von Migranten. Alles in allem ergebe sich daraus eine ›Krise der Männlichkeit‹. Dieser vermeintlichen Krise will Björn Höcke von der AfD mit einem neuen Heroismus begegnen: »Wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!« (Höcke 2015, vgl. dazu auch Sauer 2022)
Im neoliberalen Verunsicherungsdiskurs machen rechts-autoritäre Akteur_innen ein Angebot der Selbstaffirmierung marginalisierter Männlichkeit (zum Begriff: Connell und Messerschmidt 2005). So bieten Geschlechter- oder besser: Anti-Gender-Anrufungen Anknüpfungspunkte für eine Re-Etablierung alter Geschlechterkonstellationen und ‑hierarchien. Die ›Wiedererringung‹ von Männlichkeit, die Björn Höcke fordert und verspricht, enthält die Festigung hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit, männlicher Suprematie und Aggressivität, nämlich die Aufwertung maskulinistisch kodierter Eigenschaften: Höcke spricht von ›Wehrhaftigkeit‹; Werner Reichel (2015, 109) in Österreich von ›Mut und Risiko‹; Marc Jongen, der AfD-Chefideologe, propagiert ein Thymos-Training, also die Betonung von Mut, Zorn und Aggressivität (Jongen 2017).
In femonationalistischen Argumentationen können sich marginalisierte Männlichkeiten darüber hinaus als liberal, aufgeklärt und modern – in Abgrenzung von muslimischen Männern – entwerfen (de Lange und Mügge 2015, 62). Und schließlich taugt diese Argumentationsfigur auch dazu, vermeintlich marginalisierte Männer als Beschützer von Frauen der Mehrheitsgesellschaft zu erhöhen.
So formiert der rechtspopulistische Diskurs eine Gruppe unterworfener und marginalisierter Männlichkeiten. Doch zugleich enthält die rechte politische Kommunikation das Versprechen, dass eine charismatisch-maskulinisierte Führungsperson (die auch eine Frau sein kann) diese Gruppen erhöhen und ihr neue (Selbst‑)Sicherheit verschaffen kann. Dies bezeichne ich als »maskulinistische Identitätspolitik«. Sie hat das Ziel, die diskursiven und affektiven Angebote der autoritären Rechten, insbesondere ihren Autoritarismus und ihre Demokratiefeindlichkeit, attraktiv zu machen. Geschlecht dient, so will ich im Folgenden zusammenfassend zeigen, im rechten Kampf um kulturelle und politische Hegemonie als »leerer Signifikant« (Laclau 1996, 36), der die sich verschärfende soziale Ungleichheit, die zunehmende männliche Unsicherheit und Prekarisierung von Arbeit und Leben zusammenfügt, um gegen die gesellschaftlichen Reformen sozialdemokratischer Provenienz und gegen die Liberalisierung von Lebensformen der 1970er-Jahre zu mobilisieren und so eine neue Vorstellung von Gesellschaft, Politik und Staat aufzurufen sowie neue hegemoniale Verhältnisse zu modulieren.
Rechter Kampf um Hegemonie: Geschlecht als leerer Signifikant
Die geschlechtsspezifischen Deutungsmuster autoritär-rechtspopulistischer Mobilisierung sind also bewusst gewählt und funktional für ein autoritär rechtes politisches Hegemonieprojekt. Im Arrangement der autoritären Rechten nehmen Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse eine prominente Rolle für die Verfugung eines national-populistischen autoritären Projekts ethnischer bzw. nationaler Homogenität und exkludierender Staatsbürger_innenschaft ein. Geschlecht eignet sich deshalb so gut für die autoritäre populistische Mobilisierung eines Common Sense, eines neuen hegemonialen Kompromisses, weil darüber an Alltagserfahrungen angeknüpft werden kann. Mit dieser Bezugnahme nämlich wird die lang tradierte hierarchische und binäre Zweigeschlechtlichkeit ins Spiel gebracht, die durch Gleichstellungspolitik zwar erschüttert, aber keineswegs erodiert ist, sondern noch immer die Lebensweisen und den Habitus der Menschen prägt. Der europäische autoritäre Populismus kann somit als eine neuartige Zuspitzung der immer-schon existierenden Geschlechterungleichheit und des Sexismus kapitalistischer Gesellschaften und liberaler Demokratien begriffen werden.
Geschlecht moduliert aufgrund seiner binär gedachten Struktur die antagonistischen Strategien und kann so zum Ausgangspunkt eines umfassenden Kulturkampfes, eines Kampfes um kulturelle und politische Hegemonie werden. Mit Geschlecht können zahlreiche Vorstellungen über das ›Wir‹, das ›Volk‹ aufgerufen werden, die Natürlichkeit und Homogenität wie auch die Passivität des Volkes, die ein grundlegend neues Konzept von Gesellschaft und Demokratie diskursiv herstellen. Die moralisch-politische Wende, die die (west‑)europäische autoritäre Rechte herbeizuführen trachtet, zielt gegen Überreste einer ›sozial-demokratischen‹ Konstellation der Umverteilung und Integration sowie gegen kulturliberale Tendenzen in der Folge von 1968. Sie richtet sich gegen neue Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens von Männern und Frauen, gegen Maßnahmen zur rechtlichen Gleichstellung von Frauen sowie gegen die Gleichstellung von LGBTIQ+-Menschen. Stuart Hall nannte diese Konstellation mit Bezug auf die Thatcher-Regierung »autoritären Populismus« (Hall 1985, 116), also eine Entwicklung von Konsens hin zu Zwang und law and order als ein Element des Neoliberalismus. Dem folgen auch autoritäre Rechte in Deutschland und Österreich.
Der Blick auf die Geschlechterdimension macht somit das anti-pluralistische und anti-demokratische Projekt des autoritären Rechtspopulismus sichtbar und möglicherweise auch bearbeitbar. Denn die Geschlechterperspektive deutet auch auf Spannungen und Widersprüche im rechts-autoritären Diskurs hin. Die Thematisierung dieser Widersprüche, z.B. zwischen Klasse, Nationalität, Religion und Geschlecht, kann die sozialen Trennungen und Spaltungen, die rechts-autoritäre Strategien unterstützen, reflektieren und für ein demokratisches Projekt nutzbar machen. Dazu brauchen klassenpolitische strategische Überlegungen unabdingbar eine intersektionale Erweiterung um Geschlecht. Entsprechend gilt es auch für feministische Kämpfe, Unterschiede aufgrund von Ethnizität, Nationalität, Religion, Klasse und Geschlecht einzuschließen. Zudem zeigt eine geschlechtertheoretische Sicht auf aktuelle Transformationen von Demokratie, dass eine Hegemonie gegen rechte Politiken des Ausschlusses und der Entsolidarisierung einen materiellen Kompromiss von Gleichheit und Solidarität benötigt. Nur durch die Überwindung maskulinistisch-kapitalistischer Arbeitsweisen kann Demokratie als Lebensform, die über liberale, repräsentative Regeln und Normen hinausgeht, gelingen.
Endnoten
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Dieser Aufsatz ist eine gekürzte, überarbeitete Version des Beitrags »Demokratie, Volk und Geschlecht. Radikaler Rechtspopulismus in Europa« im Band Kapitalismuskritische Gesellschaftsanalyse: queer-feministische Positionen, herausgegeben 2018 von Katharina Pühl und Birgit Sauer. Partieller Wiederabdruck mit freundlicher Genehmigung vom Verlag Westfälisches Dampfboot.↩︎
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