Musethica: Musik in der Gesellschaft

Das Simply Quartet über die Verbindung zwischen MusikerInnen, Werk und Publikum

Von 12. November bis 3. Dezember 2017 hatten wir an der “Musethica” in Zaragoza, Spanien und Wien teilgenommen. Musethica wurde 2012 von Violinist Avri Levitan in Zaragoza gegründet. Das Projekt ermöglicht es MusikerInnen, viele Konzerte zu spielen, die nicht nur auf offiziellen Bühnen, sondern auch mitten in der öffentlichen Gesellschaft stattfinden. Dadurch können MusikerInnen viel erleben und lernen.

etopia

Zaragoza, Spanien

Am 12. November 2017 erreichten wir Zaragoza in Spanien. Die Unterkunft war im ETOPIA – Center for Art & Technology. Der Gebäudesockel im Erdgeschoss besteht aus Glasflächen, die das Center in ein helles, modernes und angenehmes Gebäude verwandeln.

etopia center
Das Etopia Center

Es liegt direkt gegenüber des Bahnhofs, der über eine schöne elegante Hängebrücke mit dem Center verbunden ist. In Etopia finden Veranstaltungen über verschiedene Bereiche statt, wie z.B. Kultur, Kunst, Forschung, Wissenschaft usw.

Bruecke
Die Brücke, die den Bahnhof mit dem Etopia Center verbindet

Musik in der Gesellschaft

Ab dem zweiten Tag begannen wir mit unserer wichtigen Aufgabe. Als Organisator erzählte Avri uns den Inhalt und die Bedeutung von Musethica und unterstützte uns im gesamten Prozess. Wir kannten ihn bereits durch unsere Zusammenarbeit im Brahms Quintett.

Konzert

Jeden Tag hatten wir zwei bis vier kleinere Konzerte an verschiedenen Orten gegeben, wie zum Beispiel in einer Schule, im Kulturzentrum, im Krankenhaus, in gemeinnützigen Gesellschaften und sozialen Organisationen.

Da die Zuhörer meist keine MusikerInnen waren, spielten wir Musik aus unterschiedlichen Perioden. Am Anfang hatten wir uns gefragt, ob unser Spiel das Publikum und uns verbinden könnte, aber wir merkten schnell, dass die Leute sich sehr für die Musik interessierten. Wir spürten, dass wir beim Spielen mit dem Publikum kommunizierten und die hohe Aufmerksamkeit und positive Reaktionen zurückgeben konnten.

Kinder
Verzauberte Kinder beim Konzert

Ein besonderes Erlebnis war das Konzert im Colegio de Educación Especial, einem Krankenhaus für behinderte Kinder. An dem Tag hatte dort ein Mädchen Geburtstag und nachdem wir das erfuhren, spielten wir zu Beginn ein Geburtstagslied für sie. Sie war überrascht und augenblicklich füllte eine fröhliche Atmosphäre den ganzen Raum. Die Reaktion dieser Kinder war einfacher und direkter als jene von “normalen” Kindern. Wir konnten nicht voraussehen, was sie machen und wie sie reagieren würden. Während wir spielten, blieben sie meist ganz ruhig und lauschten konzentriert, manche bewegten sich aber auch mit der Musik und lachten. Es freute uns jedenfalls sehr, das wir ihnen eine Freude bereiten und unsere Emotionen offenbar gut vermitteln konnten.

Starke Eindrücke

Auf der Schule Colegio de Educación Especial erforschen die Angestellten Spezialpädagogik, z.B. wie man Musik benutzen kann, um Kinder zu aktivieren und ihnen eine bessere Kommunikation beizubringen. Zuerst spielten wir für ein paar Gruppen von Kindern. Nach einer Pause wollte die Schule etwas ausprobieren. Wir gingen jeder in ein eigenes Zimmer und spielten für mehrere Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen.

Konzert

Ich sollte für ein taubstummes Mädchen spielen, welches auch permanente Atembeschwerden hatte. Dies sollte sich als eines meiner intensivsten Erlebnisse als Musikerin herausstellen. Die Pflegerin saß auf einer Matratze auf dem Boden und hielt das Mädchen in ihrem Schoß. Langsam führte sie die Hand des Mädchens zur Decke des Cellos. Ich spielte die Sarabande von Bachs Cellosuite in G-Dur – einen Satz, der es erlaubt, das Cello mit seinen offenen Saiten natürlich zu schwingen. Ich bemerkte sofort, dass das Mädchen die Vibrationen spürte und sich stärker konzentrierte und diese Aufmerksamkeit brachte sie zur Ruhe – ihr Atem stabilisierte sich nach und nach.

Die Pflegerin bat mich, ob ich kürzere Musikstücke spielen könnte, damit das Mädchen noch besser auf die Musik reagieren konnte. Die Pflegerin versuchte dem Mädchen beizubringen, dass man zu der Musik klatschen kann. Danach legte sie den Fuß des Mädchens auf die Oberfläche des Cellos (natürlich ohne Schuhe). Dieses Mal spürte das Mädchen wahrscheinlich noch mehr von den Vibrationen, denn sein Atem beruhigte sich noch weiter. Als ich schließlich das letzte Stück spielte (der Schwan von Saint-Saens), fing die Pflegerin plötzlich an zu weinen. Sie sagte, dass es ein sehr berührendes Erlebnis war, die Reaktionen des Mädchens zu spüren. Die Musik entfaltete eine große Wirkung auf sie beide.

Konzert

Für mich als Mensch und Musiker war es jedenfalls eine sehr intime und sehr schöne Situation. Ich weiß nicht genau, was oder wie viel das Mädchen von der Musik mitkriegte, aber es war ein unglaublich schönes Erlebnis, dass durch die Vibrationen meines Instruments ein tieferer zwischenmenschlicher Kontakt entstehen konnte. Ich wünsche, ich hätte sehen können, was in ihrem Kopf passierte. Eine der vielen Sachen, die ich in diesem Moment lernte, war, welche Kräfte die Vibrationen von Musik entfalten konnten. Diese besonderen Kräfte sind etwas, das ich unbedingt auch auf der Konzertbühne vermitteln möchte.

Intermezzo

An einem schönen Nachmittag hatten wir wie fast immer eine Probe, als eine Frau zu uns ging und uns fragte, ob wir ein kleines Stück für sie spielen konnten. Natürlich haben wir Ja gesagt. Plötzlich brachte sie eine Klasse mit – ungefähr 30 Kinder. Auf einmal war es laut, unglaublich laut!

Wir waren überrascht und verdutzt, aber freuten uns sehr. Schließlich spielten wir den Satz von Beethovens Streichquartett Op.18 No.1. Die Kinder beruhigten sich augenblicklich und lauschten sofort konzentriert. Nach dem letzten Akkord explodierten sie regelrecht für mehrere Minuten. Sie sprachen kaum Englisch aber in ihren Augen konnten wir bemerken, dass unsere Musik sie auf eine magische Weise berührt hatte.

Gruppenfoto

Zum Abschluss machten wir als Erinnerung noch ein Gruppenfoto 🙂

Gut gelaunt gingen wir zum Zentrum. Natürlich wollten wir typische spanische Speisen probieren. Tapas sind einfach ein sensationelles Essen! Unser Bratschist sagte: “Wenn wir morgen kein Konzert spielen müssten, ich würde direkt hier übernachten und genießen.”

Das Tapas Restaurant war eigentlich ganz klein, doch eignete es sich nicht nur zum Essen, sondern bot auch einen guten Platz, um seine Freunde zu treffen. Mir fiel auf, dass sich hier viele Gäste anscheinend nach der Arbeit trafen, um bei leckeren Tapas zu entspannen. Hier konnte man die Leidenschaft des spanischen Lebens überall spüren.

Tapas

Übrigens gibt es in spanischen Restaurants immer zwei Fernseher: Einen für Fußball und einen für Basketball. Beide Sportarten laufen gleichzeitig und lautstark!

Tapasbar

Öffentliche Konzerte

Wir hatten auch zwei öffentliche Konzerte in Zaragoza. Das Erste war in einer alten schönen Kirche namens “Iglesia San Pablo”. Es ist eine Kirche mit einem bekannten Mudéjar-Turm und stammt aus dem späten dreizehnten Jahrhundert bzw. der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts.

Kirche
Die Kirche “Iglesia San Pablo”

Kirche

Das zweite Konzert fand im Museum “Patio de la Infanta” statt, welches 1550 auf Initiative des wichtigen jüdischen Kaufmanns und Bankiers Gabriel Zaporta gebaut wurde. Es zeigt Elemente und Strukturen, die typisch für die aragonesischen Renaissancehöfe sind. Das Besondere für uns war, dass wir in der Mitte spielten und die Zuhörer um uns rund herumsaßen.

Museum
Das Museum “Patio de la Infanta”

 

Musethica in Wien

Vom 27. November – 3. Dezember 2017 fand Musethica in Wien statt. Unser Professor an der mdw, Johannes Meissl, war als Leiter ebenfalls dabei.

Gruppenfoto
Das Simply Quartet mit Musethica-Gründer Avri Levitan (links) und Johannes Meissl (oranger Pulli)

Als Abschluss von Musethica hatten wir an der mdw im Haydn-Saal das Abschlusskonzert gegeben. Es war anders als die Konzerte, die wir vorher gespielt hatten. In dieses Konzert flossen unsere Erfahrungen ein, die wir dank Musethica erlebt hatten. Durch jedes Konzert hatten wir neues Feedback und Eindrücke des Publikums erhalten, was ja auch der Zweck und das Ziel von Musethica war.

Abschließende Gedanken

Bisher haben wir bereits in vielen verschiedenen Räumen und Sälen gespielt, doch Musethica war eine ganz eigene Prüfung und Herausforderung für uns: Konnten wir in wirklich jeder Umgebung gut spielen? Wir spielten in den verschiedensten Situationen, bei unterschiedlicher Akustik, mit stets andersartigen Reaktionen von den unterschiedlichsten Leute und ihrer Kultur.

Musik ist jene Kunst, die JETZT stattfindet. Wir sollten stets dran denken und versuchen, eine chemische Reaktion zwischen dem Publikum und uns entstehen zu lassen. Natürlich wird diese nicht immer positiv sein, aber wir sind immer bemüht, eine positive Reaktion zu finden. Es geht immer um die Herausforderung, die Verbindung des Geistes zwischen uns, dem Werk und dem Publikum zu finden. Musethica bildete eine gute Gelegenheit, um herauszufinden, wie wir uns weiter verbessern und entwickeln können.

 

Simply Quartet

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *