Ulrike Demal ist klinische Psychologin, Psychotherapeutin (VT), Lehrtherapeutin (ÖGVT), Supervisorin, Lehrbeauftragte (MUW) und in der Abteilung Klinische Psychologie der Ärztlichen Direktion des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien – Medizinischer Universitätscampus, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie tätig. Sie gibt hier im mdw-Magazin einen grundlegenden Überblick über Angst: Was ist sie und wie entsteht sie?
Grundsätzlich kann zwischen Angst als unangenehm erlebter, diffuser Gefühlszustand, der nicht auf einen bestimmten Auslöser gerichtet ist, und Furcht als Reaktion auf ein bestimmtes Objekt, einen Reiz oder eine konkrete Situation (z. B. wildes Tier, Gewitter, daher brausendes Auto etc.) unterschieden werden. Beides sind akute emotionale Zustände, die von Ängstlichkeit im Sinne einer Persönlichkeitseigenschaft zu unterscheiden sind.
Angstreaktionen sind angeboren und haben höchste evolutionäre Relevanz. Im Laufe der Evolution konnten nur jene Lebewesen überleben, die ein perfektes Angstsystem hatten, das heißt auf Gefahren bedingungslos mit Kampf oder Flucht reagierten. Angst ist somit sinnvoll und notwendig als Alarmsignal (warnt den Organismus vor Gefahren und lenkt die Aufmerksamkeit auf die Gefahrensituation), als Vorbereitung des Körpers auf schnelles Handeln (mobilisiert Kräfte, aktiviert die Muskeln für Flucht oder Kampf) und als automatische Alarmreaktion (in einer gefährlichen Situation ist es wichtig, schnell zu handeln).
Ein gewisses Maß an Angst und Furcht ist ganz normal. Obwohl Angst als unangenehm erlebt wird, ist sie meist nicht gefährlich, sondern eben ein natürlicher und biologisch in unserem Körper festgelegter Ablauf.
Angst äußert sich physiologisch (z. B. erhöhter Herzschlag und Blutdruck, Schwitzen, Zittern, Mundtrockenheit etc.), kognitiv (Bewertungen, Interpretationen, Erwartungen, Selbstgespräche etc.), emotional (Hilflosigkeit, Überforderung, Scham etc.) und im Verhalten (Vermeidung, Flucht, Hilfe suchen, erstarren etc.).
Angstreaktionen lassen sich in vielen Aspekten gleichsetzen mit dem, was wir im Alltagsleben als Stress bezeichnen. Jeder Mensch erlebt täglich eine Vielzahl schwächerer und stärkerer Stressoren, die jeweils unterschiedlich starke Stressreaktionen auslösen. Einflüsse auf die Ausprägung der individuellen Stressreaktion haben die Stärke des Stressors, das allgemeine Erregungs- bzw. Anspannungsniveau und die subjektive Bewertung der Bedrohlichkeit der Situation. Das allgemeine Erregungs- beziehungsweise Anspannungsniveau lässt sich durch ausreichend Schlaf, regelmäßige Bewegung und Sport, Entspannungsübungen, gesunde und ausgewogene Ernährung, Verzicht auf übermäßigen Konsum von Alkohol, Zigaretten und Kaffee, Ausgleich fördernde Freizeitaktivitäten, angenehme soziale Kontakte, Klärung von chronischen zwischenmenschlichen Konflikten und Verringerung von wiederkehrenden Überforderungssituationen beeinflussen.
Angst kann jedoch auch zu einer Erkrankung – zu einer sogenannten Angststörung – werden, wenn die Angst unangemessen stark ist, zu häufig auftritt oder mit einem Kontrollverlust einhergeht sowie wenn sich ausgeprägtes Vermeidungsverhalten einstellt und sich aufgrund der Angst Einschränkungen ergeben beziehungsweise ein Leidensdruck entsteht. Man unterscheidet zwischen folgenden Angststörungen:
Eine Panikstörung zeichnet sich durch plötzliche, unerwartete Angstanfälle ohne eindeutigen Auslöser aus, die mit verschiedenen körperlichen Symptomen (Herzklopfen, Brustschmerz, Ersticken, Schwindel etc.) und Befürchtungen (z. B. einen Herzanfall zu bekommen) einhergehen. Bei einer generalisierten Angststörung stehen übertriebene Sorgen und Befürchtungen über vielfältige Lebensaspekte, die mit Unruhe, Schlafstörungen, Anspannung etc. einhergehen, im Vordergrund.
Eine Agoraphobie ist die unbegründete starke Angst vor Menschenmengen, Verkehrsmitteln und Ähnlichem. Betroffene befürchten, dass beim Auftreten von körperlichen Symptomen Hilfe nicht verfügbar und Flucht nicht möglich ist.
Bei der sozialen Phobie geht es um die Angst davor, von anderen in sozialen Situationen negativ beurteilt oder bewertet zu werden, nicht zuletzt aufgrund der körperlichen Symptome wie Schwitzen, Erröten, Zittern.
Spezifische Phobien beziehen sich auf bestimmte Objekte beziehungsweise Situationen: Tiere, Naturgewalten, Blut, Spritzen, Verletzungen, Höhen, Fliegen etc.
Ätiologie*
Kognitive Theorien gehen davon aus, dass ängstliche Menschen Situationen, aber auch Körpersymptome, als gefährlicher wahrnehmen und bewerten und ihr Verhalten demensprechend anpassen.
Biologische Theorien beschreiben eine höhere Vulnerabilität: Das autonome Nervensystem, das die Funktionen der inneren Organe wie Herz, Verdauung oder Atmung steuert, ist besonders leicht durch verschiedene Reize erregbar. Dadurch werden körperliche Anzeichen stärker wahrgenommen und man reagiert wahrscheinlicher mit Angst. Die Amygdala (Mandelkern) ist direkt an der Entstehung von Angst beteiligt, während der Hippocampus mit Lern- und Gedächtnisprozessen zu tun hat. Der präfrontale Cortex (Stirnhirn) ist dagegen für die Bewertung von Angstreizen und die Planung entsprechender Reaktionen zuständig. Neurotransmitter wie Serotonin und Noradrenalin sowie GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) spielen ebenso eine Rolle.
Nach den Annahmen der Lerntheorie entstehen ausgeprägte Ängste durch klassische und operante Konditionierung. Während die klassische Konditionierung für die Entstehung herangezogen wird, kommt der operanten Konditionierung bei der Aufrechterhaltung eine Bedeutung zu: Angstauslösende Situationen werden vermieden und das Ausbleiben oder der Wegfall von Angst wird als Erleichterung erlebt. Vermeidung hält demnach Angst aufrecht, weil korrigierende Lernerfahrungen und Neubewertungen verhindert werden. Auch das „Lernen am Modell“ kann Einfluss nehmen.
Therapie
Angststörungen sind gut behandelbar. Es haben sich dabei sowohl Psychotherapie, hier vor allem die Verhaltenstherapie, als auch medikamentöse Therapien etabliert.
*Anm. d. Red.: Beschäftigt sich mit den Ursachen für das Entstehen einer Krankheit.