Was ist „Zusammenheit“ und wie erreichen wir sie beim gemeinsamen Musizieren?
Warum „Zusammenheit“?
Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt „Achieving Togetherness in Music Ensemble Performance“ [Das Erreichen von „Zusammenheit“ bei Musikensembleaufführungen] des Instituts für musikalische Akustik – Wiener Klangstil soll das Phänomen „Zusammenheit“ während Musikperformances näher beleuchten. Es ist nur wenig bekannt darüber, wie „Zusammenheit“, die Erfahrung eines gemeinsamen kognitiven und emotionalen Zustandes mit Mitspielenden, zu einer erfolgreichen Performance beiträgt, wie sie entsteht und wie das Publikum „Zusammenheit“ zwischen gemeinsam Musizierenden erlebt.
Was ist „Zusammenheit“?
„Zusammenheit“ spiegelt die Qualität der Interaktionen zwischen Menschen wider, die an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten – darunter fällt etwa das gemeinsame Musizieren. Dieses Gefühl kann sich von einem Moment zum anderen verändern, wenn sich die Qualität der Interaktion verändert. In Momenten intensiver „Zusammenheit“ scheint das Zusammenspiel der Gruppenmitglieder geradezu mühelos und leicht vonstattenzugehen. Es ist kein Aushandeln oder Vorhersagen der Pläne der anderen vonnöten, denn alle Akteur_innen wissen bereits, was die anderen tun werden. Manche Musiker_innen sprechen hier von einem „hive mind“, der Schwarmintelligenz, die sie und die anderen Ensemblemitglieder teilen. Momente intensiver „Zusammenheit“ sind von innen heraus beglückend, während das Zusammenspiel in Perioden von sehr geringer „Zusammenheit“ mehr Aufwand erfordert. Dann ist es schwierig, gemeinsame Ziele zu erreichen, und die Mitglieder der Gruppe müssen sich anstrengen, um zu begreifen, was die jeweils anderen gerade tun. Das kann zu Erschöpfung und Frustration führen.
Wie beeinflussen optische und akustische Signale, wie das Publikum „Zusammenheit“ wahrnimmt?
Eine der Fragestellungen unseres Projektes ist, wie leicht „Zusammenheit“ zwischen Musizierenden vom Publikum wahrgenommen wird. Ein vor Kurzem durchgeführtes Experiment hat die Signale untersucht, anhand derer das Publikum „Zusammenheit“ in der Musik beurteilt.
Wir haben musikalische Laien und semiprofessionelle Musizierende in unser Labor eingeladen, um ihnen zuvor aufgenommene Aufführungen eines kurzen Musikstücks zu zeigen. Es wird entweder von zwei Pianist_innen oder zwei Klarinettist_innen aufgeführt. Die Musizierenden tragen an bestimmten Stellen ihres Körpers Marker, mit deren Hilfe ihre Bewegungen mit einem infraroten Bewegungserfassungssystem aufgenommen werden. Während des Experiments wurden die Musizierenden als „Point Light Displays“ gezeigt (siehe Abbildung 1). Die Testpersonen konnten die Musizierenden entweder sehen und hören, nur sehen oder nur hören. Während des Experiments trugen die Testpersonen Brillen, die ihre Augenbewegungen mitverfolgten und durchgehend mit Präzision aufnahmen, welche Punkte sie fixierten. Die Aufgabe der Testpersonen war es, den Grad der „Zusammenheit“ zu bewerten, die sie beim Hören bzw. Sehen der Aufführung wahrgenommen hatten.
Die musikalischen Laien bewerteten die „Zusammenheit“ insgesamt intensiver als die semiprofessionellen Musizierenden, vielleicht, weil Musizierende strengere Kriterien bei der Qualitätsbeurteilung von Vorführungen anderer Musizierenden heranziehen. Musikalische Laien bewerteten die „Zusammenheit“ in Sequenzen mit höherer Schallintensität auch als intensiver als semiprofessionelle Musizierende, was vermuten lässt, dass semiprofessionelle Musizierende besser zwischen „Zusammenheit“ und ausdrucksvoller Intensität unterscheiden können als Laien.
Wie beeinflussen Empathie und ausdrucksvolle, körperorientierte Interaktionen der Musizierenden deren Erfahrung von „Zusammenheit“?
Wir haben kürzlich eine groß angelegte Performancestudie mit Duos durchgeführt, die Klavier spielen und singen. In dieser Studie sollte ein multi-modales Datenkorpus geschaffen werden, anhand dessen gezeigt wird, wie Erfahrungen der „Zusammenheit“ mit bestimmtem Verhalten und physiologischen Zuständen zusammenhängen. Eines unserer Ziele war, zu zeigen, wie Verhaltensinteraktionen zwischen Performer_innen von deren empathischer Wahrnehmungsfähigkeit beeinflusst werden – eine kognitive Fähigkeit, die beeinflusst, wie Menschen miteinander umgehen. Menschen mit großer empathischer Wahrnehmungsfähigkeit können das Verhalten anderer Menschen besser vorhersagen als Menschen mit geringer empathischer Wahrnehmungsfähigkeit. Unsere Hypothese war, dass die Intensität der körperlichen Interaktionen zwischen Performer_innen sowie die Intensität von „Zusammenheit“-Erfahrungen mit den empathischen Profilen der Performer_innen übereinstimmen würden.
Die Bewegungen der Testpersonen wurden mit Bewegungserfassung gemessen, und ihre Blickrichtung wurde von Brillen mit Eyetracking-Funktion erfasst. Wir haben auch Audio, Video und MIDI des Klaviers aufgenommen. Die Testpersonen trugen Sensoren, die ihre Herzaktivität (EKG) maßen, und Gürtel um Brust und Bauch, die ihre Atembewegungen erfassten. Jedes Duo performte ein paar Mal zusammen und schaute dann Aufnahmen seiner Performances an, bei denen es die „Zusammenheit“ beurteilte, die es seiner Erinnerung nach während der Performance erlebt hatte.
Einige unserer Analysen untersuchten, wie ähnlich sich Sänger_in und Pianist_in bewegten und wie sehr sie sich mit ihren Bewegungen beeinflussten (siehe Abbildung 2). Hier waren wir vor allem an den ausdrucksstarken Kopfbewegungen der Musizierenden interessiert. Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass bei einem Duo, von dem eine Person viel Empathie hat und eine wenig, die Person mit viel Empathie die andere mit ihren Kopfbewegungen führt. Wenn also ein sehr empathischer Sänger mit einer weniger empathischen Pianistin spielt, führt der Sänger. Wenn eine sehr empathische Pianistin mit einem weniger empathischen Sänger performt, führt die Pianistin. Dieses hochinteressante Ergebnis widerspricht der Theorie, dass mehr Empathie größere Fügsamkeit bedingt. Unsere Ergebnisse zeigen, dass mehr Empathie eine bessere Führungsfähigkeit mit sich bringt.
Komplexe zwischenmenschliche Interaktionen wie diese, die ein erfolgreiches Zusammenspiel in einem Ensemble ermöglichen, sind schwer messbar. Die kognitiv-emotionalen Zustände und Erfahrungen sind besonders schwer zu greifen und mit quantifizierbaren Maßen wie Tonsynchronisation oder Quantität an Körperbewegung in Verbindung zu bringen. Mit einem neuen, multi-methodischen Zugang zur Studie von Performances soll unsere Forschung zu einem verbesserten Verständnis führen, wie enge Beziehungen zwischen Performer_innen eine qualitativ hochwertige Performance ermöglichen.
Zum Schluss wollen wir uns bei allen wunderbaren Musizierenden bedanken, die bei unserer Studie mitgemacht haben. Es war uns ein großes Vergnügen, mit ihnen zu arbeiten und die großartigen, inspirierenden Performances und Interpretationen zu hören, die sie zusammen geschaffen haben.
Mehr Informationen finden Sie unter mdw.ac.at/togetherness
Autor_innen: Anna Niemand, Sara D’Amario, Werner Goebl, Laura Bishop