Elizabeth Blonzen unterrichtet seit Oktober 2024 Rollengestaltung am Max Reinhardt Seminar. Dem mdw-Magazin erzählt die Schauspielerin und Drehbuchautorin, warum Wien die ideale Stadt für Schauspieler_innen ist, wie man mutige Schauspieler_innenpersönlichkeiten heranzieht und warum man sich am Max Reinhardt Seminar noch gegenseitig etwas gönnen kann.

„Hast du nichts von Bärbelchen gehört?“ „Von Bärbelchen?“ „Ja, hast du nichts von Bärbelchen gehört?“ „Ob ich was von Bärbelchen gehört habe?“ – Wenn diese Faust’sche Frage so lange hin- und hergewälzt wird, handelt es sich wohl kaum um eine traditionelle Aufführung des Stückes. Um eine schauspielerische Übung der berühmten Szene dann schon eher. So wie sie oftmals am Max Reinhardt Seminar praktiziert wird – im Unterricht des Faches Rollengestaltung.

© Daniel Nartschik

Dieses umfasst die Arbeit mit Studierenden des ersten bis vierten Jahrgangs an einer oder mehreren Szenen aus klassischen Stücken. Dabei sollen die Studierenden verschiedene Rollen ausprobieren, diese jedoch auch wieder ablegen dürfen, wenn sie nicht passen. Das ist Elizabeth Blonzen, die im Oktober 2024 als Lehrende für Rollengestaltung ans Max Reinhardt Seminar berufen wurde, ein Anliegen: „Es ist mir ein Ehrgeiz, eine Rolle zu finden, die wirklich passt für den Ausbildungsstand der Studierenden, die sie weiterbringt, sie aber auch nicht so verunsichert, dass sie keine Lust mehr haben oder entmutigt sind“, erläutert sie ihren Ansatz. In Übungen wie der oben beschriebenen soll es darum gehen, herauszufinden, was man „wirklich von dem oder der anderen wissen möchte – und der oder die andere von einem selbst“. Denn letztlich sei es ja auch das, was man der Gesellschaft zeigen möchte: dass man einander zuhören und sich füreinander interessieren solle.

Die Offenheit den anderen Spielenden gegenüber, die Experimentierfreude, der Mut, Fehler zu begehen, – all das sind für Elizabeth Blonzen zentrale Bestandteile der Rollengestaltung. Die Studierenden „sollen auch mal etwas ausprobieren dürfen, von dem sie nicht wissen, ob man dann klatscht“. Es gebe ja auch immer wieder Rollen, deren Aneignung nicht sofort funktioniere, wo es sich aber lohne, durchzuhalten. „Es ist schön, wenn sie lernen, sich zu verzeihen, wenn sie etwas nicht gut gemacht haben. Ich möchte gerne Schauspieler_innen ausbilden, die mutig sind, auch dann, wenn es gerade nicht so toll läuft“, so Elizabeth Blonzen. Das habe sie auch selbst immer so praktiziert.

Ausgebildet an der Otto Falckenberg Schule in München, spielte die 1968 geborene Schauspielerin, Drehbuchautorin und Schauspielprofessorin bereits früh große klassische Rollen und erhielt seither zahlreiche Engagements an verschiedenen Theatern, darunter an den Münchner Kammerspielen, im Deutschen Schauspielhaus Hamburg, im Schauspielhaus Bochum, an der Schaubühne und dem Maxim Gorki Theater Berlin. Auch in vielen TV- und Kinoproduktionen wirkte sie mit. Derzeit konzentriert sich Blonzen aber hauptsächlich auf ihre Arbeit am Max Reinhardt Seminar – und hat in dieser Aufgabe erhebliche Erfüllung gefunden: „Ich bin total begeistert von meinen Studierenden. Ich empfinde es als Glück, sie zu unterrichten. Eine Ehre. Wir arbeiten derzeit an einer Komödie, Bunbury von Oscar Wilde, und ich finde sie so lustig und bezaubernd, in allem, worum sie ringen, in allem, was sie sich einfallen lassen und was sie sich manchmal auch einfallen lassen, um sich nichts einfallen lassen zu müssen.“ Sie freue sich bereits an den Wochenenden auf ihre Lieblingsstellen, an denen sie in den kommenden Einheiten arbeiten würden – zur Überbrückung der Wartezeit bastelt Blonzen mitunter dann auch mal Adventkalender für ihre Zöglinge. „Genauso wie meine Studierenden muss ich meine Rolle hier am Max Reinhardt Seminar auch erst finden, wir fangen alle gemeinsam an und unterstützen uns gegenseitig.“

Denn genauso wie ihre Studierenden, von denen viele neu in die Stadt gezogen seien, ist auch Elizabeth Blonzen neu in Wien. „Wien ist eine Stadt, in der Schauspieler_innen noch geschätzt, geliebt und respektiert werden“, attestiert Blonzen lachend ihrer neuen Wahlheimat, in der sie entgegen des gängigen (und nur selten widerlegten) Klischees bisher durchwegs freundlich empfangen worden sei. Das bilde sich auch in der Schauspielschule ab. „Das Max Reinhardt Seminar bildet Schauspieler_innen aus, die ensembleorientiert spielen“, schildert Elizabeth Blonzen ihre Beobachtungen. Die Studierenden „können Partnerspiel, die spielen miteinander, da gibt es keine Ellenbogenmentalität, die widmen sich dem Stück, der Figur, der Situation, die sie spielen sollen.“ Postdramatisches Theater à la Elfriede Jelinek und „Monolog-nach-vorne-Spielen“ gebe es zwar am Reinhardt-Seminar, jedoch spiele man hier auch gerne zusammen. „Und das in einer Weise, in der das keine andere Schauspielschule macht. Das, finde ich, liegt auch an Wien“, meint Elizabeth Blonzen.

Zu einem starken Wir-Gefühl gehört auch die Förderung von Diversität, welche am Max Reinhardt Seminar auch immer mehr Einzug hält. „Man muss strukturell schauen, dass man nicht nur nach außen hin ein paar diverse Studierende aufnimmt, sondern dass in den Leitungsebenen, oder zum Beispiel auch in der Technik, Leute engagiert werden, die das Team mit anderen Perspektiven bereichern können.“ Das müsse laut Elizabeth Blonzen auf einer Entscheidungsebene stattfinden. „Das ist auch ein Grund, warum ich hier bin, dass ich mir mit diesem neuen Leitungsteam erhoffe, dass sich auf einer strukturellen Ebene etwas ändert.“ Bisher habe es zum Beispiel am Max Reinhardt Seminar bereits einen Workshop zu Geschlechtervielfalt, ein Thema, das den Studierenden sehr am Herzen liege, gegeben. Geht es nach Blonzen, solle es außerdem für Lehrpersonen Voraussetzung sein, einen Anti-Rassismus-Workshop besucht oder zu diesem Thema künstlerisch gearbeitet zu haben. Dadurch entstehe am Max Reinhardt Seminar ein respektvolles Miteinander und eine Atmosphäre des „Sichgegenseitig-Gönnens, dass man toll ist“. Dafür macht Blonzen aber auch etwas anderes verantwortlich: „Vertrauen ist die Grundlage. Und die Grundlage der Grundlage ist Selbstvertrauen.“ Dies gelte es – neben vielem anderen – im Fach Rollengestaltung zu vermitteln. Die eigenständige Entwicklung der Rollen, die Mitbestimmung deren Gestaltung und ein spielerischer, experimentierfreudiger Umgang in einem sicheren Rahmen soll geschaffen werden. Dazu gehöre auch die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen: „Wollen wir das Stück in der Zeit belassen, in der es geschrieben ist, oder soll es heute spielen? Welches Kostüm wählen wir, wie sind die Figuren angezogen? Soll das ein Korsett sein? Oder soll es bequem sein? Welche Ästhetik wollen wir? Wie nähern wir uns dem? Wollen wir das alles im Chor sprechen? Wie ist das unterschiedlich? Wie ist unser Frauen-Männer-Bild? Wollen wir das in den Geschlechtern, die geschrieben sind, belassen? Oder soll eine Frau Hamlet spielen? Wie verhalten wir uns dazu?“

Im aktuell geprobten Stück von Oscar Wilde würde beispielsweise verhandelt, wie man mit der Bezeichnung einer Figur als „junges, hübsches Mädchen“ umgehen soll. „Schädigt das die Figur, wenn so über sie gesprochen wird? Wie verhalten wir uns dazu, dass es das Wichtigste ist, auf den Mann bezogen zu sein? Wollen wir das reproduzieren – oder wollen wir dem etwas entgegensetzen?“ – das alles seien wichtige Fragen, die in der Rollengestaltung gestellt und bearbeitet werden müssten. All jene mitunter künstlerischen Entscheidungen zu treffen soll Studierende dazu befähigen, selbstbewusst gestalterisch zu agieren und sich dadurch unabhängig von der Regie zu machen. Unter anderem aus diesem Grund haben Schauspiel- und Regiestudierende am Max Reinhardt Seminar im ersten Jahr gemeinsamen Unterricht. „Wir möchten gerne Schauspieler_innen ausbilden, die selbstständig agieren. Die nicht nur darauf warten, was die Regie vorschlägt. Die der Regie Angebote machen und sich nicht nur als Erfüllungsgehilfen, sondern als künstlerische Partner_innen sehen.“ Schauspielstudierende lernen, wie sie sich zu den Forderungen der Regisseur_innen verhalten sollen. Dazu gehöre zum Beispiel, für ihre Rechte einzutreten und Grenzen zu setzen. „Wenn man gerade nicht so eine gute Probe hat, traut man sich nicht zu sagen, dass beispielsweise die vereinbarte Probezeit schon überschritten wurde. Man denkt: ‚Jetzt war ich schon so schlecht, jetzt kann ich da nicht noch Ansprüche stellen.‘“ Genau dem möchte Elizabeth Blonzen in ihrem Unterricht entschieden entgegenwirken: „Mein Hauptziel ist nicht, dass sie ein ganz tolles Gretchen sind. Das wäre schön. Aber mein Hauptziel ist, dass ich sie befähige, ihre eigene künstlerische Persönlichkeit zu entdecken und selbstbewusst damit umzugehen. Und dass sie sicherer aus der Arbeit mit mir rausgehen als sie reingekommen sind.“

Ob die Studierenden dabei „Bärbelchen“ gesehen haben, bleibt nebensächlich.

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