Fehlerfreundlich agieren
Wenn ich alles richtig mache, lerne ich nichts. „Das Konzept der Fehlerfreundlichkeit widerspricht der gesellschaftlichen Norm, nach der Fehler auf jeden Fall zu vermeiden sind. Es widerspricht der Norm, dass es jene gibt, die etwas richtig machen und deshalb gut sind, und jene, die etwas falsch machen und deshalb schlecht sind. Vor dem Hintergrund dieser Norm ist es schwierig, Fehler einzugestehen. Daher muss in der Lehre eine fehlerfreundliche Atmosphäre erst aktiv geschaffen werden. Es müssen alle von den Anforderungen, immer richtig zu handeln, perfekt sein zu müssen, entlastet werden. Erst wenn dieser Anspruch nicht mehr an sich selbst (und andere) gestellt wird, ist es möglich, sich mit dem eigenen Anteil an Reproduktionen von Machtverhältnissen auseinandersetzen zu können.“ (Urmila Goel 2016)
Fehler sind die Quelle für Veränderung und notwendig, um zu reflektieren und sich weiter zu entwickeln.
Überlegungen einer Lehrenden
„Entwicklung bedeutet immer auch Risiko, neue Wege, Unsicherheiten. Auf diese werde ich mich nur einlassen, wenn mir zugestanden wird, Fehler machen und daran wachsen zu dürfen. Wenn ich den Begriff „Probe“ ernst nehme, formuliere ich hier den Vorgang eines „Ausprobierens“. Das bedeutet, ich versuche etwas in meiner Kunst, was mich einem Gestaltungsziel näherbringen kann – aber nicht muss.
Um mit Freude und Selbstbewusstsein „probieren“ zu können, darf der Aspekt der Ergebnis-Offenheit, der Annäherung statt des Erreichens eines Zieles, mitschwingen. Wenn mich die „Probe“ einem Gestaltungsziel näher bringt, war sie erfolgreich, und wenn ich kein unmittelbares Fortschreiten auf dem künstlerischen Weg wahrnehme, kann der Prozess ebenso erfolgreich gewesen sein – nämlich unter subtileren, möglicherweise weniger ergebnisorientierten Gesichtspunkten: Ich habe eventuell meine momentanen Grenzen wahrgenommen und dadurch den Anreiz erhalten, diese durch intensiveres Üben zu erweitern. Ich habe vielleicht gelernt, dass bestimmte Rahmenbedingungen für meine künstlerische Entwicklung nicht förderlich sind und bin herausgefordert, diese zu verändern.
Wenn die Beteiligten an einer Probe oder einer Unterrichtsstunde die Fähigkeit haben, dies zuzugestehen, wächst die Freiheit, sich auszuprobieren und Ausdruckselemente mutig einzubringen, da diese ohne die Gefahr der Beschämung oder Abwertung im gemeinsamen Prozess neu gegriffen, revidiert, weitergesponnen, konkretisiert, und entwickelt werden können. Ohne diese Fehlerfreundlichkeit spielt immer die Frage mit, ob mein Probieren auf Zustimmung trifft. Dadurch entfernt sich der Versuch aus seinem eigentlichen Kern, nämlich der neugierigen künstlerischen Weiterentwicklung, hin zu einer Außenorientierung mit der Intention, gefallen zu wollen und verliert dabei unter Umständen genau die Möglichkeit, künstlerische Entwicklung zu generieren.
Um als Lehrperson ebenso offen für neue Prozesse in der Didaktik sein zu können, brauche auch ich die Gewissheit, dass mir mit Fehlerfreundlichkeit begegnet wird.“ (mh)
Reflexionsimpuls
Häufig prägt der Umgang mit Fehlern, den ich selbst in Schul- und Ausbildungszeit erlebt habe, auch mein Handeln als Lehrende_r. Die Auseinandersetzung mit der Fehlerkultur in der eigenen Bildungsbiografie kann helfen, unbewusste Muster aufzudecken und zu einer fehlerfreundlichen Haltung gegenüber Studierenden zu gelangen.
- Wie habe ich den Umgang mit Fehlern in der eigenen Schul- bzw. Ausbildungszeit erlebt?
- Welche Schlüsselmomente kommen mir dazu in den Sinn?
- Gab es Vorbilder im Umgang mit (eigenen) Fehlern bzw. Negativ-Beispiele?
- Wie schätze ich den Einfluss der erlebten Fehlerkultur auf meine Einstellung zu Fehlern ein?
- Was erkenne ich von damals in meinem heutigen pädagogischen Handeln wieder?
- Wie wurde ich unterrichtet und entspricht dies meiner Vision von gutem Unterricht?
Weiterführende Links und Tools
zum Lesen und Erkunden