Geschichte

Die Auseinandersetzung mit „Alter Musik“ an der mdw (bzw. ihren Vorgängerorganisationen) ist wohl so alt wie die Ausbildungsstätte selbst. Blickt man zwei Jahrhunderte zurück in die Zeit der Gründung des Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde, trifft man auf Raphael Georg Kiesewetter (1773-1850), der als Mitglied des Konservatorium-Komitees nicht nur durch seine umfangreiche Sammlertätigkeit, sondern auch in den Aufführungen der historischen Kompositionen zukunftsweisend agierte. Die Entwicklung bis zum heutigen Tag war geprägt von einer wechselnden Sichtweise darauf, was als besonders wertzuschätzende und erklingenswürdige „Alte Musik“ anzusehen ist, aber auch wie diese zu interpretieren sei. 

War das Interesse zuerst primär allgemein historisch motiviert und betraf im Allgemeinen eher eine kleine Interessentengruppe, brachte das beginnende 20. Jahrhundert bis in die 30er Jahre eine breitenwirksame „Wiederentdeckung“ spezieller Epochen und Komponisten aber auch das Populärwerden einzelner historischer Instrumente (etwa Blockflöte und Gitarre bzw. Laute) meist in neuem Kleid und oft mit vereinfachter Spielweise. „Hausmusik“ und das Musizieren in kleineren, bisweilen bewusst nicht auf Professionalität bzw. Perfektion abzielenden Ensembles lag im Trend. Daneben förderten Strömungen wie der Neoklassizismus ein neues Herangehen an die Musik. Gebremst durch die Weltkriege führten diese Entwicklungen in der Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg zu einer besonderen Schwerpunktsetzung auch im Bereich „Alte Musik“ an der Wiener Musikakademie.

Anknüpfend an diese populären Strömungen waren die folgenden Jahrzehnte durch die engagierte Suche nach einer „authentischen“ Interpretation basierend auf historischen Quellen und die Erarbeitung einer professionellen Spieltechnik gekennzeichnet. Geprägt wurde die Pflege der „Historischen Aufführungspraxis“ an der Musikakademie von Beginn an von einzelnen Persönlichkeiten, die sich idealistisch in ihrem Bereich engagierten, wohl in der musikalischen Praxis oft zusammenwirkten, dennoch (im Unterschied zu anderen musikalischen Ausbildungsstätten) nie zu einer gemeinsamen institutionalisierten Struktur fanden.

Die frühen Repräsentanten der „Historischen Aufführungspraxis“ an der Musikakademie stammen in ihrer Prägung weitgehend aus der Zwischenkriegszeit. Allen voran ist Josef Mertin (1904-1998) zu nennen. Mertin war nicht nur musikhistorisch gebildet, er hatte auch das Handwerk des Orgelbaus erlernt. Er unterrichtete nach dem 2. Weltkrieg bis in die 70er Jahre das in mehreren Studienrichtungen verankerte „Collegium musicum“ (Ensemblespiel im Bereich „Alte Musik“, verknüpft mit der Vermittlung entsprechenden theoretischen Wissens – wobei das oft eher Spontane in Unterricht und Konzerten durchaus dem Zeitgeist entsprach). Die Teilnahme am „Collegium musicum“ wirkte sowohl auf viele Dirigenten (mit Hans Swarowsky stand Mertin stets in fachlichem Austausch und unterrichtete dessen Schüler) wie auch auf zahlreiche Musikerinnen und Musiker, die in den folgenden Jahren und Jahrzehnten die „Originalklangbewegung“ als aktiv Konzertierende oder auch Lehrende prägten. Unter den vielen zu nennen sind etwa René Clemencic (*1928), der neben seiner eigenen musikalischen Karriere auch von 1961-1970 an der Musikakademie u.a. Blockflöte und Ornamentik unterrichtete, Gustav Leonhardt (1928-2012), der 1952-1955 Cembalo an der Musikakademie unterrichtete, der Oboist Jürg Schaeftlein (1929-1986), der ab 1970 ebenda Oboe unterrichtete, Eduard Melkus (*1928) wie auch Nikolaus Harnoncourt (1929-2016) und Alice Hoffelner (*1930, später Harnoncourt).

Die Zeit nach dem Krieg ist auch von einer engen Verbindung zur „traditionellen“ Wiener Musikszene und deren Aufführungspraxis gekennzeichnet. Typisch dafür war etwa eine Persönlichkeit wie Bruno Seidlhofer (1905-1983). Heute eher als einer der prägenden Klavierprofessoren bekannt, unterrichtete er phasenweise das „Collegium musicum“ und über viele Jahre auch Hauptfach Cembalo.

Bereits 1949 wurden zwei „Sonderlehrgänge“ im Bereich „Alte Musik“ eingerichtet. Der Lehrgang „Viola d’amore“ wurde von dem Wiener Philharmoniker Karl Stumpf (1907-1988) geleitet. Typisch für die Zeit ist eine oft enge Verknüpfung der „Alten Musik“ mit der neu komponierten – so sollte sich auch dieser Lehrgang neben der historischen Spielweise mit dem Einsatz des Instrumentes in neuer Musik befassen. 

Der ebenfalls neue Lehrgang „Gambe“ wurde von Karl Schwamberger (1905-1967) geleitet, später „Viola da gamba“, u.a. unterrichteten Veronika Gutmann (*1943), August Wenzinger (1905–1996), José Vasquez (*1951).

Durch das Wirken des im historischen Ensemblespiel (auch als Lautenist) aktiven Karl Scheits (1909-1993) erlangte die als „Modeinstrument“ verbreitete Gitarre im Bereich „Historische Aufführungspraxis“ an der Musikakademie Bedeutung. 

Es war in gewisser Weise eine Pionierzeit, in der die historischen Instrumente und deren Spielweise neu erforscht wurden, weswegen sich auch einige der Lehrenden (z.B. Schwamberger, Stumpf, Scheit) in Lehrwerken mit der Interpretation auf den alten Instrumenten auseinandersetzten. Das Interesse am historischen Klang zeigte sich aber auch im Ankauf zahlreicher Instrumente, die zwar noch nicht immer dem historischen Vorbild entsprachen, dennoch aber einen ersten wichtigen Grundstock für eine Ausbildung auf Originalinstrumenten bildeten. So wurde bereits zwischen 1945-1952 neben zwei Cembali, zwei Orgeln, einem Orgelpositiv, einem Hammerflügel auch eine Viola da gamba, eine doppelchörige Laute, zwei Viola d’amore, fünf Viellen und mehrere Blockflöten angeschafft. Das Instrumentarium wurde in den folgenden Jahren erweitert und zunehmend wurden echt historische Instrumente bzw. Kopien ebensolcher bevorzugt.

Bereits recht gut im Wiener Konzertleben als Soloinstrument verankert war in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg das Cembalo. Hier wirkte eine der bedeutendsten Pionierinnen in der Erforschung der Historischen Aufführungspraxis: Isolde Ahlgrimm (1914-1995). Sie sammelte nicht nur akribisch historische Quellen zur Aufführungspraxis sondern führte neben dem gesamten Bach’sche Cembalowerk 1950/51 auch das gesamte „Clavierwerk“ Mozarts auf originalen Fortepiani auf, womit sie wichtige Impulse für die junge Pianistengeneration aussandte – etwa an Paul Badura-Skoda (*1927), der selbst von 1981-1994 als Klavierprofessor an der mdw tätig war und dessen Interesse an „Historischer Aufführungspraxis“ mehrere Schriften belegen. Isolde Ahlgrimm unterrichtete beginnend nach dem Krieg mit Unterbrechungen bis 1986 Hauptfach Cembalo (ab 1975 als o.Prof.). Ihr folgte bis 2017 Gordon Murray (1948-2017). Daneben ist als Lehrende im Hauptfach Cembalo auch Eta Harich-Schneider (1894-1986) zu nennen.

Ein weiteres für die Pflege der Alten Musik bedeutendes Instrument ist die Orgel. Hier sei als Lehrer besonders Anton Heiller (1923-1979) hervorgehoben, der gleich nach dem Krieg mit erst 22 Jahren zu unterrichten begann (auch Cembalo). Stellvertretend für die im Bereich der „Historischen Aufführungspraxis“ engagierten Orgelprofessoren sei auch der Heiller-Schüler Michael Radulescu (*1943) genannt, der in der nächsten Generation viele an Alter Musik interessierte Organistinnen und Organisten mit seinen Überlegungen prägte.

Als Mertin 1974 emeritierte, war die historisierende Aufführungspraxis in der „Originalklangbewegung“ – nun vielfach als Gegenströmung zur traditionellen Aufführungspraxis gesehen – im Wiener Konzertleben weitgehend etabliert. An der nunmehrigen Hochschule hingegen mussten wieder neue Wege gefunden werden um der weiteren Entwicklung in dem Fach entsprechend Raum zu geben. Neu eingerichtet wurde nun ein „Lehrgang für Historische Instrumentenpraxis“ unter der Leitung von Eduard Melkus, der damit insbesondere Konzert-Violinisten ansprach. Daneben entwickelten sich besonders im Umfeld der Musikpädagogik zahlreiche Aktivitäten. Die Blockflöte erlebte mit Lehrenden wie Hans Maria Kneihs (*1943), der ab 1964 unterrichtete, und dessen bald selbst unterrichtenden Studierenden einen Höhepunkt. Aber auch auf anderen Instrumenten wurde Interesse an der „Historischen Aufführungspraxis“ geweckt – etwa am Violoncello durch Ernst Knava (1927-2018).

2004 schließlich erhielt Ingomar Rainer (*1954) das neu eingerichtete Ordinariat für Historische Musikpraxis (mit Lehrveranstaltungen insbesondere im Bereich der Konzertfach-Streich- und Blasinstrumente).

Das Interesse an der Interpretation „Alter Musik“ schlug sich nicht zuletzt auch in einer speziellen wissenschaftlich bzw. theoretischen Auseinandersetzung nieder. Bereits 1957 wurde eine „Stilkommission“ eingerichtet, die sich mit grundlegenden Fragen der Historischen Aufführungspraxis (Ornamentik, Tempo) befassen, aber auch u.a. die „Ausarbeitung einer Liste von Editionen, die für die Akademie nicht tragbar sind“ und eine „Zusammenstellung der Quellen für Interpretationen, die als authentische Äußerungen der Komponisten gelten können“ anstrebte. Später wurde die „Stilkommission“ in „Arbeitsgemeinschaft für musikalische Werkpraxis“ umbenannt, der ab 1964 Robert Schollum (1913-1987) vorstand. Aus Lehrveranstaltungen zum Thema „Stilkunde und Aufführungspraxis“ an der Abteilung für Musikpädagogik entstand 1987 die Lehrkanzel für Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis (unter Hartmut Krones, *1944), die mit der Universitätswerdung 2002 zum „Institut für Musikalische Stilforschung“ wurde und bis 2016 bestand.

Die Interpretation „Alter Musik“ im Sinne einer „Historischen Aufführungspraxis“ – die mittlerweile einen Zeitraum bis in das 19. Jahrhundert umspannt – manifestiert sich heute in vielen Bereichen durch das Wirken zahlreicher Lehrender, die hier nicht genannt sind, da sie nicht Geschichte, sondern vielmehr Gegenwart und Zukunft sind.

Maria Helfgott, August 2019