Beziehung gestalten

Die Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden ist die Basis pädagogischer Interaktion. Die Einstellung und Haltung, mit der wir einander begegnen, wirkt sich maßgeblich auf unser Verhalten und Handeln aus. Lehrende sind daher gefordert, das eigene Handeln immer wieder zu hinterfragen, situativ zu reagieren und die Gestaltung des Miteinanders als gemeinsamen Lernprozess zu betrachten. Dabei stehen die Studierenden mit ihrer individuellen Bildungsbiografie im Zentrum des pädagogischen Geschehens. Die Gestaltung von Lehr_Lernpraxis sollte auf die individuellen Lernbedürfnisse und Lernzugänge ausgerichtet sein und selbstgesteuertes Lernen ermöglichen. Studierende sollten in ihrer Individualität respektiert werden und genügend Raum bekommen, eigene Erfahrungen und Ressourcen in den Unterricht einzubringen. Für Lehrende bedeutet das, Studierende in der Verantwortung für den eigenen Bildungsprozess ernst zu nehmen und sie in ihrer Individualität zu respektieren. (ce)

Gedanken einer Lehrenden

„Ich zeige einen möglichen Weg, der dann selbst gegangen und erforscht werden soll. Diesen Weg darf ich begleiten.

Vertrauen in den individuellen Entwicklungsweg der mir anvertrauten Studierenden entlastet mich als Lehrperson von der Vorstellung, diesen Prozess in jedem Detail zu verantworten und erlaubt den Studierenden, in ihrer Eigenverantwortung zu bleiben, ohne dabei alleingelassen zu werden.“ (mh)

Impulse zur gemeinsamen Beziehungsgestaltung

Besonders im künstlerischen Einzelunterricht, im One-to-One-Setting, ist die Beziehungsgestaltung von zentraler Bedeutung, da sie entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg der Studierenden nimmt. Gelingende Bildungsprozesse brauchen eine vertrauensvolle Atmosphäre des Miteinanders, die von Akzeptanz und gegenseitiger Wertschätzung geprägt ist. Lehrende und Lernende sollten sich auf Augenhöhe in ihrer jeweiligen Expertise begegnen, Lernende als Verantwortliche für den eigenen Bildungs- und Entwicklungsprozess, Lehrende als Verantwortliche für die Unterstützung und Begleitung dieses Prozesses.

  • Zu Beginn gegenseitige Erwartungen und Wünsche an den Unterricht klären
  • Vorstellung der Studierenden bezüglich ihres eigenen Lernprozesses miteinbeziehen
  • Möglichkeiten des Feedbacks gemeinsam erarbeiten
  • Sich Rückmeldung zum Unterricht von Studierenden holen
  • Den gemeinsamen Prozess immer wieder aus der Distanz betrachten, mit den gegenseitigen Erwartungen und Wünschen abgleichen und den weiteren Verlauf des Unterrichts anpassen

Reflexionsfragen von Lehrenden

an sich selber an die Studierenden
Welche Erwartungen habe ich an den_die Studierende_n? Welche Erwartungen haben Sie an die Unterrichtsgestaltung?
Wie stelle ich mir eine konstruktive Interaktion mit dem_der Studierenden vor? Wo sehen Sie Ihre Stärken und in welcher Weise möchten Sie diese einbringen?
Was ist meine Vorstellung von Führung bzw. Begleitung des_der Studierenden? Welche Unterstützung wünschen Sie sich für Ihren Entwicklungsprozess?
Welche Erfahrungen habe ich selbst als Schüler_in im künstlerischen Einzelunterricht gemacht und wie prägen diese meine Vorstellungen vom Studieren und Lehren? Gab es in Ihrer eigenen Schulzeit Vorbilder bzw. Menschen, die Sie besonders geprägt haben? Wodurch haben Sie diese Menschen nachhaltig beeinflusst?
Wieviel Raum für Eigeninitiative und Selbstständigkeit gebe ich dem_der Studierenden im Rahmen des Unterrichts? Wo brauchen Sie Raum für Eigeninitiative und selbständiges Arbeiten?
Wie schätze ich die gegenseitige Verantwortung für den Entwicklungsprozess des_der Studierenden ein? Wie schätzen Sie Ihre Verantwortung für den eigenen Entwicklungsprozess ein?
Was erlebe ich an der Gestaltung des gemeinsamen Entwicklungsprozesses als bereichernd, was als besonders herausfordernd? Was erleben Sie an der Gestaltung des gemeinsamen Entwicklungsprozesses als bereichernd, was als besonders herausfordernd?
Auf welche Art und Weise möchte ich dem_der Studierenden Feedback geben? Auf welche Art und Weise würden Sie sich ein Feedback wünschen?
In welcher Form wünsche ich mir Feedback von Seiten der_des Studierenden bzgl. Unterrichtsgestaltung?
Welche Rolle spielt für mich die individuelle Lernbiografie des_der Studierenden und inwiefern kann ich in der Unterrichtsgestaltung darauf eingehen? Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Schulzeit gemacht? Wie beeinflussen diese Erfahrungen Ihre Vorstellung vom Lernen und Üben?

Reality Check

Auf Augenhöhe begegnen Auch ein "per Du Sein" muss nicht gleichbedeutend sein mit einer respektvollen Begegnung auf Augenhöhe und birgt zudem die Gefahr, die unterschiedlichen Positionierungen und Rollenverständnisse zwischen Lehrenden und Studierenden zu verschleiern. Studierende sind erwachsene Menschen und sind grundsätzlich per „Sie“ anzusprechen. Die „Du“ -Form darf nur nach Erlaubnis der_des Studierenden verwendet werden. Viele Studierende reagieren höflich und erlauben der Lehrkraft sie zu duzen, obwohl sie selber weiterhin die Lehrkraft siezen. Von dieser Version ist dringend abzuraten. Ein „per Du Sein“ muss von beiden Seiten als stimmig empfunden werden.
Nähe-Distanz-Verhältnis Sprache/Kommunikation: Durch Sprachwahl und Kommunikationsweise werden Nähe und Distanz hergestellt. Hier geht es um den respektvollen Austausch und aufrichtigen Umgang miteinander. Lehrende sind hier Vorbild und in der Verantwortung. Wahrnehmung/Körperübungen: Auch bei Körper(wahrnehmungs)-Übungen spielen Nähe und Distanz eine große Rolle. Durch entsprechende Reflexion und Kommunikation können die Grenzen der Studierenden geachtet und kann ein respektvoller Umgang mit Berührung gefunden werden. In jeglichem Unterricht dürfen Studierende nur dann körperlich angefasst/berührt werden, wenn zuvor von der Lehrperson erklärt wird, weshalb eine Berührung notwendig ist resp. dass durch die Berührung ein Lehrinhalt besser und nachhaltiger erfasst werden kann. Nach der Erklärung ist jedes Mal nachzufragen, ob eine Berührung erlaubt ist. Wenn ein Nein kommt, ist es ein Nein und muss akzeptiert werden. Dann ist ein anderer Weg der Wissensvermittlung zu suchen. Diese Unterrichtsregel gilt auch vice versa, wenn Studierende Lehrende anfassen sollen oder wollen.
Privatsphäre Es ist wichtig, die Privatsphäre von Studierenden zu respektieren sowie die eigenen Grenzen als Lehrende_r klar aufzuzeigen. Studierende sind als eigenständige und selbstverantwortliche Personen anzuerkennen. Ungefragt Ratschläge zur persönlichen Lebensgestaltung von Studierenden zu geben, ist nicht Aufgabe von Lehrenden – etwa wenn es um die Wohnsituation oder die Auswahl von Partner_innen und Freund_innen geht.

Impulse für alternative Lehrformate

Überlegungen einer Lehrenden und Erfahrungsimpulse aus der Praxis für einen studierendenzentrierten Unterricht im zentralen künstlerischen Fach.

„Es muss nicht auf Einzelunterricht und dessen Vorteile verzichtet werden, doch gibt es zahlreiche Möglichkeiten und Ansätze, den Einzelunterricht bewusster und diskriminierungsfreier zu gestalten. Wesentlich dabei ist, das Konzept der Meisterklasse, das sich auf e i n e herausragende Künstler_innenpersönlichkeit konzentriert, kritisch zu überdenken und dadurch zu mehr Vielfalt und dialogischeren Formen in der Unterrichtsgestaltung zu kommen.“ (nz)

Die Lehrenden eines zentralen künstlerischen Faches verstehen sich als Team und sind regelmäßig im Austausch. Alle Lehrenden eines Faches kennen nach der Zulassungsprüfung alle neu aufgenommenen Studierenden, da bereits bei der Auswahl der Studierenden die Expertise aller mit einbezogen wurde. Im Hauptfach beginnen die Lehrenden mit jenen Studierenden, die ihnen zunächst zugeteilt wurden. Im Zeitrahmen von insgesamt acht Semestern können die Studierenden ihre_n Hauptfachlehrende_n mehrmals wechseln. Die Studierenden werden von Beginn an über diese Möglichkeit informiert und wissen, dass sie dadurch ihr Erfahrungsspektrum im Künstlerischen wie im Pädagogischen erweitern können.

Die Hauptfachstunden, meist sind es zwei pro Semester, könnten ab dem dritten oder vierten Studiensemester gesplittet werden, sodass sich die Stunden des Hauptfachs auf zwei Hauptfachlehrende aufteilen. Dies hat für die Studierenden den Vorteil, dass sie die Expertise von zwei Lehrenden und beispielsweise verschiedene Methoden und Sichtweisen gewinnen. Für Lehrende bietet dieses Format den Vorteil, sich auch fachlich über den Lernerfolg der Studierenden austauschen zu können.

Die Möglichkeit der Splittung des künstlerischen Hauptfachunterrichts fördert ganz generell eine kritische, eigenverantwortliche Entwicklung von Kunststudierenden, indem sie durch mehrere Meister_innen ihres zentralen künstlerischen Faches unterschiedliche Vermittlungsformen von Wissen kennen lernen.

Die Hauptfachlehrenden planen vor Beginn des Semesters/ Studienjahres einen Open Day, der in der ersten Einheit an alle Studierenden kommuniziert und als Teil des Unterrichts angerechnet wird anstatt einer (mehrerer) Einzelunterrichtsstunde(n). Alle Studierenden haben am Open Day die Möglichkeit, in allen Klassen der Lehrenden eines Faches zu hospitieren und dadurch unterschiedliche Lehrende, Stile, Unterrichtsmethoden etc. kennenlernen.

Alle Lehrenden eines zentralen künstlerischen Fachs organisieren eine Workshopwoche, bei der thematisch unterschiedliche Einheiten durch die einzelnen Lehrenden mit den jeweiligen Expertisen angeboten werden (beispielsweise im Gesang: Atem-Tonus-Ton®, CVT, Estille Voice Training®, Lichtenberger®). Für die Studierenden entfallen in dieser Woche die Hauptfachstunden, stattdessen können sie Einblicke in verschiedensten Techniken, Schulen, Herangehensweisen bekommen.