Das Lesen der Tricky Moments kann für Personen mit Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen (Rassismus, Sexismus, Ableismus, etc.) (re-) traumatisierend wirken, da sie Inhalte zu grenzüberschreitenden Äußerungen sowie Handlungen in Lehr_Lernsituationen thematisieren. Der vorliegende Tricky Moment ist eine fiktive Situation, die sich an reale Erfahrungen anlehnt.

Careful!

Hier geht es um:

CareArbeit
Diskretion
Gender Imbalance

Situationsbeschreibung

Eine Studierende kommt am Gang ins Gespräch mit einem Professor ihres Studiums. Der Professor erkundigt sich über ihren Studienerfolg. Sie erzählt mit Begeisterung über ihre Erfahrungen und merkt an, dass es allerdings mit einer Lehrenden schwierig sei, weil diese öfter verspätet zum Unterricht käme und häufig Termine kurzfristig verschieben würde.
Kurze Zeit später trifft der Professor besagte Lehrende und fragt nach ihrem Befinden. Diese erzählt ihm, dass sie seit einigen Monaten Sorgeverantwortung für ihre zu pflegende Mutter tragen müsse, was sie vor große Herausforderungen stellen würde. Der Professor zeigt Verständnis und schlägt vor, bei der nächsten Institutssitzung gemeinsam nach guten Lösungen zu suchen.

Was ist passiert?

Die Situation aus verschiedenen Perspektiven

Bei einer lockeren Konversation am Gang mit einem Professor äußert die Studierende Kritik an einer ihrer Lehrenden. Der Professor nimmt die Information mit in die nächste Konversation mit dieser Kollegin. Er reagiert auf die Ausführungen der schwierigen Lage der Lehrenden scheinbar verstehend und unterstützend.

Die Studierende platziert Kritik an einer Lehrenden während einer lockeren Konversation am Gang mit einem Professor ihres Studiums. Anscheinend hat die Studierende zuvor keine Initiative ergriffen, ihre Unzufriedenheit gegenüber der Lehrenden selbst anzusprechen. Die Studierende kreiert durch ihr Verhalten eine Situation in der über Dritte gesprochen wird. Die informelle Kommunikationssituation könnte als Appel und Delegieren von Lösungsverhalten an den Professor gemeint sein. Möglicherweise fehlt die Feedbackoption innerhalb der Lehrveranstaltung bzw. das Vertrauensverhältnis zur Lehrenden, um die Problematik direkt adressieren zu können.
Welche Motivation hat die Studierende? geht es ihr um eine Lösung oder um die Diskreditierung der Lehrperson?

Der Professor erhält Information über eine Kollegin, für die er in keiner Weise verantwortlich ist. Im Gespräch mit der Lehrenden sucht der Professor nicht nach einem gemeinsamen Weg, sondern bietet sofort einen Lösungsvorschlag auf Institutsebene an, der ein „unerwünschtes Outing“ herbeiführen würde. Unaufgeforderte Ratschläge bleiben unaufgefordert – daran ändert auch die Intention nichts.

Wahrnehmungs- und Reaktionsoptionen im Gespräch mit Studierender:
Der Professor fühlt sich geehrt durch den Vertrauensvorschuss der Studierenden und dadurch zum Handeln legitimiert.

  • Der Professor fühlt sich von der Studierenden instrumentalisiert und versucht sich gegenüber seiner Kollegin loyal zu verhalten.
  • Er fühlt sich unwohl, weil er ungefragt eventuell sensible Informationen über eine Kollegin erhalten hat.

Wahrnehmungs- und Reaktionsoptionen im Gespräch mit Lehrender:

  • Der Professor fühlt sich für die Problemlage der Kollegin nicht zuständig oder damit überfordert und delegiert es an die Institutsleitung.
  • Er fühlt sich ermächtigt seiner Kollegin eine Lösung vorzuschlagen.

Weil sich die Lehrende in einem befristeten Anstellungsverhältnis befindet, stellt die momentane Care-Situation eine große Herausforderung dar, für die sie verzweifelt eine Lösung sucht. Die Gesprächssituation mit dem Professor ist ihr dennoch höchst unangenehm.
Ungern möchte sie ihre private Situation im gesamten Institut diskutieren (müssen), zudem befürchtet sie negative Konsequenzen bezüglich ihrer Arbeitssituation, über die der Professor nicht ausreichend informiert zu sein scheint.
Verwirrend und tricky an dieser Situation ist unter anderem, dass sich ein tatsächlich übergriffiges Verhalten im Gewand einer freundlichen Geste präsentiert.

Care Arbeit

  • Ein Pflegefall in der Familie tritt zumeist unerwartet ein und stellt Angehörige vor viele Fragen.
  • Frauen übernehmen nach wie vor sowohl im privaten Umfeld als auch im Beruf den allergrößten Anteil der Pflegearbeit. In der Pflege arbeiten über 80 Prozent Frauen, bei mobilen Diensten wie Hauskrankenpflege sogar über 90 Prozent. Auch die private Pflege von Angehörigen wird zum größten Teil von Frauen verrichtet. Auch in der Kinderziehung und der institutionellen Kinderbetreuung tragen ebenfalls Frauen die Hauptlast. So sind etwa nur rund 2 Prozent der Kindergartenpädagog_innen männlich. Aber auch wenn bei Paaren die Kinderbetreuung auf dem Papier geteilt wird, so sind gleichmäßig aufgeteilte Karenzzeiten in Österreich nach wie vor die große Ausnahme. 90 Prozent der Alleinerziehenden sind weiblich. (BMSGPK 2022)
  • Das englische Wort Care bedeutet Fürsorge, aber auch Achtsamkeit, Obhut, Pflege und Umsicht. Es steht sowohl für eine bestimmte Haltung der Welt und anderen Menschen gegenüber als auch für konkrete ‚Care-Arbeiten‘ wie Pflege, Kindererziehung, Waschen und Putzen oder Essenszubereitung. Durch routinierte Abläufe an der Universität können Barrieren für Lehrende und Studierende mit hoher Care-Verantwortung, beispielsweise gegenüber Kindern und pflegebedürftigen Familienmitgliedern, entstehen. Daher ist es wichtig, auch im Kontext der Lehre nach flexiblen Unterstützungsmöglichkeiten zu suchen. (Diversity-Glossar, Universität Freiburg)

Was wäre wenn?

Wie würde sich die Situation durch Ihr Handeln verändern?

Die Studierende verhält sich transparent und gibt der Lehrenden offenes Feedback. Durch den direkten Austausch mit der Lehrenden besteht die Möglichkeit, Verständnis für deren Situation zu entwickeln. Auf dieser Basis können Sie gemeinsam nach Lösungen suchen.

Gespräch mit Studierender: Der Professor möchte sich gegenüber seiner Kollegin loyal zeigen und fragt die Studierende, ob sie ihre Unzufriedenheit schon direkt mit der Lehrenden besprochen hätte.
Gespräch mit Lehrender: Der Professor fragt die Lehrende, ob sie Unterstützung brauchen würde und inwieweit er behilflich sein könnte. Er bietet ihr an, gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

Die Lehrende informiert die Studierenden und die Institutsleitung über mögliche Unregelmäßigkeiten in ihrem Stundenplan und äußert ihre Bereitschaft, ausgefallene Unterrichtszeiten nachzuholen. Ihr ist bewusst, dass ihre aktuelle Situation für die Studierenden herausfordernd und unzufriedenstellend sein kann.

Was / wie tun?

Handlungsimpulse für gelungenen Lehr_Lernsituationen

Die Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden ist die Basis pädagogischer Interaktion.

Mehr zu dieser Handlungsmöglichkeit

Feedback zu geben und zu bekommen beinhaltet Rechte und Pflichten aller Beteiligten und bedarf einer gemeinsam vereinbarten, verbindlichen Struktur.

Mehr zu dieser Handlungsmöglichkeit

Informationsaustausch ist ein wesentliches Element für inklusives, geschlechter- und diversitätsreflektiertes Lehren und Studieren.

Mehr zu dieser Handlungsmöglichkeit

Räume der Reflexion bieten die Möglichkeit, sich im Sinne eines erkenntnisfördernden Rückblicks mit dem eigenen Verhalten, den Lerninhalten und der Lehr_Lernsituation auseinanderzusetzen.

Mehr zu dieser Handlungsmöglichkeit

Haben Sie so eine Situation auch schon erlebt?

Sie sind nicht allein. Hier können eigene Erfahrungen, selbst erlebte Diskriminierungen oder Fragen zu Handlungsmöglichkeiten direkt an den AKG – Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen geschickt werden. Ihre Informationen werden vertraulich behandelt.

Wenn Sie "ja" anklicken, sind keine Angaben zur Person notwendig und die e-Mail geht anonym mit nicht nachvollziehbarer Mailadresse an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen (AKG). Dadurch ist keine weitere Kontaktaufnahme möglich.