Das Lesen der Tricky Moments kann für Personen mit Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen (Rassismus, Sexismus, Ableismus, etc.) (re-) traumatisierend wirken, da sie Inhalte zu grenzüberschreitenden Äußerungen sowie Handlungen in Lehr_Lernsituationen thematisieren. Der vorliegende Tricky Moment ist eine fiktive Situation, die sich an reale Erfahrungen anlehnt.

Ist es okay, wenn ich über meinen Körper definiert werde?

Hier geht es um:

Karriere
Körper
Zuschreibung

Situationsbeschreibung

Einzelunterricht in einem Unterrichtszimmer an der Universität, die Türe ist geschlossen, im Raum befinden sich eine Gesangslehrkraft und eine Studentin, deren Stimme bei der Zulassungsprüfung überzeugt hat. Die beiden besprechen das Repertoire des kommenden Semesters und kommen dabei auf die Karrierevorstellungen der Studentin zu sprechen. Die Studentin erzählt begeistert von Hauptrollen und Titelpartien, die sie besonders reizvoll findet, woraufhin die Lehrperson erwidert: „So klein, wie Du bist, kannst Du nur Soubrette werden.“

Was ist passiert?

Die Situation aus verschiedenen Perspektiven

Die Studierende wurde von der Lehrperson über ihren Körper in eine Rolle gedrängt und erfuhr dadurch eine Abwertung. Zugleich wurde ihr ein vorgezeichnetes Bild ihres zukünftigen künstlerischen Werdegangs vermittelt, das nicht ihren eigenen Vorstellungen entspricht.

Die Rückmeldung der Lehrperson geht nicht auf die Repertoire- und Karrierevorstellungen der Studentin ein. Sie nimmt auch keinen Bezug auf ihre stimmlichen Stärken/Schwächen oder auf andere künstlerische Qualitäten, die mit der Rolle/dem Stimmfach einer Soubrette verbunden sind. Die Rollenfestlegung erfolgt über eine rein körperliche Zuschreibung. Durch das Herstellen der Verbindung zwischen einem körperlichen Merkmal (hier: Körpergröße) mit einem Rollenfach werden stereotype Besetzungsvorstellungen reproduziert, die zumeist tradierte Asymmetrien implizieren (z.B. klein/ groß, unbedeutend/ wichtig, Nebenrolle/ Hauptrolle, zarte Stimme/ kräftige Stimme, komisch, lachhaft/ seriös, ernst, …).

Die Studierende hat soeben aufgrund körperlicher Zuschreibung eine Abwertung erfahren. Sie fühlt sich mit ihren Karrierevorstellungen weder ernst- noch wahrgenommen und kann aus der Aussage der Lehrperson keinen Mehrwert für sich oder ihre künstlerische Entwicklung ziehen. Würde sie allerdings ihre eigenen Vorstellungen eines gelungenen Karriereverlaufs realisieren wollen, müsste sie sich gegen die Lehrperson wenden. Sie befürchtet damit, eine schlechtere Benotung und eventuell weniger Unterstützung hinsichtlich Auftrittsmöglichkeit, Netzwerkbildung und Karriereerfolg.

Lehrperson und Studierende befinden sich per se in hierarchischen Positionen: Die Lehrperson hat Entscheidungsmacht über die Ausgestaltung des Unterrichts, den Unterrichtsverlauf, die Inhalte, etc. und nimmt auch durch die Benotung Einfluss auf den Karriereverlauf der Studierenden. Gleichzeitig ist die künstlerische Entwicklung der Studierenden von der Expertise und einem konstruktiven Feedback der Lehrperson abhängig. Die Äußerung der Lehrperson ist jedoch kein Feedback, sondern eine stereotype Zuschreibung. Dadurch erfährt die Studierende eine Abwertung und das Rollenfach der Soubrette wird negative konnotiert.

Begriffsbeschreibung

(Wikipedia. die freie Enzyklopädie: „Soubrette" [23.5.2022])

Die Soubrette (ursprünglich französisch für „Zofe, Dienerin“) ist ein weibliches Rollenfach im Sprechtheater und in Oper, Operette und Singspiel. [...] Als Stimmfach zeichnet sich die Soubrette durch eine leichte, bewegliche, verspielt-zarte Stimme aus, aber auch durch großes schauspielerisches Talent, insbesondere im komödiantischen Fach. In der Oper steht die Soubrette im Kontrast zur Primadonna, einer Figur von höherem gesellschaftlichem Rang. Die Soubrette eignet sich aufgrund von Leichtigkeit, Beweglichkeit, Zartheit, Höhe und plastischer Formbarkeit auch für Musical, Barocklied und Irish-Folk-Musik.“ (Wikipedia. die freie Enzyklopädie: "Soubrette" [23.5.2022]) Zusätzlich zur stimmlichen Qualität werden sowohl beim Rollen- als auch beim Stimmfach der Soubrette die schauspielerischen Fähigkeiten positiv hervorgehoben.

Was / wie tun?

Wie kann ich aktiv durch mein Tun zu gelungenen Lehr-Lernsituationen beitragen?

Die Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden ist die Basis pädagogischer Interaktion.

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Feedback zu geben und zu bekommen beinhaltet Rechte und Pflichten aller Beteiligten und bedarf einer gemeinsam vereinbarten, verbindlichen Struktur.

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Menschen denken in Bildern. Worte, die wir hören oder lesen, beeinflussen diese Bilder – umgekehrt beeinflussen wir sie in anderen Menschen durch die Art und Weise, wie wir sprechen oder schreiben.

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Räume der Reflexion bieten die Möglichkeit, sich im Sinne eines erkenntnisfördernden Rückblicks mit dem eigenen Verhalten, den Lerninhalten und der Lehr_Lernsituation auseinanderzusetzen.

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Haben Sie so eine Situation auch schon erlebt?

Sie sind nicht allein. Hier können eigene Erfahrungen, selbst erlebte Diskriminierungen oder Fragen zu Handlungsmöglichkeiten direkt an den AKG – Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen geschickt werden. Ihre Informationen werden vertraulich behandelt.

Wenn Sie "ja" anklicken, sind keine Angaben zur Person notwendig und die e-Mail geht anonym mit nicht nachvollziehbarer Mailadresse an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen (AKG). Dadurch ist keine weitere Kontaktaufnahme möglich.