Das Lesen der Tricky Moments kann für Personen mit Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen (Rassismus, Sexismus, Ableismus, etc.) (re-) traumatisierend wirken, da sie Inhalte zu grenzüberschreitenden Äußerungen sowie Handlungen in Lehr_Lernsituationen thematisieren. Der vorliegende Tricky Moment ist eine fiktive Situation, die sich an reale Erfahrungen anlehnt.

Ist mein So-Sein gefragt?

Hier geht es um:

Inklusion
Outing
Prüfungssituation

Situationsbeschreibung

Ein Student mit einer starken Sehschwäche besucht zusammen mit weiteren Studierenden eine Lehrveranstaltung. Er lässt während des Unterrichts ungefragt ein Aufnahmegerät mitlaufen, um später zuhause das Vorgetragene nachzuhören und die Unterlagen mit einem Lesegerät in Ruhe nochmals durchgehen zu können. Bei der Prüfung ist es dem Studierenden nicht möglich, die klein gedruckten Prüfungsunterlagen in der vorgegebenen Zeit ausreichend zu lesen und gibt sie unvollständig ab. Die Lehrperson ist über das Prüfungsergebnis überrascht, weil sie den Studierenden während des Semesters als sehr aktiv und kompetent erlebt hat. Sie bittet ihn um ein Gespräch. Es stellt sich heraus, dass der Studierende nicht in erster Linie als Person mit Behinderung wahrgenommen werden möchte und er deshalb seine Sehschwäche nicht an die Lehrperson kommuniziert hat. Gemeinsam klären sie im Zweiergespräch, wie eine ideale Prüfungssituation für alle Beteiligten aussehen könnte.

Was ist passiert?

Die Situation aus verschiedenen Perspektiven

Die Lehrperson hatte keine Information über den Grad der Sehschwäche des Studierenden – grundsätzlich ist es auch nicht notwendig, dass Lehrende alles über Studierende wissen. Da für die Lehrperson eine gute Entwicklung der Studierenden ein wichtiger Erfolgsfaktor der eigenen Lehre ist, sucht sie aufgrund des Prüfungsergebnisses das Gespräch mit dem Studierenden. Sie entscheidet sich damit dagegen, das Prüfungsergebnis und deren Gründe im Plenum mit den anderen Studierenden zu besprechen, womit ein unerwünschtes Outing einhergehen könnte. Stattdessen nimmt sich die Lehrperson Zeit, einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen, um gemeinsam die Ursachen für das unzureichende Prüfungsergebnis sowie passende Lösungen für einen erfolgreichen Abschluss der Lehrveranstaltung zu finden.

Aufgrund zahlreicher diskriminierender Erfahrungen in der Vergangenheit entscheidet sich der Studierende bewusst dafür, die Sehschwäche nicht offenzulegen. Sein wesentliches Anliegen dabei ist eine Gleichbehandlung mit den Mitstudierenden. Dafür würde er eine negative Benotung in Kauf nehmen und in weiterer Folge auch den Abbruch des Studiums riskieren. Diese selbstbestimmte Entscheidung ist absolut gerechtfertigt, zugleich verzichtet er damit auf einen ihm zustehenden „Nachteilsausgleich“ und verstößt durch das ungefragte Aufnehmen des Unterrichts gegen §15 (13) des Studienrechts. Er nimmt jedoch das Gesprächsangebot der Lehrperson an und kann im Zweiersetting über seine Situation sprechen.

Die Gruppe der Studierenden ist von vorn herein als diverse Gruppe zu betrachten, beispielsweise hinsichtlich sozialer, kultureller und regionaler Bildungs- und Erfahrungshintergründe oder individueller – oft unsichtbarer – physischer und psychischer Behinderungen und Beeinträchtigungen. Das Setting der Kleingruppe ermöglicht die individuelle Bezugnahme der Lehrperson auf einzelne Studierende, aber auch intensiveren Austausch der Studierenden untereinander. Gleichzeitig birgt dieser überschaubare Rahmen auch die Gefahr von Übergriffen/ Grenzüberschreitungen oder unerwünschten Outings. Insgesamt sind Lehr_Lernsituationen als Möglichkeitsräume zu begreifen, in denen auch Studierende proaktiv gestaltend mitwirken können.

Welche Reaktionen wären bei einem unerwünschten Outing aus der Gruppe der Studierenden zu erwarten gewesen?

Was / wie tun?

Wie kann ich aktiv durch mein Tun zu gelungenen Lehr_Lernsituationen beitragen?

Menschen denken in Bildern. Worte, die wir hören oder lesen, beeinflussen diese Bilder – umgekehrt beeinflussen wir sie in anderen Menschen durch die Art und Weise, wie wir sprechen oder schreiben.

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Informationsaustausch ist ein wesentliches Element für inklusives, geschlechter- und diversitätsreflektiertes Lehren und Studieren.

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Vielfältige Lehr- und Lernmethoden bieten die Möglichkeit, die Lernprozesse von Studierenden in ihrer Individualität und Partikularität zu fördern.

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Zu erkennen, wie sich die persönlichen Werte, Normen oder Erwartungen auf das alltägliche Tun und Handeln (im Unterricht) auswirken und selbstkritisch über Dynamiken der Eigen- und Fremdwahrnehmung zu reflektieren, ist wesentlich für die Gestaltung inklusiver, gender- und diversitätsreflektierter Räume.

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Die Bewertung von Leistungen stellt immer eine große Herausforderung dar. Prüfungen sind informativ für Lehrende im Sinne der Verarbeitung des Lehrinhalts. Gleichermaßen ist das Ergebnis einer Prüfung Orientierung gebend für Studierende.

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Haben Sie so eine Situation auch schon erlebt?

Sie sind nicht allein. Hier können eigene Erfahrungen, selbst erlebte Diskriminierungen oder Fragen zu Handlungsmöglichkeiten direkt an den AKG – Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen geschickt werden. Ihre Informationen werden vertraulich behandelt.

Wenn Sie "ja" anklicken, sind keine Angaben zur Person notwendig und die e-Mail geht anonym mit nicht nachvollziehbarer Mailadresse an den Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen (AKG). Dadurch ist keine weitere Kontaktaufnahme möglich.