Die Trompete, Vorfahrin aller Blechblasinstrumente, war zumeist männlich assoziiert. In religiösen Kontexten hat die Trompete die Stimme Gottes personifiziert; im Krieg wurde die Trompete für militärische Befehle verwendet, um dem Feind Angst einzujagen. Frauen hingegen hatten einen sehr restriktiven Zugang zu Blechblasinstrumenten, erst im späten 16. Jahrhundert fingen Nonnen in ihren Klöstern an, Blechblasinstrumente zu spielen. Im 19. Jahrhundert trugen zwei Neuerungen dazu bei, dass sich der Zugang von Frauen zu Blechblasinstrumenten änderte. Die erste dieser Zugangserleichterungen war die Entwicklung von Ventilen. Die neuen Blechblasinstrumente konnten nun auch chromatische Töne und daher Melodien erzeugen, waren nicht mehr auf die Obertöne, die für militärische Signale genügten, begrenzt. Die zweite große Veränderung hin zu einem geschlechtergerechteren Gebrauch von Blechblasinstrumenten erfolgte durch die industrielle Revolution selbst, indem nun Frauen der unteren Schichten ökonomisch gezwungen waren, zusätzlich zur Hausarbeit, Arbeit außer Haus zu suchen. Darunter befand sich die neue Berufsgruppe der Wandermusikantinnen. In diesem Kontext entstanden auch neue Ausbildungsstätten für Blechbläserinnen, die von den Konservatorien noch ausgeschlossen waren. Nicht nur Damenorchester wurden auf beiden Seiten des Atlantiks populär, sondern auch Ladies Bands. Nach dem Ersten Weltkrieg wagten es Musikerinnen, eigene Symphonieorchester zu gründen und schwarze Musikerinnen drängten in die Jazzbands. Während des Zweiten Weltkriegs gab es schwarze und weiße Frauen-Bigbands. Nur peu à peu machten einzelne Blechbläserinnen Karriere. So war es im Jahr 2006 noch immer eine große Sensation, als die 23jährige Carol Jantsch die Ausschreibung der Tubastelle im Philadelphia Orchestra gewann. Die 1991 von der Trompeterin Susan Slaughter gegründete International Women’s Brass Conference trug und trägt viel zu einem Empowerment, steigendem Selbstbewusstsein und wachsenden Erfolg von Blechbläserinnen im 21. Jahrhundert bei.
1903 war die Musikergewerkschaft (American Federation of Musicians of the United States and Canada) erstmals gezwungen, auch Musikerinnen, die Orchesterinstrumente spielten, in ihre Organisation aufzunehmen. In der Gewerkschaft in New York gab es zu diesem Zeitpunkt lediglich 31 Frauen (0,69%) im Verhältnis zu 4.469 Männern. Trotz dieses Gesetzes wurden erst Mitte der 1920er Jahre die ersten Musikerinnen – in der Regel waren es Harfenistinnen – in Spitzenorchestern aufgenommen. So kam es weiterhin zur Gründung von Damenorchestern und -kapellen, damit die Musikerinnen, die in „normalen“ (Männer)Orchestern nicht spielen durften bzw. unterkamen, sich dort ihren Lebensunterhalt erspielen konnten.
Obwohl es in den 1920er Jahren noch immer so gut wie keine Stellen für Frauen in sinfonischen Orchestern gab, fanden viele Musikerinnen ein neues Beschäftigungsfeld. Sie wurden nicht nur – als werbewirksames Mittel – für Damenkapellen bzw. in Bierhallen und Vaudeville engagiert, sondern spielten auch in den neu entstehenden Kinotheaterorchestern mit. Im Jahr 1925 beschloss dann allerdings die Musikergewerkschaft, dass sämtliche Theater nur mehr Mitglieder der Gewerkschaft beschäftigen durften und diese dafür einen Tarif von $52 pro Woche zu erhalten hatten. Dieser Beschluss wirkte sich für die Frauen im Orchester katastrophal aus, weil es auch in den Orchestern – wie eben im gesamten Erwerbsleben auch – unterschiedliche Entlohnung von Musikerinnen und Musikern gab. Die Manager der Theater erklärten, dass sie, wenn sie so ein hohes Gehalt zahlen müssten, dann aber nur Männer engagieren würden, um ein „gutes Orchester“ zu haben. Ganz plötzlich also verloren viele Musikerinnen ihre Stellen, was 1925 zur Gründung des Woman’s Symphony Orchestra of Chicago (WSOC) führte, um Frauen die Möglichkeit zu geben, „to overcome the handicap of being barred from established orchestras because of their sex.“ (zit. n. Dempf 2006)
Obwohl das WSOC ein rein weibliches Orchester anstrebte, gab es zunächst Probleme bei der Besetzung von sogenannten unweiblichen Instrumenten wie Horn, Trompete, Posaune, Fagott und Kontrabass. So organisierte und finanzierte das WSOC ein Stipendienprogramm, um junge Mädchen dazu zu motivieren, auch solche Instrumente zu erlernen. Während des Zweiten Weltkrieges verlor das WSOC viele Musikerinnen an andere Orchester, darunter auch an das Chicago Symphony Orchestra, weil Musiker zum Militär eingezogen worden waren. Im Jahr 1947 (nach 21 Saisonen) löste sich das Woman’s Symphony Orchestra of Chicago auf.
Erst im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts kam es zu den ersten Blechbläserinnen in bestehenden – meist rein männlichen – sinfonischen Orchestern. Im Jahr 1937 – also noch vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg – nahm die Pittsburgh Symphony die Hornistin Ellen Stone auf. In den 1940er Jahren wurde Carolyn Clarke Pansevich für die Position des 3. Horns der Kansas City Philharmonic engagiert und die St. Louis Symphony nahm die Posaunistin Dorothy Ziegler auf. Außergewöhnlich verlief die 41 Jahre dauernde Karriere der Posaunistin Betty Glover. Im Jahr 1944 erhielt sie ihre erste Stelle in der Kansas City Philharmonic. Sie spielte 1948 bis 1949 die 1. Posaune in der Columbus Symphony (Ohio) für eine Saison. Von 1952 bis 1985 war sie als Bassposaunistin der Cincinnati Symphony engagiert. Nur wenige Frauen haben zu dieser Zeit tiefe Blechblasinstrumente gespielt.
Auch Helen Kotas weist eine außergewöhnliche Karriere auf. Als Vierzehnjährige spielte sie das 4. Horn mit dem WSOC; ein Jahr später saß sie bereits am ersten Pult. Im Jahr 1941 bekam sie die Stelle des 1. Horn der Chicago Symphony. Als Artur Rodzinski im Jahr 1947 Chefdirigent wurde, wollte er sie an die Position des 3. Horns zurück versetzen. Dies lehnte sie jedoch ab und trat aus dem Orchester aus. Sofort bekam sie die Stelle des 1. Horns an der Chicago Lyric Opera.
Und noch 46 Jahre später erlebte die Posaunistin Abbie Conant ein ganz ähnliches Schicksal. Trotz ihrer erfolgreichen ersten eineinhalb Jahre als Soloposaunistin der Münchner Philharmoniker wollte der Chefdirigent Sergiu Celibidachi keine Frau am ersten Pult dulden, Conant wurde degradiert und zahlreichen Schikanen ausgesetzt. Es folgte eine zwölfjährige Odyssee, bei der die Orchesterleitung offenbar davon ausging, dass Conant irgendwann das Handtuch werfen würde. Nachdem Abbie Conant schließlich im Jahr 1993 den Gleichbehandlungsprozess und ihre Wiedereinstellung als 1. Posaunistin endgültig gewonnen hatte, verließ sie das Orchester, um einen Ruf als Professorin für Posaune an der Hochschule für Musik in Trossingen anzunehmen.
In ihrer 1991 erschienen Studie stellte J. Michele Edwards fest, dass der Anteil von Frauen in US-Orchestern im umgekehrten Verhältnis zum Budget des Orchesters steht – umso größer das Budget, desto weniger Frauen sind in den Orchestern zu finden. Unter den Big Five (Budget: über $ 3.600.000 – Boston, Chicago, Cleveland, New York und Philadelphia) gab es im Jahr 1972 nur 7,2% Musikerinnen, im Jahr 1977 waren es 9,7% und 19,4% im Jahr 1988. Dagegen betrug der Anteil von Musikerinnen in Regional- bzw. kleineren Stadtorchestern (Budget: $ 280.000 bis $ 3.600.000) im Jahr 1988 bereits 46,3%! Erst Mitte der 1990er Jahre war die Lücke nicht etwas kleiner: 1996-97 betrug der Anteil von Frauen 28% in den Big Five (Boston, Chicago, Los Angeles, New York und San Francisco), 34,7% in Orchestern mit Budgets über $ 3.750.000 und 46,7% in Orchestern mit Budgets zwischen $ 1.100.000 und $ 3.750.000.
Im Jahr 1993 erschien im Journal of Social History eine Studie über die Besetzungsmodalitäten in amerikanischen Symphonieorchestern in den Jahren 1940-1980. (vgl. Macleoad 1993) Dabei zeigte sich, dass in diesen 40 Jahren der Anteil von Frauen bei den Streicher_innen (ausgenommen Kontrabass) leicht angestiegen war: Geige von 46% auf 53%, Bratsche von 33% auf 45%, Cello von 44% auf 53%. Erstaunlich ist die Entwicklung des Anteils von Frauen bei den Oboen in dieser Zeit: von 3% auf 4%, der Anteil von Frauen bei der Flöte stieg sogar von 44% auf 61%. Dagegen sieht es bei Blechbläserinnen ganz anders aus. Die einzige Steigerung betrifft Hornistinnen, die es von 18 % in den 1940er auf 27 % in den 1980er Jahren schafften. Im Vergleich dazu fiel der Anteil von Trompeterinnen von 8% in den „damenorchester-reichen“ 1940er auf 5% in den 1980er Jahren zurück, bei Posaunistinnen von 6% auf 3% und bei Tubistinnen von 7% auf 2%. Übrigens ging auch der Anteil von Kontrabassistinnen von 23% auf 14% zurück
Auch wenn der Anteil an Frauen in etablierten Symphonieorchestern inzwischen sowohl in den USA wie in Europa gestiegen ist, gibt es noch immer große Unterschiede zwischen der Anzahl an Musikern und Musikerinnen. Besonders Österreich – das sich selbst gerne als Musikland bezeichnet – hat hier Nachholbedarf. Während an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Wintersemester 2016 56% der Studierenden, die Orchesterinstrumente inskribiert hatten, weiblich waren, findet man unter den Mitgliedern der Wiener Philharmoniker – die traditionell ihre Mitglieder aus eben dieser Kaderschmiede rekrutieren – nur einen geringen Prozentsatz an Musikerinnen. Im Jahr 2016, also 19 Jahre nachdem Frauen erstmals zugelassen wurden, beträgt der Anteil an weiblichen Mitgliedern der Wiener Philharmoniker 8,6%, davon 0% Blechbläserinnen. Es bleibt also noch viel zu tun.
Frauen in Orchestern – ein Vergleich aus 2009
New York Philharmonic Orchestra | 48,91 % |
Orchester der Oper Zürich | 45,22 % |
Orchestre national d'ile de France | 43,62 % |
Brucknerorchester Linz | 39,83 % |
Gürzenich Orchester (Köln) | 37,50 % |
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg | 37,21 % |
Los Angeles Philharmonic Orchestra | 36,26 % |
Concertgebouworkest | 35,04 % |
Oslo Filharmonien | 34,95 % |
Staatsorchester Stuttgart | 34,65 % |
Chicago Symphony Orchestra | 34,34 % |
Birmingham Symphony Orchestra | 33,77 % |
Atlanta Symphony | 33,33 % |
Orchester der Komischen Oper Berlin | 33,33 % |
Radio Symphonieorchester Wien | 31,52 % |
Cleveland Symphony Orchestra | 31,31 % |
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich | 31,11 % |
The Philadelphia Orchestra 15 | 31,07 % |
Mozarteum Orchester Salzburg | 29,63 % |
Orchester der Volksoper Wien | 29,35 % |
Münchner Philharmoniker | 28,95 % |
London Symphony Orchestra | 28,42 % |
Grazer Philharmonisches Orchester | 28,41 % |
Bayerisches Staatsorchester | 27,56 % |
Orchester der Deutschen Oper Berlin | 27,50 % |
Gewandhausorchester Leipzig | 27,43 % |
Boston Symphony Orchestra | 26,14 % |
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks | 24,04 % |
Dresdner Philharmonie | 23,58 % |
Sächsische Staatskapelle Dresden | 21,23 % |
Berliner Philharmoniker | 13,82 % |
Wiener Symphoniker | 13,39 % |
Ceská filharmonie | 12,40 % |
Orchester der Staatsoper Wien | 5,48 % |
Wiener Philharmoniker | 2,42 % |
Angaben von: www.osborne-conant.org/orch2009.htm
In den 1970er Jahren wurden die großen Blechbläserorganisationen – International Trumpet Guild (ITG), International Horn Society (IHS), International Trombone Association (ITA) und Tubists Universal Brotherhood Association (TUBA) – gegründet. Obwohl diese Institutionen sehr viel für Blechbläser_innen in ihrer Gesamtheit getan haben, zum Beispiel in Richtung neues Repertoire, war in diesen Institutionen die Beteiligung von Musikerinnen sehr schwach, was u.a. auch aus der insgesamt geringen Anzahl an Blechbläserinnen resultierte. Die Blechbläser waren eine stark männlich dominierte Musikergruppe, so waren z.B. im Jahr 1982 nur ca. 2% der Mitglieder der ITG weiblich.
1990 begann Susan Slaughter, Solo-Trompeterin des St. Louis Symphony Orchesters, einen lang gehegten Traum in die Tat umzusetzen: die Gründung einer Organisation, in der Blechbläserinnen einander kennen lernen und ihre Erlebnisse austauschen könnten. Durch diesen Erfahrungsaustausch mit Kolleginnen sollten junge Blechbläserinnen mehr Unterstützung finden, ermutigt werden und mehr Möglichkeiten für ihre Karrieren entdecken. Im Jahr 1993 konnte Susan Slaughter ihren Traum realisieren. So fand an der Washington University in St. Louis, Missouri, die überwiegend von Slaughter privat finanzierte erste International Women’s Brass Conference (IWBC) statt. Es war nicht nur beeindruckend zu sehen, wie viele Frauen gekommen waren und wie viele es trotzdem geschafft hatten, erfolgreiche Karrieren aufzubauen, sondern auch wie hoch das musikalische und technische Niveau dieser Musikerinnen war. Bis heute folgten fünf Konferenzen - 1997 abermals in St. Louis, 2000 in Cincinnati, Ohio, zwei in Normal, Illinois in den Jahren 2003 und 2006, und die bisher letzte Konferenz fand 2010 in Toronto statt.
Die International Women’s Brass Conference (IWBC) plante folgende Projekte:
A) Eine
in regelmäßigen Zeitabständen abgehaltene International Women´s Brass
Conference (IWBC): Seminare und Konzerte für alle Blechblasinstrumente,
großteils abgehalten und vorgetragen von Frauen (Instrumentalistinnen,
Lektorinnen und Lehrerinnen). Aber auch Instrumentalisten und Lehrer sollten
als Vortragende eingeladen werden können.
B) Die
Ehrung von Blechblas-Pionierinnen, die besonders erfolgreiche Karrieren hatten.
C) Die
Aufführung der Musik von Komponistinnen aus allen Epochen.
D) Die
Gründung eines Forums, in dem andere Blechbläserinnen kennengelernt werden
können (Berufsmusikerinnen, Lehrerinnen, Studentinnen wie auch
Laienmusikerinnen).
E) Zweimal
im Jahr die Herausgabe eines Newsletters (pädagogische und historische
Informationen sowie Berichte über
Karrieren).
Weiters entstand Monarch Brass als Elite-Blechbläserinnenensemble der IWBC; dessen Mitwirkende aus den allerbesten und bekanntesten Blechbläserinnen ausgewählt wurden. Im Sommer 1996 hatte die Monarch Brass (Band) ihre Einführungstournee mit Konzerten bei Festspielen in Oklahoma, Michigan und Kansas.
Mission Statement
„The IWBC exists to provide opportunities that will educate, develop, support and inspire all women brass musicians who desire to pursue professional careers in music.“ [Die IWBC ist entstanden, um allen Blechbläserinnen, die eine berufliche musikalische Karriere anstreben, Möglichkeiten zur Weiterbildung und ‑entwicklung, Unterstützung und Inspiration zu geben.]
Oft wird gefragt: „Warum brauchen wir eigentlich eine Organisation für Blechbläserinnen?“ Die besten Antworten kommen von den Blechbläserinnen selbst:
Pia
Bucher, Posaunistin, 1997
„Für mich war die IWBC in St. Louis die schönste internationale Konferenz, die ich bis heute erlebt hatte – ohne Konkurrenzdenken und überbetontem Ego. Es war ein wunderbares Erlebnis auf höchstem professionellen Niveau, voller Herzlichkeit und Wärme.Das Organisations-Komitee hat großartige Arbeit geleistet.“
Julia McIntyre, Bassposaunistin, 2003
„So viele Dinge in meiner Karriere wurden durch die International Women’s Brass Conference beeinflusst, dass es sehr schwer vorzustellen ist, wo ich ohne diese Konferenzen überhaupt wäre. Wenn es das Ziel der IWBC ist, eine freundliche, unterstützende und herausfordernde Umgebung zu erzeugen, in der junge Blechbläserinnen ihre Kunst entwickeln können, dann war es bei mir auf jeden Fall erfolgreich. […] Diese Organisation hat mir einen Zugang zu einem breiten Spektrum an gleichgesinnten Musikerinnen möglich gemacht, die hilfsbereit sind, falls ich sie brauche, und die IWBC hat ein Klima hergestellt, in dem neue und aufregende Ideen verwirklicht werden können. Das Allerwichtigste für mich ist das gewonnene Selbstvertrauen, auf dem ich nun aufbauen kann, um diese Ideen zu erweitern. […] Ich bekam das Gefühl von Zugehörigkeit, und wusste, dass ich akzeptiert würde, egal wie ich spielte. Es gab viel Lächeln und Umarmungen, und ein überwältigend entspanntes Selbstbewußtsein. […] Das Beispiel von außerordentlich talentierten Frauen, die Blechblasinstrumente spielten, war endlich gegeben! Wenn das für sie möglich war, dann konnte ich das sicherlich auch tun! […] Ich sehe meine drei Konferenzen als Trilogie. Im Jahr 1997 wurden meine Augen für eine neue Welt geöffnet; im Jahr 2000 wurde ich instrumental herausgefordert; und im Jahr 2003 war die Belohnung das Lächeln und die Begeisterung der nächsten Generation, überhaupt der Grund für diese Organisation. […] Für alles was ihr mir gegeben habt, meinen Dank.“
Den ganzen Sinn der IWBC hat die Trompeterin Cindy Scaruffi-Klispie in ihrem Brief wunderbar eingefangen. Sie verwendete einen Stil, der zwischen Kindheitserlebnissen, früheren Gedanken (in Kursivschrift) und ihren Konferenzeindrücken als erwachsene Blechbläserin (in Normalschrift) wechselt. Ihre Worte stehen für alle Blechbläserinnen und entsprechen den Erfahrungen von vielen.
„Nach meiner ersten Unterrichtsstunde war ich mit meinem […] Kornett-Koffer unterwegs nach Hause. Ein Mädchen aus unserer Nachbarschaft kam zu mir und fragte, was ich in dem Koffer hätte. Ich sagte, es ist ein Kornett, ähnlich wie eine Trompete. Ohne zu zögern hat sie deklariert, ‚Mädchen spielen nicht Trompete, nur Jungs’. […] Glücklicherweise haben die negativen Bemerkungen in meiner Umgebung mich nicht von der Bestrebung abgehalten dieses Instrument zu lernen.
Jetzt haben Blechbläserinnen eine eigene Standesvertretung – wer hätte sich das damals vorstellen können. […] In Monarch spielten Frauen Tuba und Euphonium. Wie war es ihnen möglich gewesen als sie jung waren, diese Instrumente zu spielen? Es hat bestimmt viel Beharrlichkeit erfordert. Erstaunlich war, dass eine der Tubistinnen die Stelle im Philadephia Orchestra gewinnen konnte.
Eine Zeitlang habe ich eine Getzen Trompete gespielt und las auch die Getzen Gazette. Ich fand es ‚cool’, dass es in dieser Zeitung ab und zu etwas über Carole Dawn Reinhart gab. Doc Severinson habe ich gekannt, aber eine Trompeterin! WOW!
[…] Gibt es einen Bedarf für die IWBC? Ja, den gibt es. Warum? Weil ich in den letzten Jahren noch immer Fragen wie die folgenden regelmäßig gehört hatte: ‚Oh, eine Trompeterin – gibt es überhaupt einen Markt dafür?’ oder ein Kommentar eines Konzertbesuchers, als ich eingeblasen habe: ‚Hey there’s a broad over there playing a trumpet’. Dies ist keine Reaktion von Vor-Gestern, sondern eine aus dem Jahr 2000. […]
Brauchen wir IWBC? Wenn es eine Gruppe wie Monarch zustande bringt, dass junge Musikerinnen zu höheren Zielen inspiriert werden, und wenn es Blechbläserinnen stärkt, die bereits entmutigt waren, dann ja. Wenn Blechbläserinnen ermutigt werden an Wettbewerben teilzunehmen und in Wettbewerbjurys mitzuwirken, dann ja. Wenn Musikerinnen gebeten werden, Meisterklassen zu leiten und als Solistinnen und in Ensembles zu musizieren, dann ja. Macht so weiter! You go, Girls!“
Viele (künftige) Blechbläserinnen erhielten ihren ersten Unterricht zu Hause, wenn wer in der Familie ein Blechblasinstrument gespielt hatte. So war es auch bei Carole Dawn Reinhart. Ihre Mutter spielte Posaune und Klavier, zwei Onkel waren Berufstrompeter in Big Bands, ihr Vater sang im Kirchenchor, und ihr sechs Jahre älterer Bruder Rolfe begann schon im Alter von drei Jahren Slide Kornett zu lernen. Bereits als zweieinhalbjähriges Kleinkind bekam sie Unterricht von ihrer Mutter. Mit vier Jahren trat sie zum ersten Mal in der Kirche bei einer Weihnachtsfeier auf. Schon in der ersten Klasse spielte sie in der Schulkapelle (versäumte Milch und Kekse wegen der Proben) und in ihren ersten Schulferien – im Sommer – spielte sie in der Union County Band and Orchestra School in Roselle, New Jersey.
Bereits 1949 erkannte man ihre Begabung und ließ sie das Orchester dirigieren. Als Siebenjährige machte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Rolfe ihre erste Bühnenerfahrung, wo Rolfe ein sehr schweres Trompeten-Solo und dann gemeinsam mit Carole eine Zugabe spielte. Mit neun Jahren war Carole Dawn zum ersten Mal in einem Sommer-Musiklager der Heilsarmee, der Salvation Army – einer protestantischen Kirche mit einem starken Engagement im sozialen Bereich. In den späteren Jahren unterrichtete sie dort auch. Im Gottesdienst übernimmt eine Blechblaskapelle die Funktion der Orgel. In einer Brass Band müssen cornets (Kornette) die wichtigen leitenden Geigen-(Orchester) bzw. Klarinetten-(Blaskapellen)Stimmen übernehmen. Dafür ist eine höhere Geschwindigkeit und mehr Technik und Flexibilität als bei Blechblasinstrumenten normalerweise üblich notwendig.
Mit elf Jahren bekam Carole Dawn ein Stipendium für die Juilliard School of Music in New York, wo sie bei Edward Treutel sechs Jahre studierte. Als ihr Bruder Rolfe an der University of Miami ein Stipendium erhielt, fing Carole Dawn an, seine solistischen Aufgaben in New Jersey zu übernehmen. Sie trat auch in seine Fußstapfen in der All-State Band und im All-State Orchestra, wo sich die besten jungen Instrumentalist_innen von New Jersey zusammenfanden. Erstmals im direkten Wettbewerb mit gleichaltrigen Musiker_innen gewann sie das Probespiel als beste Musikerin im Bundesstaat.
Dieser Erfolg, die wunderschönen musikalischen All-State-Erlebnisse und die dabei gemachten positiven Erfahrungen waren für die Entscheidung ausschlaggebend, in der Musik zu bleiben und Karriere machen zu wollen. Im Alter von 16 Jahren wurde Carole Dawn zu einer Bandmaster in der Heilsarmee ernannt. Damit war sie nicht nur die jüngste Bandmaster, sondern auch die erste Frau weltweit, der diese Aufgabe – und Ehre – übertragen wurde. In den folgenden Jahren konnte sie auf Jugendkongressen und Sommerlagern ihre Berufserfahrungen stetig erweitern.
Gerade bei Blechbläser_innen – bei Knaben wie auch bei Mädchen – ist neben dem klassischen Studium die Bandbreite an Berufserfahrungen unglaublich weit gefächert: So spielte Carole Dawn als Kind auf Freimaurer-, Kiwanis-, Lions- und Rotary-Veranstaltungen und machte für das Rote Kreuz Truppenbetreuung in Militärlagern, Kranken- und Waisenhäusern wie auch Gefängnissen. Sie trat auch in Anstalten für psychisch Erkrankte, bei Variety Shows, in Kirchen und Gottesdiensten wie auch in Programmen aller Art auf. Diese frühen Bühnenerfahrungen kamen ihr in ihrer späteren Karriere sehr zu Gute. Ihre freiwillige Arbeit als Bandmaster bei der Heilsarmee führte zu neuen musikalischen Aufgaben und mehr Verantwortung. So war sie für ihre zukünftige Solokarriere sehr gut vorbereitet. Nach der Matura in Roselle, New Jersey, bekam sie von der University of Miami in Florida ein Symphony Orchester Stipendium, wo sie ihren Bachelor of Arts (BA) machte. Ein Fulbright Stipendium brachte schließlich Carole Dawn im Jahr 1963 nach Wien, wo sie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst bei Helmuth Wobisch studierte und als erste Blechbläserin an der Akademie ihr Reifezeugnis – noch dazu mit Auszeichnung! – erwarb. Mit Bedauern sagte Prof. Wobisch damals zu Carole Dawn: „Schade, dass du ein Mädchen bist, sonst hätte ich dich zum Philharmoniker gemacht.“
Nach weiteren zwei Jahren an der Juilliard School of Music in New York, wo sie ihren Bachelor of Music und Master of Science bekam, nahm sie eine Stelle im Orchester der Radio City Music Hall in New York an. Nach fünf Jahren verließ Carole Dawn im Jahr 1971 New York und übersiedelte nach Berlin, um eine Solokarriere in Europa aufzubauen. Seit März 1983 ist Carole Dawn Reinhart Professorin für Trompete an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und sie ist damit die erste Blechbläserin, die an die mdw berufen wurde.
Michael B. Budds 1991, American Women in Blues and Jazz, in: Karin Pendle (Hg.), Women and Music, Bloomington & Indianapolis, 460-478
Linda Dempf, the Woman's Symphony Orchestra of Chicago, in: Notes: Quarterly Journal of the Music Library Associations, 62/4, Juni 2006, 857-903
J. Michele Edwards (mit Beiträgen von Leslie Lassezzer) 1991, North America since 1920, in: Karin Pendle (Hg.), Women & Music, Bloomington & Indianapolis, 314-384
Julia McIntyre 2003, A Letter to the IWBC, IWBC Newsletter, Winter 2003
Beth Abelson Macleoad 1993, Whence comes the lady tympanist? Gender and instrumental musicians in America, 1853-1990, in: Journal of Social History 12/22 www.encyclopedia.com/doc/1G1–14903043.html
Karin Pendle (Hg.) 1991, Women and Music, Bloomington & Indianapolis
Carole Dawn Reinhart 2009, Blechbläserinnen. Geschichtliche Dokumentation und der Einfluss der International Women´s Brass Conference auf deren Berufsbild. Dissertation an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (betreut von Elena Ostleitner und Walburga Litschauer), Wien
Edward Tarr 1977, Die Trompete, Bern
Babette Wackernagel, Was vor 20 Jahren noch undenkbar gewesen wäre, ist heute Realität geworden, in: Brass Bulletin 100 IV, 68-71
Bildnachweis
Abb. 1: Fulbright trunk packed for Vienna 1963, Foto: Ed Stiso, Newark News, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 2: Frau mit Trompete aus „Die musizierenden Frauen“, Holzschnitte von Tobias Stimmer (1539-1584) Quelle: Winternitz, E./Stunzi, Lilly (Hg.), Die schönsten Musikinstrumente, o.J., Vorsatz unpag.
Abb. 3: Carol Jantsch „Tuba Foot“, Quelle: Privatbesitz Carol Dawn Reinhart
Abb. 4: Logo © International Women’s Brass Conference, http://myiwbc.org/
Abb. 5-7: International Women's Brass Conference in Toronto (2010), Fotos: Tina Cavitt, tina@cavittproductions.com
Abb. 8: Carole Dawn Reinhart (im Alter von 3 J.) mit Slide Cornet, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 9: Carole Dawn Reinhart (1 Reihe links) im Schulorchester 1949, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 10: Carole Dawn Reinhart dirigiert das Schulorchester 1949 (im Alter von 8 J.) Quelle: Privatbestiz Carole Dawn Reinhart
Abb. 11: Carole Dawn Reinhart mit ihrem Bruder Rolfe, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 12: BM Carole Dawn Reinhart (im Alter von 16 J.) mit BM Bernard Verkaik und Mitgliedern der Netherlands National Band beim Salvation Army's Bandmaster Councils in New York (1958) Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 13: Carole Dawn Reinhart (im Alter von 13 J.) als Bandmaster der Plainfield Corps Band in New Jersey, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 14: Fulbright trunk packed for Vienna 1963, Foto: Ed Stiso, Newark News, Quelle: Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Abb. 15: Reifezeugnis 1964, Privatbesitz Carole Dawn Reinhart
Carole Dawn Reinhart, Artikel „blowing her own trumpet“, in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.
URL: https://www.mdw.ac.at/spielmachtraum/artikel/blowing-her-own-trumpet
| zuletzt bearbeitet: 10.01.19