Spätestens
seit der Verfilmung der Geschichte des Zauberschülers Harry Potter
haben sich Bilder im öffentlichen Bewusstsein verfestigt, die
zeigen, wie etwas aus dem Nichts entstehen kann, wenn nur die
richtige Zauberformel ausgesprochen wird: So bewirkt etwa die
Beschwörung „serpensortia“, dass sich aus der Spitze des
Zauberstabs eine Schlange erhebt.
Doch auch in der Lebenswelt gewöhnlicher Menschen gibt es sprachliche
Formulierungen, denen eine realitätsverändernde Magie innewohnt –
zum Beispiel: „Ich erkläre Euch zu Mann und Frau“, „Ich
verurteile Sie zu fünf Jahren Haft“ oder „Hier dürfen Sie nicht
hineingehen“. Viel wirkmächtiger sind solche Sätze jedoch, wenn
sie nicht nur vor wenigen ausgesprochen, sondern für alle
schriftlich festgehalten werden.
Wer Ereignisse für wichtig hält und durch Erwähnung aus der Masse der Alltäglichkeiten hervorhebt, verleiht diesen dadurch Bedeutsamkeit; wer zwischen diversen Sachverhalten kausale Zusammenhänge herstellt und diese durch einen Text erläutert, bildet die Realität nicht ab, sondern stellt lediglich dar, wie sie_er sich die Wirklichkeit erklärt. Dies gilt ganz besonders für Texte, die Daten nicht nur referieren, sondern auch kommentieren: Die Frauenquoten-Statistik 2015 des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen konstatiert, dass manche Institute an der mdw die gesetzlich anzustrebende Frauenquote von 40% sogar signifikant übererfüllen. Doch was bedeutet das, wenn die Frauen dieses Instituts größtenteils dem akademischen Mittelbau angehören? Wie ist es zu verstehen, dass in einer Disziplin deutlich mehr Frauen akademische Qualifikationen erwerben, später im Beruf aber mehr Männer Schlüsselpositionen innehaben? Solche Sachverhalte zogen und ziehen immer wieder Erklärungsmodelle an, die Metaphern des Raumes verwenden; die der gläsernen Decke ist nur eine davon. Durch die stete Wiederholung solcher Geschichten können soziale und kulturelle Räume durchaus festgeschrieben werden. Es stellt sich die Frage, ob durch veränderte Erzählstrategien nicht auch erweiterte Spielräume herbeigeschrieben werden können.
räume er|zeugenUnter einem Genius verstand man in der römischen Antike den Schutzgeist eines Mannes, der für dessen Persönlichkeit und Zeugungskraft stand; das lateinische Verb gignere (gigno, genui, genitum) bedeutet zeugen. Gleichwohl wurde im 19. Jahrhundert das Hervorbringen genialer Kunstwerke zunehmend mit Metaphern der Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft umschrieben. Dabei wurden dem schaffenden Geist männlich-konnotierte Attribute des Rationalen ebenso zugeschrieben wie Aspekte einer als weiblich geltenden Empfindsamkeit. Dabei führte die Gleichsetzung weiblich-biologischer Kreativität mit künstlerischer Gebärfreudigkeit männlicher Genies keinesfalls dazu, dass weibliche Autorschaft als gleichrangig mit der männlichen beurteilt wurde. Das Weibliche wurde vielmehr zum Schönen vergegenständlicht; Frauen wurden dadurch zum wahrzunehmenden Objekt und wahrnehmenden Subjekt zugleich: „Der Mann hat Geschmack für sich, die Frau macht sich selbst zum Gegenstande des Geschmacks für Jedermann.“ (Immanuel Kant). Edmund Burke gab sich geradezu erotischen Phantasien hin, wenn er die Schönheit von Gegenständen in ihrer Ähnlichkeit mit dem weiblichen Körper sieht. Umgekehrt ergab sich daraus die Frage, ob das „schöne Geschlecht“ – dem das Beeindrucktsein durch das Männlich-Erhabene durchaus zugetraut wurde – dieses auch selbst in den Künsten hervorbringen könne. |
träume zur welt bringengignere heißt nicht nur zeugen, sondern auch zur Welt bringen: Eine Möglichkeit den Traum der Geschlechtersymmetrie in Räume der Musikwelt einzuschreiben, besteht darin, zur Erklärung derselben Sachverhalte andere Sinnbilder zu verwenden. Dies zeigt etwa der Vergleich der Assoziationen, die durch die Vorstellung einer gläsernen Decke einerseits und der eines bewachten Tores andererseits hervorgerufen werden: Wirkt die Vorstellung einer gläsernen Decke statisch und kaum veränderlich, lenkt das Erklärungsmodell des Gatekeepings die Aufmerksamkeit auf die Dynamik von Handlungsspielräumen. Auch sollten immer wieder klischeehafte Vorstellungen dahingehend überprüft werden, ob sie noch von einer veränderten Datenlage getragen werden. |
Werden soziale oder kulturelle Räume durch biologisches (Un-)Vermögen essenzialistisch begründet, wird dadurch das eine oder andere Geschlecht per se ausgeschlossen. So entstehen Handlungsräume mit selektiv eingeschränkten Spielräumen, die durch den Gebrauch entsprechender Geschlechtermetaphern festgeschrieben werden. | Soziale Räume sind tendenziell statisch, wenn ihre Grenzen aus zugeschriebenen Eigenschaft|swort|en der sie nützenden Individuen – wie etwa männlich/weiblich oder stark/schwach – abgeleitet werden. Die Flexibilität eines Spielraums kann hingegen herbeigeschrieben werden, wenn die Beschreibungssprache das Dynamische von (Ver-)Handlungen der Akteure und Akteurinnen vermittelt. |
räume mit gläsernen deckenVermischungen von biologischer Funktion und geistiger Kapazität, von sinnlicher Wahrnehmung und sexualisiertem Blick wirkten noch bis in Diskussionen des 20. Jahrhunderts hinein, wenn in Frage gestellt wurde, ob Komponistinnen überhaupt komponieren oder Dirigentinnen große Gesten ausführen könnten, ohne dass ein (wie auch anders?) männlich dominiertes Orchester durch eine (durchaus wohlverhüllt) hervortretende weibliche Brust von der Musik abgelenkt werden könnte. Erst durch die Unterscheidung des biologischen Geschlechts (sex) vom sozialen (gender) konnten die künstlerischen Leistungen von Frauen in ihrer Eigenart gewürdigt werden. In dem Raum also, in dem Männer so lange Musik uneingeschränkt er|zeugt und be|herr|scht hatten, muss nun die Teilhabe von Frauen neu verhandelt werden. Der aktuelle Stand an österreichischen Universitäten wird in den Erläuterungen zu § 41 UG 2002 (Kucsko-Stadlmayer Stand: 1.8.2010) wiedergegeben:„Bezogen auf die Studienabschlüsse ist ein Ungleichgewicht von Frauen und Männern festzustellen. Trotz hoher Absolventinnenzahlen, die in vielen Studienrichtungen die Zahlen der Absolventen sogar übersteigen, ist der Anteil der Frauen am wissenschaftlichen und künstlerischen Personal an den Universitäten verhältnismäßig gering. Insbesondere in Führungs- und Leitungspositionen sind Frauen, wie das aktuelle Zahlenmaterial des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur belegt, selten oder gar die rare Ausnahme.“ Ohne die Metapher zu verwenden, wird hier das Phänomen beschrieben, das manche Kommentator_innen mit dem Bild der gläsernen Decke umschreiben. |
spielraum am torUnter dem englischen Begriff gatekeeper versteht man in der Soziologie Personen, denen es aufgrund ihrer Kompetenzen möglich ist, anderen den Übergang von einem sozialen Raum in einen anderen zu gewähren – oder auch nicht. Während das Bild von der gläsernen Decke die Vorstellung evoziert, dass sie nur zu überwinden sei, indem sie zerbrochen wird, suggeriert die Metapher des Tores und seines Hüters oder seiner Hüterin die Möglichkeit eines Durchlasses, auch ohne das ganze Gebäude einzureißen. Es stellt sich nur die Frage, unter welchen Voraussetzungen Frauen durch das bewachte Tor in die vormals allein von Männern beherrschten Musikräume treten können: Müssen Frauen die von Männern er|zeugten alten Regeln übernehmen, um als Mann durchgehen und – adaptiert zur Aufrechterhaltung des Systems – wie ein Mann funktionieren zu können? Oder nutzen sie den Spielraum am Tor und verhandeln die Paradigmen des zu erfüllenden Raumes neu: Was sind Kernkompetenzen? Worin besteht Exzellenz? |
Um über die gläserne Decke hinaus|- und in ehemals von Männern be|herr|schte Räume hinein|ragen zu können, muss die Be|herr|schung des künstlerischen Handwerks als ex|cellens anerkannt werden. Der § 98 (UG 2002), der die Berufungsverfahren für Universitätsprofessorinnen und -professoren regelt, sieht daher ein Begutachtungsverfahren auf breiter Basis vor, in dem „Gutachterinnen und Gutachter […] im selben Verfahren von der Mitgliedschaft in der Berufungskommission ausgeschlossen“ sind. Diese wiederum kann allein „auf Grund der Gutachten und Stellungnahmen einen begründeten Besetzungsvorschlag“ erstellen. Dadurch wird eine Basis geschaffen, aufgrund derer sich Berufungskommissionen in jedem Verfahren erneut Rechenschaft ablegen müssen, worin die Kriterien von Exzellenz im institutionellen Kontext der ausgeschriebenen Professur bestehen. So entsteht an dieser Stelle zumindest die Chance, dass hergebrachte Auffassungen erörtert werden.
In einer der am längsten von Männern dominierten Disziplinen – in Komposition – hatte in Wien Johanna Müller-Hermann als erste Frau eine Professur für Kompositionstheorie am Neuen Wiener Konservatorium inne. Danach dauerte es fast 90 Jahre bis – vier Jahre nach Inkrafttreten des UG 2002 – mit Chaya Czernowin die zweite Wiener Kompositionsprofessorin an die mdw berufen wurde. Es folgten Gesine Schröder (Musiktheorie) und Iris ter Schiphorst (Komposition). Auf die erste Professorin im Fach Dirigieren dürfen wir noch hoffen.
v.l.n.r.: Johanna Müller-Hermann (1878-1941), Chaya Czernowin (*1957), Gesine Schröder (*1957), Iris ter Schiphorst (*1956), Maestra N.N. (*19??)
Annette Kreutziger-Herr, Melanie Unseld (Hg.) 2010, Lexikon Musik und Gender, Kassel
Gabriele Kucsko-Stadlmayer 2003, in: Martha Seböck (Hg.), Universitätsgesetz. Gesetzestext, Materialien, Erläuterungen und Anmerkungen, 2. erw. Auflage, Wien
Bundesgesetz über die Organisation der Universitäten und ihre Studien (Universitätsgesetz 2002 – UG), https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfr...
Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen der
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Hg.) 2016, Frauenquoten 2015, Wien,
https://www.mdw.ac.at/akg/statistik
Bildnachweis
Abb. 1: Bildmontage: Annegret Huber, Quelle (Drache) CC0 Public Domain: https://pixabay.com/de/tier-drache-fantasie-fliegen-1296453/
Abb. 2: Quelle, CC0 Public Domain: https://pixabay.com/de/schreibmaschine-buch-notebook-801921/
Abb. 3: rote Ampel-Berlin, Foto: Nina Nöske
Abb. 4: grüne Ampel-Berlin, Foto: Nina Nöske
Abb. 5: gebrochenes Glas, Quelle: http://www.publicdomainpictures.net/view-image.php?image=111875&picture=pekniete-szklo
Abb. 6: Quelle, CC0 Public Domain: https://pixabay.com/de/silhouette-frau-t%C3%BCre-licht-68957/
Abb. 7: Français - Caricature de George Sand en pantalon, 1848, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Caricature_George_Sand_1848.jpg?uselang=de, von Axagore (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Abb. 8: Hersfeld Bahnhof Grundriss, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AHersfeld_Bahnhof_Grundriss.jpg, by Paul Rowald (arranged by 2micha) [Public domain], via Wikimedia Commons
Abb. 9: Johanna Müller-Hermann (1878-1941) 1918 bis 1932 Professorin für Kompositionstheorie am Neuen Wiener Konservatorium, Foto: Fayer-Wien. Bildnis Album zur Beethoven-Zentenar Feier. Wien, März 1927, Quelle: ÖNB/Wien Bildarchiv Pb 580.555-F 267, http://data.onb.ac.at/rec/baa10450540
Abb. 10: Chaya Czernowin (*1957) 2006-2009 Universitätsprofessorin für Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Foto: Astrid Ackermann, Quelle: https://en.schott-music.com/shop/autoren/chaya-cze...
Abb. 11: Gesine Schröder (*1957) Seit 2012 Universitätsprofessorin für Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Foto: Robin Leander Schröder, Quelle: http://www.mdw.ac.at/ike/homepage/G.Schroeder-Wiss...
Abb. 12: Iris ter Schiphorst (*1956) seit 2015 Universitätsprofessorin für Medienkomposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Foto: Christian Lehmann, Quelle: http://www.iris-ter-schiphorst.de
Abb. 13: Maestra N.N. (*19??) Ab 20?? Universitätsprofessorin für Dirigieren Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Bildmontage: Annegret Huber
Annegret Huber, Artikel „t|räume herbeischreiben“, in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.
URL: https://www.mdw.ac.at/spielmachtraum/artikel/traeume-herbeischreiben
| zuletzt bearbeitet: 30.11.21