Am Sonntag, dem 13. März 1938, wurde eine SS-Nachrichtenabteilung an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst „herzlichst empfangen“ (Jahresbericht 1937/38, 8-9) und einquartiert, am Montag, dem 14. März, fand eine Kundgebung zu Ehren der Ankunft Adolf Hitlers statt, die, so der Jahresbericht 1938, „auch von Lehrern und Schülern“ besucht wurde. „Die Erscheinenden hatten das große Glück, dem Führer, der mehrmals auf dem Balkon des Hotels Imperial erschien, zujubeln zu dürfen.“ (ebd.)
Mit dem Titel „Tragisches Zwischenspiel“ überschrieb Ernst Tittel im Jahr 1967 seine Ausführungen über die Zeit des NS-Regimes an der Staatsakademie, die in dieser Periode zur Reichshochschule avancierte. Lynne Heller hat in „Die Reichshochschule für Musik in Wien“ die hochschulpolitischen Entscheidungsprozesse dieser Zeit detailliert dokumentiert und ausführlich die Konsequenzen der politischen Veränderungen auf die Institution und deren Proponent_innen dargelegt. (Heller 1992) Im Zuge einer Dissertation hat Barbara Preis einen ersten speziellen Fokus auf die Situation von Frauen an der Vorgängerinstitution der mdw in der Zeit des Nationalsozialismus gelegt. (Preis 2009, vgl. über den spezifischen Fokus hinaus auch Giannini/Haas/Strouhal 2014) Aus der Perspektive der Lehrenden und Studierenden ist dieser Zeitraum ein von Verfolgung wie von Kontinuitäten geprägter.
Hier zunächst ein kurzer Überblick über die Studierendenzahlen in diesem politisch so brisanten Zeitraum:
w | m | gesamt | % w | % m | |
---|---|---|---|---|---|
WS 1937/38 SS 1938 WS 1938/39 SS 1939 WS 1939/40 SS 1940 WS 1940/41 SS 1941 WS 1941/42 SS 1942 WS 1942/43 SS 1943 WS 1943/44 SS 1944 WS 1944/45 SS 1955 |
531 519 326 337 291 326 315 322 375 368 414 389 496 558 277 |
479 478 379 393 300 344 309 300 327 237 258 173 205 214 157 |
1010 997 705 730 591 670 624 622 702 605 672 562 701 772 196 434 |
52,6% 52,1% 46,2% 46,2% 49,2% 48,7% 50,5% 51,8% 53,4% 60,8% 61,6% 69,2% 70,8% 72,3% 63,8% |
47,4% 47,9% 53,8% 53,8% 50,8% 51,3% 49,5% 48,2% 46,6% 39,2% 38,4% 30,8% 29,2% 27,7% 36,2% |
Studierendenzahlen zwischen 1938 und 1945 (Quelle: Erwin Strouhal, mdw-Archiv)
Die Verfolgungen des NS-Regimes von durch die Nürnberger Gesetzte als jüdisch definierten Menschen und/ oder politisch Andersdenkenden betraf auch viele Studierende der Vorgängerinstitution der mdw. (Vgl. für die Situation der Universität Wien Posch et al. 2008) Von den Zahlen her wurde dies im WS 1938/39 bereits deutlich sichtbar, da es nun im Gegensatz zu 531 inskribierten Studentinnen im Jahr zuvor, nur mehr 326 waren, nicht einmal zwei Drittel davon. Bei den Studenten war der Rückgang von 479 auf 379 Personen in absoluten Zahlen wie prozentuell gesehen weniger. Er bewegte sich im Bereich von knapp einem Viertel in Bezug auf das Vorjahr. Bemerkenswert ist, dass in diesem Jahr sowie in den beiden folgenden die Zahl der männlichen Studierenden die der weiblichen übertraf, um ab dem Wintersemester 1940/41 – der Kriegssituation zufolge – zu kippen und im Sommersemester 1944 mit rund 28% einen Tiefstand zu erreichen.
Festzustellen bleibt, dass damals – und davon konnte bei höheren Bildungsanstalten wie Kunsthochschulen und Universitäten nicht ausgegangen werden – mehr weibliche als männliche Studierende vom NS-Regime verfolgt worden waren, nach heutigem Stand des Wissens 52 Studentinnen. Auf Seiten der männlichen Studierenden dürften 29 Personen davon betroffen gewesen sein. In der Auflistung finden sich die im WS 1938/39 nicht mehr inskribierten Studierenden mit mosaischem Religionsbekenntnis (mdw-Archiv, Strouhal). Ihre Namen sollen an dieser Stelle genannt und der Erinnerung eingeschrieben werden:
Maria Gstättner Konzept, Komposition und Fagott
Thomas Grill Komposition und Elektronik
Idee: Doris Ingrisch
Video: Florian Tanzer (lumalaunisch.com)
André Moreno Asriel, 22.2.1922 Isydor Bernklau, 20.9.1909 Klara Birn, 8.12.1915 Ernst Ludwig Blum, 17.8.1913 Babette Borger, 14.10.1918 Georg Breuer, 24.10.1919 Viktor Bunzl, 19.4.1917 Georg Chajet 14.7.1924 Edith Deutscher, 6.1.1920 Abraham Ehrlich, 4.1.1922 Maria Eimer, 19.1.1923 Annemarie Feldbauer, 18.4.1923 Franziska Feldmann, 19.9.1921 Erna Fell, 17.12.1920 Martha Feuerstein, 4.2.1921 Elisabeth Fischmann, 23.6.1919 Edith Freund, 10.12.1916 Ida Friedmann, 5.12.1923 Anneliese Fritz, 23.1.1912 Martha Gorwitz, 3.6.1924 Antonie Grünschlag, 25.8.1916 Rosa Grünschlag, 16.5.1922 Renée Hait, 14.7.1922 Walter Hautzig, 28.9.1928 Raissa Hesselson, 15.4.1912 Selma Hirsch, 18.5.1885 Franz Hirschfeld, 20.8.1915 |
Emma Hohenberg, 10.7.1917 Felicitas Ichheiser, 13.2.1915 Lisbeth Jettel, 9.7.1909 Edith Katharina Kann, 9.1.1922 Gustav Kars, 13.7.1913 Jeanette Karvaly-Goldschmied, 4.7.1911 Kurt Kohn, 11.10.1918 Gertrude Konodi, 21.10,1923 Maria Kunke, 16.03.1921 Josef Lämmel, 2.7.1907 Margarete Lau, 31.1.1920 Hans Georg Lawner, 4.3.1918 Erich Lazarus, 11.2.1915 Felice Leder, 29.12.1927 Ruth Leder, 27.1.1923 Wilhelm Leiter, 8.7.1907 Kurt Löbl 19.12.1921 Herbert Mandl 11.5.1919 Melitta Melzer, 4.11.1918 Margaritha Mück, 26.2.1922 Minna Müller, 17.10.1920 Emmy Oppenheim, 28.4.1915 Otto Pollak, 10.2.1916 Alfred Popper, 17.11.1918 Karl Porges, 29.7.1924 Karl Rado, 8.2.1913 Evi Rakower, 6.4.1921 |
Susanne Rosenbaum,
14.9.1923
Therese Rosenbaum, 17.11.1921 Melitta Rosenberg, 27.8.1924 Lea Salamon, 5.9.1918 Wilhelm Salander, 2.8.1917 Ludwig Schäfer, 23.7.1923 Claire Schwarz, 15.2.1908 Eva Schwarz, 14.12.1916 Lisa Schwarz, 6.6.1921 Elisabeth Springer, 28.9.1907 Robert Starer, 8.1.1924 Alfred Stein, 24.9.1911 Renate Stein, 2.10.1921 Susi Therese Steinhard, 8.9.1922 Edith Gertrud Stein, 14.1.1923 Georg Temmer, 10.4.1922 Berta Tennenbaum, 2.4.1915 Laura Ticho, 11.3.1917 Blanka Tune, 23,1,1920 Susanne Weihs, 13.1.1924 Oskar Weizner, 24.8.1922 Marianne Winter, 23.2.1923 Renate Wolf, 7.11.1926 Regina Wollmann, 19.8.1889 Hans Georg Wurmann, 21.1.1922 Eva Zorn, 18.9.1921 Heinrich Zuckermann, 21.8.1909 |
Sie studierten vorwiegend Klavier, Gesang, Opernschule, Schauspiel und Rhetorik. Aber auch weitere Instrumentalstudien wie Violine, Blasinstrumente und Pauke waren vertreten.
Nach bisherigem Stand der Recherche dürften vier Studierende in einem Konzentrations- bzw. Vernichtungslager ums Leben gekommen sein – Felicitas Ichheiser, die die Opernschule Meisterklasse besucht hatte, wurde 1942 nach Wien/Riga deportiert, Ida Friedmann – sie studierte Klavier, 1941 nach Brünn/Minsk, der Klavierstudent Abraham Ehrlich, im Jahr 1941 nach Wien/ Opole und Alfred Stein, der Pauke studierte, im Jahr 1942 nach Drancy/Auschwitz.
Die Quellenlage über weitere Lebenswege ist dürftig und weitere vertiefende Recherchen zu diesem Thema stellen nach wie vor ein Desiderat in der Forschung über die Geschichte der mdw dar.
Performance und Gespräch mit den Künstler_innen, 2018
Videodokumentation: Florian Tanzer (lumalaunisch.com)
Im Jahresbericht der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Wien für das Schuljahr 1937/38 sind die dem Einmarsch Hitlers folgenden Ereignisse am Haus festgehalten. Bereits am 15. März wurde der neue kommissarische Leiter Alfred Orel begrüßt. Am selben Tag erfolgte die Beurlaubung von neun Kursleiter_innen, darunter die Tänzerin Gertrud Bodenwieser und die Pianistin Erna Kremer. Sie konnten, so die damalige Diktion, „den Eid auf Adolf Hitler aus rassischen Gründen nicht ablegen“. (mdw Archiv P1 P2 1928-1950 866/38, zitiert nach Heller 1992, 58, dort auch die detaillierte Darstellung der „Gleichschaltung“) Zu ihnen zählten, einem Bericht Orels zufolge, außerdem Max Graf, Friedrich Buxbaum, Heinz Schulbaur, Edgar Schiffmann, Richard Stöhr und Edwin Weill. Josef Krips wurde nahegelegt, einen bezahlten Urlaub anzutreten, Paul Weingarten, der sich auf einer Heimreise von Japan befand, wurde ebenso beurlaubt. (ebd.)
Am 24. März 1938 wurde der Unterricht wiederaufgenommen. Die „Säuberung des Kunsttempels“ von „jüdischem Einfluß“ (Völkischer Beobachter, 16.3.1938, 11), wie die Formulierung lautete, ging rasch und in spezieller Weise vor sich. Alle bestehenden Verträge waren mit 30. Mai gekündigt worden. Die Nicht-Erneuerung von Verträgen erforderte keine Kündigung politisch untragbarer Beamten mehr, wie sie die „Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums“, die am 31. Mai 1938 in Kraft trat, vorsah. Lynne Heller spricht von 26% der Lehrkräfte, die aus „rassischen Gründen“ entlassen wurden. (Heller 1992, vgl. dazu Seiger et al. 1990) Doch von Verfolgung kann sicher auch dann gesprochen werden, wenn sich Personen vor dem Regime dadurch in Sicherheit zu bringen versuchten, dass sie ihrerseits von ihrem Amt zurücktraten und die Akademie „nur mehr“ die Stellenniederlegung genehmigen musste.
Eine der bekanntesten Betroffenen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten war auf Seiten der weiblichen Lehrkräfte die Tänzerin Gertrud Bodenwieser-Rosenthal (1920-1938).
In Klammer sind hier und in der Folge jeweils die Zeiten genannt, in denen die Lehrenden an der Vorgängerinstitution der mdw tätig waren.
Betroffen war die Sängerin Julia Culp-Ginzkey (1937-1938) sowie die Pianistin Erna Kremer (1934-1938), welche die Shoa nicht überlebte.
In den Werdegängen weiterer Lehrender, die 1938 entlassen bzw. deren Verträge nicht verlängert wurden, wie der Pianistin Berta Jahn-Beer (1927-1938), der Bühnenaussprache für Operngesang Lehrenden Elsa Sgalitzer (Februar-Juni 1938), der Schauspielerin Frieda Raithel (1936-1938), der Sängerin Sascha Cahier (1933-1938), Philomena Blaschitz (1928-1938), die vergleichende Kultur- und Kunstgeschichte lehrte und Margarete Groß (1923-1938), die künstlerischen Tanz unterrichtete – bleiben mitunter noch viele Fragen über die Vorgeschichte, ihre politische Orientierung und ihre weiteren Karrieren offen.
Auch das von Max Reinhardt 1928 gegründete Schauspiel- und Regie-Seminar, das bis 1931 der Vorgängerinstitution angehört hatte und danach privat geführt worden war, wurde im September 1938 aufgrund seines guten Rufes wieder von der Akademie übernommen und mit den Schauspielklassen zusammengelegt. (Vgl. Roessler 2004) Lynne Heller nennt dies eine „mehr oder weniger gewaltsame Verstaatlichung“ (Heller 1992, 252. Dieser Prozess detaillierter ebd. 251-287). Max Reinhardt selbst hatte, zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Helene Thimig, im Oktober 1937 in die USA emigrieren können. Im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten kam es auch hier zu Ausschlüssen. Zwölf Lehrpersonen insgesamt wurden durch die Abgabe formaler Erklärungen dazu genötigt, ihre Arbeit zu beenden. Darunter die im Bereich der Stimmbildung und des Sprechunterrichts tätig gewesene Margit von Tolnai (1931-1938), die nach Basel ins Exil flüchtete und Gertrud Lasch (1932 bis 1938), die nach Großbritannien und später in die USA emigrieren konnte. Auch folgende Kollegen wurden ihrer Ämter enthoben: Emil Geyer (1933-1938), Paul Kalbeck (1929-1938) und Ernst Lothar (1935-1938), die für das Rollenstudium und Inszenierungen verantwortlich gezeichnet hatten. Carl Meinrad (1937-1938), der Dramatischen Unterricht gab, Ludwig Haas (1935-1938), er hatte Bühnenarchitektur unterrichtet. Leopold Hubermann (1933-1938) und Zdenko Kestranek (1929-1938, 1945-1962) waren für Stimmbildung, Arthur Kleiner (1932-1938) für musikalische Ausbildung zuständig gewesen. Emil Lind (1933-1938) lehrte Geschichte der Regie, Dramaturgie sowie Stilkunde (1946-1948), Josef Losert (1937-1938) Fechten. Hans Nüchtern (1928-1938) unterrichtete Mikrophonsprechen und später Hörspiel (1948-1952), Robert Rosner (1931-1938) hatte Stimmbildung und Sprechunterricht erteilt. (Vgl. Roessler et al. 2004, 65-69)
Diese Periode der mdw ist aber auch durch weibliche Lehrende gekennzeichnet, deren Werdegänge von Kontinuitäten geprägt waren. Nähe bzw. Distanz zum Nationalsozialismus unterlagen dabei jeweils unterschiedlichen Ausformungen. Zu ihnen zählen die Tänzerin Grete Wiesenthal (1934-1952), Gertrude Wiesenthal (1914-1952), die für Rhythmische Gymnastik und Klavier im Bereich Tanz verantwortlich zeichnete, Margarete Hinterhofer (1927-1969) mit Klavier, Minka Schwartz (1933-1945), die Unterricht in praktischer Kostümkunde erteilte sowie die Gesangspädagogin Paula Mark-Neusser (1923 mit kurzen Unterbrechungen im Jahr 1938 und von 1945 bis 1947). Weiters Hedwig von Andrasffy (1914-1940), die Klavier unterrichtete, die Sängerinnen Helene Schmaus-Wildbrunn (1931 bis 1950) und Wilhemine bzw. Minna Singer-Burian (1930-1946), die Pianistinnen Eugenie Wild-Volek (1923-1955) sowie die Sängerin Anny Konetzni (1939-1946 sowie 1948-1950).
Tanz ist in dieser Gruppe von Frauen der über 1938 und 1945 durch Kontinuitäten geprägten Biografien ein zentrales Fach. Doch auch Gesang und Klavier sowie Sprechübungen im Bereich des Schauspiels sind Bereiche, in denen weibliche Lehrende reüssierten.
Entsprechend dem Ausbau des künstlerischen Tanzes, dem durch die NS-Akademieführung nun erneut Bedeutung beigemessen wurde, war in diesem Fach auch der Bedarf an Lehrenden gewachsen, denn erstaunlich viele bzw. der Großteil der in dieser Zeit neu aufgenommenen weiblichen Lehrenden fallen in diesen Studienbereich. Dadurch ergibt sich gerade ab 1938 eine größere Anzahl an Neuzugängen von Frauen an die Akademie bzw. Reichshochschule.
Zu den in der NS-Zeit eingestellten weiblichen Lehrenden zählten die für die Abteilung Tanz zuständige Tonia Wojtek-Goedecke (1938-1945 enthoben/46 gekündigt), Berta Komauer (1920-1926 sowie für 1938-1947) für die Rhythmische Gymnastik und Tanzbegleitung, die Tänzerin Riki Raab (1938-1952), Margit Sturm (1938 bis 1945) für Tanzbegleitung, Hella von Schrefel-Schoenig (1938-1945), die Akrobatik unterrichtete, die Tänzerin Margarete Limauscheg (1938 bis 1945), Ilse Nolte (1939-1940), die im Bereich Kunsttanz und Rhythmik tätig war sowie die für Turnen und Volkstanz zuständige Ilka von Peter-Zezulak (1941-1944). Sodann Annemarie Heyne (1938-1946). Erni Hrubesch (1939-1943), sie hatte Sprechen im Bereich Schauspiel gelehrt, Alice Schwenk (1941 und 1942) für Klavierbegleitung im Bereich Tanz, die Pianistin Eugenie Socha (1941-1972), die Tänzerin Maria Josefa Schaffgotsch (1941-1945, mit Lehraufträgen bis 1974), Anna Renate Keppler-Zusanek (1942-1945) für Rhythmische Gymnastik, Gertrude Reinitzer (Mai bis Oktober des Jahres 1942) für Tanzbegleitung, die Tänzerin Maria Esparza (1942), die Tanztrainerin Hannelore Schneider (1943-1945) sowie Erna Cieplik-Komora (1943-1961), die die Fächer Gymnastik, Anatomie, Turnen und Körperschulung überhatte.
Die Wirkungszeit von Vera Balser-Eberle am Schauspiel- und Regieseminar Schönbrunn (1940-1966), die für Sprecherziehung zuständig war, fällt ebenso in diese Zeit wie die von Helene Schmith-Polewitskaja (1943-1954), die dramatischen Elementarunterricht bot.
Aber auch in Gesang, Klavier, Korrepetition, zunehmend im Bereich der Musikpädagogik (vgl. Schmidt 1986) sowie erstmals im Fach Gitarre waren lehrende Frauen vertreten. Zu nennen sind hier die Sängerin Anna von Mildenburg (1942 bis 1944), die Solo/Korrepetorinnen Dora Ehrlich (1941-1959), Elisabeth Ortner-Schütz (1938-1945) und Elisabeth Pohl (1942-1970), die Sprecherziehung im Bereich der Musikpädagogik unterrichtende Alice Solscher (1944-1945), Brigitte Müller (1941-1969), die in der Musikpädagogik etc. Rhythmik und Gehörbildung unterrichtete, Eugenie Cloeter (1943-1946) für Volksliedpflege in der Musikpädagogik, die Gitarristin Luise Walker, verheiratete Hejsek, (1940-1980), Frieda Richter-Valenzi (1938-1941 sowie 1955-1980), die Klaviertechnik für Kapellmeister, das heute der Musikleitung und dem Dirigieren entspricht, lehrte, Ada Roland (1944-1975) war für Klaviervorbereitung zuständig, zudem die Pianistinnen Angelica Sauer-Morales bzw. Morales von Sauer (1943-1945 sowie 1948-1953), Elisabeth Schnittchen (1942-1949) und Hilde Seidlhofer-Suchanek (1939-1946 sowie 1955- 1977).
In der Zeit zwischen 1938 und 1945 wurden also 32 weibliche Lehrende an der Akademie bzw. Reichsakademie verpflichtet, eine Anzahl, wie sie in den Jahren davor, abgesehen von dem relativ großen Zugang in den Jahren 1919/20, nicht anzutreffen war. So ist erneut festzuhalten, dass der Nationalsozialismus bürgerlichen, nicht durch die Nürnberger Rassegesetze betroffenen Frauen im akademischen Bereich strukturell Möglichkeiten des Zugangs bot (vgl. Posch et al. 2008), wenngleich solche Positionen mit Frauen zu besetzen prinzipiell zu seiner Ideologie in Gegensatz stand. Die individuelle Motivation der Lehrerinnen setzte nicht unbedingt Systemkonformität voraus und ist den Personen, die diese sich ihnen bietenden Chancen nutzten, deswegen nicht von vornherein zu unterstellen. (vgl. auch Bauer 2000) Festzuhalten bleibt jedoch, dass der NS-Herrschaftsapparat strukturell ein Profitieren für diejenigen ermöglichte, die der Verfolgung nicht ausgesetzt waren.
Nahezu 80 Jahre nach dem Einmarsch des NS-Regimes in Österreich hat sich die ohnedies vielfach so spät begonnene Erinnerungsarbeit und Auseinandersetzung mit dieser Zeit drastisch verändert. Nur mehr wenige der damaligen Akteurinnen und Akteure sind noch am Leben und können durch Begegnungen und in Kontakt mit jenen, die diese Zeit nur aus Büchern und Dokumenten kennen, wirken. Doch die Erinnerungsarbeit hört nicht auf. Viele Testimonials wurden gesammelt und regen ungebrochen dazu an, immer wieder zu hinterfragen, welche Konzepte von Mensch-Sein, von Würde und Macht wir vertreten. Sie regen dazu an, Welt in einem bejahenden Modus von Differenz und Diversität, mit anderen Worten bewusst in einem Denken im Und (vgl. Ingrisch 2012 a und b) zu gestalten.
Ingrid Bauer 2000, Eine frauen- und geschlechtergeschichtliche Perspektivierung des Nationalsozialismus, in: Emmerich Tálos u.a. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich. Ein Handbuch, Wien, 409-443
Juri Giannini/Maximilian Haas/Erwin Strouhal (Hg.) 2014, Eine Institution zwischen Repräsentation und Macht. Die Universität für Musik und darstellende Kunst im Kulturleben des Nationalsozialismus, Wien
Lynne Heller 1992, Die Reichshochschule für Musik in Wien 1938–1945, Dissertation Universität Wien
Doris Ingrisch 2012a, Pionierinnen und Pionierinnen der Spätmoderne. Künstlerische Lebens- und Arbeitsformen als Inspirationen für ein neues Denken, Bielefeld
Doris Ingrisch 2012b, Wissenschaft, Kunst und Gender. Denkräume in Bewegung, Bielefeld
Jahresbericht der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Schuljahr 1937/38
Johannes Koll (Hg.) 2017, „Säuberungen“ an österreichischen Hochschulen 1934-1945. Voraussetzungen, Prozesse, Folgen, Köln/ Weimar
Herbert Posch, Doris Ingrisch, Gert Dressel 2008, „Anschluß“ und Ausschluss 1938. Vertriebene und verbliebene Studierende der Universität Wien (=Emigration - Exil – Kontinuität. Schriften zur Wissenschaftsgeschichte 8) Münster/Wien
Barbara Preis 2009, Weibliche Lehrkräfte und Schülerinnen der Reichshochschule für Musik in Wien 1938-1945. Studien – Berufsentwicklung - Emigration, Wien
Peter Roessler 2004, Zur Geschichte des Reinhardts-Seminars von 1928-1938, in: Peter Roessler, Günter Einbrodt, Susanne Gföllner (Hg.), Die vergessenen Jahre. Zum 75. Jahrestag der Eröffnung des Max Reinhardt-Seminars, Wien, 11-49
Peter Roessler, Günter Einbrodt, Susanne Gföller (Hg.) 2004, Die vergessenen Jahre. Zum 75. Geburtstag des Max Reinhardt Seminars, Wien, 65-69
Hans-Christian Schmidt 1986, Handbuch der Musikpädagogik, 4 Bde., Kassel
Hans Seiger & Michael Lunardi & Josef Populorum (Hg.) 1990, Im Reich der Kunst. Die Wiener Akademie der bildenden Künste und die faschistische Kunstpolitik, Wien
Bildnachweis
Abb. 1: Erklärung von Gertrud Bodenwieser. Quelle: 1424/1938 P-Div, mdw-Archiv
Abb. 2: Matrikelblatt von Felicitas Ichheiser. Quelle: mdw-Archiv
Abb. 3: Matrikelblatt von Ida Friedmann. Quelle: mdw-Archiv
Abb. 4: Matrikelblatt von Abraham Erhlich. Quelle: mdw-Archiv
Abb. 5: Matrikelblatt von Alfred Stein. Quelle: mdw-Archi
Abb. 6: Akt der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vom 30.5.1938, „Betreff: Reorganisation der STAK [Staatsakademie], Personalmassnahmen“. Quelle: 94/Res/1938, mdw-Archiv
Abb. 7: sogenannte Abbauliste (Seite 1): Anlage 7 zum Schreiben der Leitung der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vom 19.5.1938 an das Österr. Unterrichtsministerium. Quelle: 94/Res/1938, mdw-Archiv
Abb. 8: sogenannte Abbauliste (Seite 2): Anlage 7 zum Schreiben der Leitung der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vom 19.5.1938 an das Österr. Unterrichtsministerium. Quelle: 94/Res/1938, mdw-Archiv
Abb. 9: Am 29.3.1938 schreibt Gertrud Bodenwieser eine Erklärung, dass sie die Lehrstelle an der Staatsakademie zurücklegt und auf alle weiteren Bezüge verzichtet. Quelle: 1424/1938 P-Div, mdw-Archiv
Abb. 10: Gemeinsam mit der Erklärung (vgl. Abb. 8) ergeht am 29.3.1938 folgendes Schreiben von Gertrud Bodenwieser an den Präsidenten der Staatsakademie. Quelle: 1424/1938 P-Div, mdw-Archiv
Abb. 11: An das Präsidium der Staatsakademie schreibt Gertrud Bodenwieser am 30.3.1938 die Bitte der Beurlaubung bis zum Ende des Lehrjahres. Quelle: 1424/1938 P-Div, mdw-Archiv
Abb. 12: Eine Anfrage betreff Bekanntgabe des Ausreisetermines von Prof. Gertrud Bodenwieser ergeht am 25.5.1938 an das Passamt der Polizeidirektion Wien. Quelle: 1424/1938 P-Div, mdw-Archiv
Abb. 13: Erna Kremer. Quelle: Kunstnachrichten. Information des Arts. Organ für Musik, Theater, Literatur, Kunst und Wissen, Sondernummer: Festausgabe der Staatsakademie und darstellende Kunst zum Internationalen Musikwettbewerb 1937, redigiert von Ing. Karl Oeschler, [Wien 1937], 34
Abb. 14: Am 15.3.1938 gibt Juliane Culp-Ginzkey gesundheitliche Gründe für die Rücklegung ihrer Lehrtätigkeit an. Quelle: 84/Res/1938, mdw-Archiv
Abb. 15: Am 17.3.1938 wird Juliane Culp-Ginzkeys „Rücktritt von der Lehrstelle zur Kenntnis genommen und ihre Streichung aus dem Verzeichnis der Professoren der Staatsakademie veranlasst“. Quelle: 84/Res/1938, mdw-Archiv
Doris Ingrisch, Artikel „frauen* an der mdw 1938-1945. vertreibung, verfolgung, kontinuitäten und neuzugänge“, in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.
URL: https://www.mdw.ac.at/spielmachtraum/artikel/frauen-an-der-mdw-1938-1945
| zuletzt bearbeitet: 12.04.19