„Der heiße Atem unserer aufgewühlten Zeit“ solle sich endlich auch in Wien in einer Revolutionierung der Tanzkunst ausdrücken, forderte die Tänzerin Gertrud Bodenwieser 1922 in der Zeitschrift Die moderne Welt. (Bodenwieser 1922,11) Seit der Wende zum 20. Jahrhundert hatten junge, überwiegend bürgerliche und weiße Frauen* als Tanzkünstlerinnen* die Bühnen der europäischen Großstädte erobert.
Gertrud Bodenwieser – unter diesem Künstlerinnennamen wurde Gertrud Bondi in den 1920er Jahren in Wien berühmt und bald auch international zu einer gefeierten Tänzerin und Choreographin. Im Mai 1919 schwärmte Ellie Lafite in der Zeitschrift Die Frau von einem Tanzabend der Bodenwieser, die sich ganz von der klassischen Linie freigemacht habe:
„Die starke künstlerische Individualität von Gertrud Bodenwieser hat in geradezu genialer Weise einen neuen Tanzstil, eine ihr persönliche Note gefunden. Sie tanzte in verblüffend kühnen und originellen, von Franz Behraus entworfenen und ausgefertigten Kostümen. Reinhold, Max Reger, Rubinstein, Debussy und Rachmaninoff. Vielleicht war der erste Tanz, die Silhouette von Reinhold, in schwarzem Kostüm vor einer weißen Wand aufgeführt, am verblüffendsten; denn so verschieden die anderen Tänze auch waren, so war doch in dem ersten die ganze neue Linie angedeutet.(...) Sie tanzt weder Alt-Wien noch Rokoko, auch keine Nationaltänze. Sie hat die in der modernen Musik enthaltene Dissonanz unserer Zeit durch außerordentlich charakteristische Bewegungen zum Ausdruck gebracht.(...) Die kleinste Schwebung der Musik wird von ihr durch charakteristische Handbewegungen illustriert und man könnte die kühne Behauptung aufstellen, dass die Bodenwieser mehr eine Hand- als eine Fußtänzerin sei.
Die Blicke der Zuschauer können sich von ihren lebendigen Handbewegungen nicht losreißen. Von Fräulein Hilde Löwe sehr gut begleitet tanzte Gertrud Bodenwieser in den Ausstellungsräumen der „Neuen Vereinigung für Malerei, Graphik und Plastik“. Ihr Erfolg war groß. Sie wird in der breiten Öffentlichkeit manchem Für und Wieder begegnen, aber man wird sich lebhaft für diese neuen Schöpfungen interessieren.“ (Lafite 1919, 5)
Antisemitismus und die Machtübernahme der Nationalsozialist*innen
setzten Bodenwiesers Karriere in Wien 1938, knapp zwanzig Jahre später
ein jähes und trauriges Ende. Mehr als achtzig Jahre nach ihrer
Vertreibung und fast sechzig Jahre nach ihrem Tod in Sydney begegnete
ich Gertrud Bodenwieser 2018 in Wien. Ich werde meinen Beitrag mit der
Geschichte dieser Begegnung beginnen. Im zweiten Kapitel, gertrud bodenwieser – biographien und selbst(tradierungen)
wird Bodenwieser als Tanzkünstlerin, Pädagogin, als Lehrende an der
Staatsakademie, als Tanzschulbetreiberin in Wien und bis zu ihrer
Vertreibung 1938 als eine prägende Leitfigur der Wiener Tanzmoderne
rekonstruiert. In den Lebenswegen von Bodenwieser und vieler Wiener
Tänzer*innen vor und nach 1938 scheinen sich zentrale politische,
soziale und kulturelle Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu
materialisieren. Ich werde daher im dritten Abschnitt des Textes Gertrud
Bodenwieser als zentrale Akteurin der Wiener Tanzkultur im Kontext
exemplarischer Lebens- und Karrierewege eines kleinen Teils ihrer
Schüler*innen und Mitarbeiter*innen vorstellen. Abschließend werde ich
den Bogen von Gertrud Bodenwiesers Tanzkunst vor 1938 ins 21.
Jahrhundert spannen und danach fragen, wie sich „der heiße Atem unserer
aufgewühlten Zeit“ gegenwärtig als kollektive Praxis und Protestform in
Form des Tanzes auf der Straße artikuliert.
Tänzer*innen wie Gertrud Bodenwieser (Wien 1890 – Sydney 1959) forderten das klassische Ballett der Romantik mit ihrem expressionistischen Tanzstil und ihren teils grotesken, oft pantomimischen Körpergesten heraus.2 Während tanzende Männer* als Bühnenstars im Laufe des 19. Jahrhunderts an Bedeutung verloren hatten und die Ballerina zum Zentrum des klassischen Balletts aufstieg, blieb die Position der Choreographen*, der Tanzlehrer* und Tanzkritiker* Männern* vorbehalten. Die Eigenständigkeit der jungen Tanzkünstler*innen, die mit neuen Ausdrucksformen experimentierten, erscheint vor diesem Hintergrund besonders bemerkenswert. Der Wandel im Bühnentanz des 19. Jahrhunderts war als ‚Verweiblichung’ des klassischen Balletts kritisiert worden, tanzende Männer* galten als unmännlich und wurden oft als homosexuell klassifiziert.
Tanz stellte immer auch vergeschlechtlichte Körper dar und her. Sexualisierende, rassisierende und soziale Bedeutungen strukturierten daher die Wahrnehmung und die Erfahrung des Tanzens auf und jenseits der Bühnen. Es gab vielfältige und auch widersprüchliche Bedeutungen, die sich an den Tanz als Kunstform und als populäre Praxis knüpften, die bis in die Gegenwart weiterwirken. Die starke Präsenz von avantgardistischen Tanzkünstler*innen zur Jahrhundertwende war von innovativen Körper- und Kunstbewegungen getragen3, die auf die Erfahrungen von Technik, Krieg und moderner Lebensweise reagierten und das Verhältnis von Körper, Geist und Psyche neu zu bestimmen versuchten. Die Erste Frauen*bewegung, die u. a. das Recht auf Bildung und das Recht auf politische Partizipation erkämpft hatte, schuf zweifellos wesentliche Resonanzräume für die jungen tanzbegeisterten Frauen*, die überwiegend aus dem urbanen Bürgertum stammten und den Bühnentanz des 20. Jahrhunderts revolutionieren sollten.4
Gertrud Bodenwieser begegnete mir zum ersten Mal beim Impulstanzfestival 2018 in Wien. Ich hatte einen Workshop Dance for Health bei Fabiana Pastorini belegt. Ausschließlich Frauen* besuchten den Workshop, alle weiß und viele über vierzig. Fabiana Pastorini, in Buenos Aires geboren, unterrichtet bei Impulstanz und ist seit 2015 auch an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (Max Reinhardt Seminar) als Lehrende für Tanz tätig. Gertrud Bodenwieser unterrichtete ebendort von 1920–1938 (u. a. Tanz und Mimik, Künstlerischer Tanz). Bei der Impulstanzkonferenz 2018 zum Thema You are Here!,5 hörte ich dann einen faszinierenden Vortrag der australischen Tänzerin Carol Brown zum Thema The Politics of Breathing.
„In dancing as in life in general, we are all sharing the same air. We encounter each other through sharing breaths (listening, tuning and calibrating) in an atmosphere of airs that can never be fully appropriated. This shared condition is what makes us human and vulnerable.“ (Brown 2018)
Atmung, so Brown, sei als grundlegende Voraussetzung für Tanz und Leben zu denken. In der tanzenden Bewegung von Körpern durch den Raum sind die Dualismen von Innen und Außen, von Weiblichkeit und Männlichkeit transformierbar, weil es zur Anerkennung einer geteilten, unsichtbaren Voraussetzung des Seins durch das Atmen kommt. The Politics of Breathing ziele auf die Erfahrung der Diversität und der prinzipiellen Verletzlichkeit, die alles Lebendige verbindet.
Carol Brown ist Choreographin, Tänzerin und Pädagogin. Seit 2019 ist sie Head of Dance im Victorian College of Arts (VCA) in Melbourne. In ihrem Vortrag in Wien bezieht sie sich ein Jahr vor diesem Karrieresprung auf die Wiener Ausdrucks-Tänzerin Gertrud Bodenwieser als ihre „Dancemother“. Brown studierte bei einer Schülerin von Gertrud Bodenwieser in Neuseeland. In ihrem historisch-biographischen Text Migration and Memory. The dances of Gertrud Bodenwieser (Brown 2001) reflektiert Carol Brown schon im Jahr 2001 die Verbindungen ihrer eigenen Tanzkarriere in Australien und England mit den Karrieren jener Tänzer*innen aus Europa, die, wie Gertrud Bodenwieser und ihre Schüler*innen, im Wien der 1920er Jahre Tanz praktizierten. Carol Brown recherchierte im Gertrud Bodenwieser Archive in der National Library, Canberra in Australien. Sie, als eine in Australien und Neuseeland sozialisierte Tänzerin, möchte erfahren, wie es dazu kam, dass sie den Tanzstil eines anderen Kontinents, den „Wiener Stil des Ausdruckstanzes“ (Free Dance) lernte. Es ist eine genealogische Frage, die nach den Bewegungen der Tradierung künstlerischer Praxen und der historischen Speicherung von Bewegung fragt.
„My earliest knowledge of dance as an art form was inscribed through a series of ‘quotes’ from the past, for it was the Viennese Ausdruckstanz choreographer Gertrud Bodenwieser (1890–1959) whose words and ideas animated my dancing. I came to know Bodenwieser through the teachings of her former dancer Shona Dunlop-MacTavish, with whom I trained in New Zealand from 1972–85. When I moved to the UK in the late 1980s, curiosity and a hunger for the familiar led me to meet with other former Bodenwieser dancers now residing there: Hilde Holger, the late Bettina Vernon, Evelyn Ippen, and Hilary Napier. All of these women, including Dunlop-MacTavish, received their primary dance training with Bodenwieser, danced in the Tanzgruppe Bodenwieser in Vienna (1923–38), and, with the exception of Hilde Holger, danced in Australia with the Bodenwieser Viennese Ballet (1939–58).“ (Brown 2001,1)
Neben der Erforschung der Lebensgeschichte von Gertrud Bodenwieser rekonstruierte Carol Brown mit Kolleg*innen über fünfzehn Jahre hinweg drei Bodenwieser Tanz-Choreographien, um sie wiederaufzuführen, sie gewissermaßen neuerlich zu tanzen: Darunter das berühmteste Bodenwieser-Stück, Dämon Maschine (1924), aber auch Slavischer Tanz (1939) und Joan of Arc (1946). Recherche und Reenactment kennzeichnen Carol Browns historiographisch-künstlerische Programmatik, die sie bereits in Bodenwiesers eigener Tanzkunst angelegt sah, und diese lautet: Undoing the past.
„In her own lifetime Bodenwieser moved through a series of different phases of artistic activity. Just as she teased her audiences with her dance parodies and grotesque dances that played with the traditions of the past, so she reshaped her oeuvre in response to the changing circumstances of her life. She effectively undid the past, not just in relation to her own history but also in relation to the traditions of dance that preceded her. The challenge is to continue to ask questions of the past, to be aware of the peristalsis of movement memory that may be intergenerational, and to recognize the potential of the theatre as a museum of the body.“ (Brown 2018, 7)
Carol Brown hat ihre „Dancemother“ aus Wien, deren Tanzgeschichte, ihr Leben und Überleben in der Emigration, in einer kolonial geprägten, neuen Welt beforscht, und als Text niedergeschrieben. Die gelernte Historikerin und praktizierende Tänzerin und Choreographin Brown hat ihr Verhältnis zu der Tanzkünstlerin Gertrud Bodenwieser in Reenactments historischer Choreographien aber auch in dem eigenen Solo-Tanz, Acts of Becoming (1995) verkörpert. Brown hat damit eine, in die Zukunft gespeicherte Bewegung von Geschichte als getanzte Auto/Biographie kreiert.
„I have attempted both, to pay homage to this inheritance, and critically engage with it, through setting in motion an interaction between Bodenwieser’s movements and texts and my own inventions. It finishes with the words: And why Stop? You must keep going. Remember your body is not the same today as it was yesterday. Be what you are becoming and not what you might have been. The impuls.“ (Brown 2001, 7–8)
Körper sind heute nicht die gleichen wie gestern. Körper sind Wissensspeicher, Erfahrungsmuseen. Tanz ist niemals frei von Geschichte. Die Tradierung der Körpergedächtnisse bringt das Vergessene zurück. Meine Begegnung mit Gertrud Bodenwieser in Wien in Form der narrativen und verkörperten Speicherung ihrer Tanzgeschichte durch Carol Brown war ein Zufall. Ich habe diesen Zufall genutzt, um ein paar Splitter aus Gertrud Bodenwiesers Tanz-, Lebens- und Rezeptionsgeschichte, insbesondere ihrer Wiener Jahre (auf)zusammeln und wiederzuerzählen.
Gertrud Bodenwieser wurde am 3.2.1890 als jüngstes von vier Geschwistern in Wien (Österreich-Ungarn) geboren. Ihre Eltern waren Theodor Bondi (Börsen-Sensal) und Marie Bondi (geborene Tandler), eine wohlhabende und angesehene jüdische Famile in Wien. Die Schwester Franziska war vier Jahre älter als Gertrud Bondi, der Bruder Rudolf starb 1888 mit sieben Jahren, ihre Schwester Hedwig 1885 mit nur vier Monaten. Gertrud wurde von einer Gouvernante unterrichtet. Im Jahr 1895 starb ihr Vater Theodor Bondi, Gertrud war erst fünf Jahre alt. Gertrud Bondi ist ohne Vater, mit ihrer Mutter Marie und der ältereren Schwester Franziska aufgewachsen.
1905 bis 1910 wurde Gertrud von Carl Godlewski in klassischem Ballet ausgebildet. Eine überaus fundierte Schulung, denn Godlewski war seit 1893 erster Mimiker des Wiener Hofopernballetts, gründete 1907 eine eigene Ballettschule in Wien und war seit 1919 Ballettmeister am Wiener Staatsopernballett. (vgl. Oberzaucher-Schüller 2001) Auf der Grundlage dieser soliden Ausbildung interessierte sich Gertrud zunehmend für Vertreter*innen des Neuen Tanzes, die seit der Jahrhundertwende auch in Wien zu sehen waren.
Die erste Erwähnung ihrer Tanzkunst im Bestand der digitalisierten Zeitungen der Nationalbibliothek stammt aus dem ersten Kriegsjahr, 1914. Im Dezember wurde in der Neuen Freien Presse eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten des Gelb-Schwarzen Kreuzes und der Geflüchteten aus Galizien und der Bukowina im Konzerthaussaal angekündigt, in deren Rahmen „Fräulein Bodenwieser“ neben anderen Kulturschaffenden, wie etwa Egon Friedell als Rezitator oder Sophie Frankfurt als Konzertsängerin im Jänner 1915 auftreten sollte. (Neue Freie Presse, 31.12.1914, 14) Im Umfeld der humanitären und offiziersunterstützenden Wohlfahrtsakademie wurde sie zu Beginn des Krieges noch als „klassische Tänzerin“ bezeichnet. Sie tritt hier allerdings bereits mit ihrem Künstlerinnennamen Bodenwieser auf. Sie wählte diesen Erd- und Naturverbundenheit suggerierenden Namen vielleicht auch, um ihre künstlerische Karriere von der Bekanntheit des väterlichen Namens in der Wiener Gesellschaft zu befreien.
Noch während des Krieges, am 14.5.1917, Gertrud ist 27 Jahre alt, stirbt auch ihre Mutter, Marie Bondi. Der frühe Verlust der Eltern hat Gertrud Bondi sicherlich stark geprägt. Auch nach 1918, nachdem sie sich bereits dem modernen Tanz zugewandt hatte, war ihr Publikum primär die (groß)bürgerliche Wiener Gesellschaft, die sich den Besuch von Konzerthaus, Burg- oder Akademietheater leisten konnte und vor der sicherlich ein Großteil ihrer, auch in der Presse zunehmend umjubelten Auftritte stattfand. 1920 wurde zu einem entscheidenden Jahr für ihren weiteren beruflichen und privaten Lebensweg. Im Mai trat sie in Berlin in den Kammerspielen bei Max Reinhardt auf, (Neue Freie Presse, 10.5.1920, 4), sie nahm ihre Berufs- und Lehrtätigkeit an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst (heute mdw) auf, und im Juni 1920 heiratete Gertrud Bodenwieser den ebenfalls aus Wien stammenden Dramaturgen und Regisseur Friedrich Rosenthal.
Die Wiener Tanzmoderne als deren zentrale Akteurin Gertrud Bodenwieser retrospektiv bezeichnet werden kann, umfasst die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, in denen die Tanzkultur des modernen Ausdruckstanzes auch hier große Bedeutung und ein immer größer werdendes Publikum gewann. In Zusammenhang mit modernen Körpervorstellungen und veränderten Geschlechterbildern und vor dem Hintergrund der Avantgarden in allen Kunstfeldern um die Jahrhundertwende entwickelte sich der expressionistische, moderne Stil des künstlerischen Tanzes, der Ausdruckstanz. Isadora Duncan, Loïe Fuller, Ruth St. Denis u. a. hatten um die Jahrhundertwende in den Vereinigten Staaten den neuen Tanzstil geprägt, der sich von den Inszenierungsformen des Balletts abhob. In Europa wurden nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere Mary Wigman und der Theoretiker Rudolf Laban zu den Leitfiguren neuer und innovativer Bewegungskonzepte. Das Neue des Ausdruckstanzes richtete sich auf das Embodiment von Gefühl, Leidenschaft und Genuss, von Lust und Angst, aber auch von seelischen oder spirituellen Vorstellungen. Das klassische Ballett, die Ballerina und der Spitzentanz wurden kritisch herausgefordert und gleichzeitig als Voraussetzung für deren Dekonstruktion noch einmal aufgewertet. Es war für die Anerkennung des neuen Tanzstils, so auch für Gertrud Bodenwieser enorm wichtig, eine profunde klassische Ballettausbildung vorweisen zu können, um vor der Kritik und im Rahmen bürgerlicher Hochkultur bestehen zu können.
Bodenwieser kooperierte für ihre Choreographien als moderne Tanzkünstlerin mit verschiedensten Kunstrichtungen und Künstler*innen aus den Bereichen Malerei, Design, Literatur, Architektur, Film, Fotografie, Mode, Kostüm und besonders mit jungen Komponisten wie Rachmaninow oder Debussy oder mit der Komponistin und Dirigentin Lisa Maria Mayer (1894–1968), die die Musik zu Bodenwiesers Hauptwerk Dämon Maschine (1924) komponierte. Ästhetisch war Bodenwiesers Arbeit in Wien durch diese enge Zusammenarbeit mit anderen Kunstformen und Künstler*innen geprägt. Sie trat in Ausstellungen auf und transponierte die neuen Strömungen der Malerei wie Expressionismus oder Kubismus in Tanz und Bewegung.
Sie zeigte ihre Bewegungsstudien im Rahmen von Sprechtheateraufführungen und arbeitete mit Fotograf*innen, Modedesigner*innen und Architekt*innen zusammen. Die Choreographie für die avantgardistische Raumbühne im Raimundtheater, auf der Wedekinds Franziska 1924 Premiere hatte etwa verlangte nach der Übersetzung der Tanz-Bewegungen von einem rechteckigen Podium auf eine runde Raumbühne. Diese Arbeit verrät, wie sehr Bodenwieser an experimentellen Formaten und Räumen interessiert gewesen ist. Das kurze Abschluss-Stück des Bodenwieser-Tanzabends auf der Raumbühne 1924 trug den schönen Titel Der Film ohne Leinwand und wurde in einer Kritik von Alfred Sandt als „Kostümscherz“ abgetan, wiewohl es, davon ist auszugehen, die Auseinandersetzung von Bodenwieser mit der neuen Kunstform Film dokumentierte. (Sandt 1924, 6) Ebenfalls für die frühen 1920er Jahre ist ihre Mitwirkung an filmischen Groß-Ereignissen in Wien dokumentiert. (Feschalek 1922, 4) Der spektakuläre, exotisierende und kolonial geprägte, zweiteilige Stummfilm Das indische Grabmahl, 1921, von Joe May (Otto Mandl,1880 in Wien geboren) nach einer Romanvorlage von Thea von Harbou als erster großer Monumental- und Ausstattungsfilm des Weimarer Kinos produziert, wurde im Februar 1922 in Wien in den Eos Lichtspielen uraufgeführt. Gertrud Bodenwieser trat mit orientalischen Tanzstücken vor dem Film zur künstlerischen Einstimmung auf.
„Sehr stimmungsvoll war auch in den Eos-Lichtspielen die Einbegleitung durch die Tanzaufführung der trefflichen Gertrud Bodenwieser mit ihren orientalischen Tänzen. Der Film wird auf der Eos-Bühne bis zum Donnerstag gegeben und Frau Bodenwieser ist vor jeder Vorstellung mit ihrer Tanzproduktion zu sehen.“ (Feschalek 1922, 4)
Bodenwiesers Faszination galt schon ab den frühen 1920er Jahren der choreographischen Arbeit mit Gruppen, mit Ensembles tanzender, weiblicher* Körper, die häufig zu skulpturalen Formen verschmolzen. 1922 formulierte sie ihre künstlerische Vision, die sie mit den Bodenwieser-Tanzgruppen bald umsetzen sollte:„Der Zusammenschluss einiger Menschen, die der gleichen Richtung angehören zu einem Ensemble, das den Kunstkörper eines expressionistischen Balletts bilden könnte, wäre das nächste Ziel meiner künstlerischen Pläne.“ (Bodenwieser 1922, 11)
Die „Kongruenz von Musik und Tanz“, die Verschränkung von musikalischer Architektur und körperlichem Ausdruck wurde in den zeitgenössischen Berichten über Bodenwiesers Tanzstil immer wieder hervorgehoben. Sie selbst formulierte ihren künstlerischen Anspruch ganz wesentlich als Aufhebung der Körper/Geist Dichotomie unter Einbezug aller sinnlichen Erfahrungen. Tanz solle nicht nur unterhalten, nicht nur schöne Gefühle zeigen, sondern sich auch Dissonanzen, Konflikten, Frustrationen als Impulsen für das Denken stellen.
„The new dance...wishes to embrace all the human feelings, not only harmony, lightness and charm, but also passionate desire, immense favour, lust, domination, fear and frustration, dissonance and uproar. The new dance does not content itself with being enchanting and entertaining only; it wishes to be stirring, exciting, and thought-provoking.“ (Bodenwieser zitiert nach Cuckson 1976, 7)
Bodenwiesers Tanzstil war von dem Wunsch gekennzeichnet, Emotionen durch die Bewegung der Körper zur Musik auszudrücken und damit gleichzeitig intellektuell zu stimulieren. „Das Grundprinzip meines Schaffens ist“ formulierte Gertrud Bodenwieser 1925, „dass der Tanz ein Bekenntnis sein soll, ein letzter Ausdruck des eigenen Ichs“ (Bodenwieser 1925, 34) Ihr anspruchsvolles Tanzverständnis blieb nicht auf einen kleinen Kreis von künstlerischen Avantgardist*innen beschränkt. Die Nachfrage des Publikums gegenüber der neuen Tanzform des expressionistischen Ausdruckstanzes stieg. Langsam etablierten sich die Programme der „Tanzrevolutionärinnen“ auf den Bühnen der europäischen Metropolen, viele von ihnen gründeten, so wie Bodenwieser, eigene Tanzschulen.
In den 1920er Jahren wurde es auch in Wien Mode und zunehmend Teil der bürgerlichen Alltagskultur, die Töchter in die Tanzschulen der neuen Tanzstars des modernen Ausdruckstanzes zu schicken. Gleichzeitig wurden moderne, teils vom Jazz und von afroamerikanischen Tanzformen beeinflusste Show- und Gesellschaftstänze, wie der Charlston, auch in breiteren Gesellschaftsschichten zunehmend populär. Im Februar 1928 trat Josephine Baker in Wien in dem über 1000 Zuschauer*innen fassenden Johann Strauß Theater mit ihrem Revue-Programm auf, was massive rassistische und sexualisierende Kommentare in der printmedialen Öffentlichkeit auslöste (vgl. Horak 2000).
Ende der 1920er Jahre avancierte Tanz auch in Verbindung mit dem neuen Medium Film zunehmend zur Massenbewegung und Massenunterhaltung. Die Tanzfotografie nahm in Wien einen ungeheuren Aufschwung und es waren hauptsächlich Fotografinnen*, viele von ihnen jüdischer Herkunft, die zu den Pionier*innen des neuen Genres zählten, wie zum Beispiel Madame d’Ora, Trude Fleischmann, Beatrice Freyberger und Hedda Medina, oder auch die Ateliers Willinger und Löwy. (Holzer 2015) Die jungen Bildmedien Film und Fotografie wirkten als technisch-ästhetische Generatoren der Popularisierung des expressionistischen Bühnentanzes und seiner Stars.
Gertrud Bodenwieser und ihre Tanzgruppe wurden im Roten Wien der Zwischenkriegszeit spätestens Ende der 1920er Jahre zu Stars für ein Massenpublikum Sie tanzten im Kontext der Wiener Kommunalpolitik und im Umfeld der sozialdemokratisch verwalteten Stadtregierung: Viele Auftritte in der Volkshochschule Urania und an der Volkshochschule Ludo Hartmannplatz, etwa im Mai 1933 im Rahmen einer „Schlußfeier der Vormittagskurse für Arbeitslose“, sind dokumentiert. (vgl. Kleine Volkszeitung, 26. Mai 1933, Nr. 143, 8) Tanzgruppen, allen voran das Gertrud Bodenwieser-Ensemble, traten zu verschiedenen Großveranstaltungen in Wien, insbesondere bei den Festwochen am Rathausplatz, im Messepalast oder im Burggarten auf.
„Tänze vor 20 000 Zuschauern“, titelte die Tageszeitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, Das Kleine Blatt, einen Vorbericht über die Festwocheneröffnung am 29. Mai 1930. Demnach war Bodenwiesers Tanzensemble im Rahmen der Wiener Festwochen am Rathausplatz „bei freiem Eintritt“ für ein Massenpublikum zu sehen. (Das kleine Blatt, 29.5.1930, 6 ) Anfang Juni 1930 trat das Bodenwieser Tanzensemble bei der Festveranstaltung zur 8. Internationalen Generalversammlung des Internationalen Frauenbundes im Konzerthaussaal auf. Die britische Sozialreformerin und Feministin Lady Aberdeen war ebenso anwesend, wie Bürgermeister Seitz und 140 bunte Regenschirme, die vom Verband deutscher und österreichischer Schirmerzeuger für alle Teilnehmer*innen gesponsert wurden und aufgespannt am Podium des Veranstaltungssaals zu sehen gewesen waren. (Neue Freie Presse, 30.5.1930, 5) Das Zentralorgan des Bundes Österreichischer Frauenvereine, Die Österreicherin, warb für den Tanzabend im Konzerthaussaal: „Bearbeitung, Inszenierung und Choreographie von Gertrud Bodenwieser. Für Kongressteilnehmerinnen 25%“. (Die Österreicherin 1930, Nr.5, 14) Der Rabatt wurde Teilnehmer*innen des Internationalen Frauenkongresses angeboten. Diese Form der Kooperation ist als Indiz zu werten, dass Bodenwieser mit der bürgerlichen Frauenbewegung in Wien zusammenarbeitete und vernetzt war. Ebenfalls 1930 choreographierte Bodenwieser im Rahmen der Wiener Festwochen ein Tanzstück nach einem Text von Hans Sachs, dessen Titel sowohl auf Bodenwiesers eigene Biographie wie auch auf das Weltgeschehen vorauszuweisen scheint: Wer will Frau Wahrheit beherbergen? (Neue Freie Presse, 30.5.1930, 5)
Bodenwieser hat in den 1920er und 1930er Jahren offensichtlich sowohl das qualifizierte Fachpublikum wie auch ein großes, zeitgeistig am Tanz interessiertes Publikum erreicht. Sie war spätestens ab Mitte der 1920er Jahre in Wien eine anerkannte Künstlerin von „Ruf, Rang und Bedeutung“, so definierte das Biographisch-zeithistorische Lexikon der ‚Wiener Gesellschaft, das 1928 erstmals erschien, die Auswahl der dort porträtierten Personen. (Planer 1928, 1) 1928 wurde Gertrud Bodenwieser-Rosenthal als „Tanzkünstlerin“ in das Lexikon aufgenommen. (Planer 1928, 35) Mit ihrem Meisterstück Dämon Maschine (1924) sei ihr gelungen, den „Einfluss und die Auswirkung des modernen Maschinenprinzips tänzerisch darzustellen“ und den „seither oft kopierten ‚Arbeitstanz’ zu schaffen“. (Planer 1928, 35) Zwei Jahre vor dieser Würdigung, 1926, war ihr Text, Tanz auf der Sprechbühne in dem Sammelband, Tanz in dieser Zeit von Paul Stefan herausgegeben, neben Beiträgen von Hugo von Hofmannsthal, Mary Wigman, Béla Balázs u. a. erschienen. (Bodenwieser 1926, 148–150) Damit hatte sie sich nicht nur durch ihre Körperkunst sondern auch über das Medium Schrift in die Positionsbestimmungen der deutschsprachigen Tanzavantgarde eingeschrieben. Bodenwieser beteiligte sich nicht nur an den zeitgenössischen Diskursen über den Neuen Tanz, sondern war auch an der Historisierung ihrer Kunstform interessiert. So hielt sie am 16.2.1933 zum Beispiel im Radio einen halbstündigen Abend-Vortrag zum Thema 25 Jahre Wiener Kunsttanz. (Ilustrierte Kronen Zeitung, 15.2.1933, 2)
Signifikante Brüche und Bewegungen zeichnen sich in vielen biographischen Darstellungen zu Gertrud Bodenwieser ab.6 Die professionelle Tanzkarriere der jungen Avantgardistin im Wien der 1920er und 1930er Jahre, ihre Erfolge in der neuen Kunstbewegung Ausdruckstanz, die Gründung eigener Tanzgruppen und einer Tanzschule im Keller des Konzerthauses, ausgedehnte internationale Reisen und Tourneen ihrer Ensembles, die sie, nicht nur durch ganz Europa, sondern 1934 als erste europäische Gruppe bis nach Japan führte. (Salzer 1934,11). Dann der Bruch, die Vertreibung durch die Nationalsozialist*innen, Emigration und Flucht aus Wien zunächst nach Frankreich, dann über Bogotá nach Australien. Sie war „Dancemother“ für viele bedeutende Tänzer*innen, zuerst in Wien, nach 1945 in Australien. Ihr Unterricht in Sydney brachte einige der wichtigsten Choreograph*innen und Tänzer*innen Australiens hervor, darunter Anita Ardell, Keith Bain und Margaret Chapple. Bodenwieser wird immer wieder als Pädagogin und als Lehrende erinnert. Die Tradierung und Weiterentwicklung ihres Körper- und Bewegungswissens blieben vor und nach der Emigration auch für deren Schüler*innen außerordentlich wichtig.
Ich möchte nun auf ein kurzes Porträt Bezug nehmen, das noch zu ihren Lebzeiten in Wien erschienen ist und Gertrud Bodenwiesers Karriere als Lehrende an der Staatsakademie dokumentiert. In einer Sonder-Nummer der Kunstnachrichten, die als Festausgabe der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst anlässlich des Internationalen Musikwettbewerbs im Jahr 1937 erschien, wurde neben anderen Professor*innen der Staatsakademie auch Gertrud Bodenwieser porträtiert. (Kunstnachrichten 1937, 33–34) Der Text, der während des vierten Jahres der austrofaschistischen Ständediktatur in Wien erschien, kann als huldigende Berufsbiographie von Gertrud Bodenwieser bezeichnet werden. Sie wird als Pionierin dargestellt, der es gelang, Ausdrucksformen des neuen Tanzes und „geistige Strömungen der Zeit“ zu verbinden. Der Artikel betont die gründliche Ausbildung Bodenwiesers für ihren „nachmaligen Beruf als Tanzkünstlerin“, die Innovativität, das Revolutionäre ihrer Tanzkunst und die Begeisterung des Publikums, obwohl der neue Tanz noch umstritten war. Erwähnt wird die Einladung durch Max Reinhardt 1920 ans Kammerspielhaus nach Berlin. Das Porträt im Kontext der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst scheint von einem Tonfall der Anerkennung, Legitimierung, fast Verteidigung gekennzeichnet, der auch um mögliche Kritik und um die Schwierigkeiten in dem Karriereweg Bodenwiesers weiß. Zunächst habe sie am Neuen Wiener Konservatorium und an zwei staatlichen Erziehungsanstalten für Mädchen Gymnastik und künstlerischen Tanz unterrichtet.
„Endlich, im Jahre 1921 wurde ihr eine Berufung an die Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst zuteil. Diese Berufung war nicht nur für die Künstlerin, sondern auch für die Kunst, der sie sich weihte von der allergrößten Bedeutung. War es doch Frau Professor Bodenwieser durch diese Berufung als erste Tanzkünstlerin möglich geworden, den Tanz an einer staatlichen Kunstschule von hohem Ruf als ordentliches Hauptfach einzuführen!...Damit aber wurde die Tanzkunst gewissermaßen erst als gleichberechtigt legitimiert neben ihren großen Schwesterkünsten, der Musik und der Schauspielkunst, und ihre Würde als ernste und hohe Muse schien gesichert.“ (o. A. Kunstnachrichten 1937, 34)
An der Staatsakademie lag der Prozentsatz der weiblichen* Lehrenden 1910 bei 10% (wobei der Schülerinnen*-Anteil bei 53% lag), 1920 überstieg der Frauen*anteil der Lehrenden an der Staatsakademie erstmals die 20-Prozent-Marke. (vgl. Heller/Ingrisch 2017) Dem Tanz kam damit als neuem Fach eine besondere Bedeutung für die Etablierung von Frauen* als Lehrenden an der Staatsakademie zu.
Bodenwiesers Karriere an der Staatsakademie war also mit der Institutionalisierung des Faches „Künstlerischer Tanz“ ebendort verknüpft. Im Archiv der mdw finden sich Dokumente, die belegen, dass es durchaus ein schwieriger Prozess für Bodenwieser war, sich an der Staatsakademie zu etablieren. Ein Prozess, der auch immer wieder von befristeten Verträgen, finanziellen Verhandlungen und auch von Zugeständnissen von Seiten Bodenwiesers geprägt war, wenn sie etwa 1931 bei der Übernahme des Kurses „Künstlerischer Tanz“ vertraglich dazu verpflichtet wurde, die Klavierbegleitung ihrer Kurse selbst zu bezahlen.7
1920 wurde sie erstmals als Vertragslehrerin für „Mimik und Tanz“ für 19.500 Kronen jährlich angestellt. Noch im Jahr 1921 suchte sie um Aufhebung des Vertrages an der Opernschule zugunsten der Unterrichtserteilung an der Schauspielschule der Staatsakademie an, es wurde ihr eine jährliche Remuneration für zehn Wochenstunden von 36 000 Kronen gewährt. (mdw-Archiv, Personalakt Getrud Bodenwieser) Am 17.12.1928 erfolgte die Zuerkennung des Professorentitels 8. (ebd.) Gertrud Bodenwieser war damit die erste Professorin für Tanzkunst in Wien. Im Rahmen der sogenannten „Reorganisation“ kam es 1930/31 zur Kündigung, Bodenwieser wurde zu neuen finanziellen Bedingungen und weniger Stunden für das Fach „Künstlerischer Tanz“ wiedereingestellt. (mdw-Archiv, 64Res/1931 vom 16.6.1931) Bodenwiesers nahezu zwanzig jährige Berufs- und Anstellungsgeschichte an der Staatsakademie in Wien endete 1938 mit der Vertreibung der Pädagogin und Künstlerin Bodenwieser aus rassistischen Gründen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen im März 1938 schrieb Bodenwieser am 29.3.1938 einen Brief an die Leitung der Staatsakademie, in dem sie um Ausreisebefürwortung bittet, ja, fleht. Ebenfalls am 29.3.1938 legte Bodenwieser eine schriftliche Erklärung ab:
„Erklärung. Hiermit erkläre ich, dass ich meine Lehrstelle an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst niederlege und auf alle weiteren Bezüge von dem Tage meiner Ausreisemöglichkeit ins Ausland an, endgültig verzichte. Prof. Gertrud Bodenwieser“. (mdw-Archiv, 1424/1938 P Div.)
Am 30.3.1938 ersuchte sie um Beurlaubung mit Ende des Schuljahres, am 11.5.1938 bestätigte das Polizeipräsidium, dass die Ausreisegenehmigung erteilt wurde. (mdw-Archiv, 1533/1938 P Div, Bestätigung des Polizeipräsidiums (Passamt)) Bodenwieser erkannte die Situation und handelte schnell. Sie flüchtete vermutlich mit ihrem Ehemann, dem Theaterregisseur und Dramaturgen Friedrich Rosenthal, mit dem sie in den Anfangsjahren der Verbindung, 1923, am Volkstheater bei der Inszenierung Raimunds Der Verschwender auch zusammengearbeitet hatte, zunächst nach Frankreich. Mittels einer „rettenden“ Einladung des Bürgermeisters (Alcalde) von Bogotá, an den Festlichkeiten zur Vierhundertjahrfeier der Stadtgründung teilzunehmen, reiste sie mit sechs ihrer Tanzstudentinnen* und vermutlich auch mit ihrer Schwester Franziska sowie mit einigen anderen Wiener Kulturschaffenden (u. a. Hugo Wiener und Cissy Kraner) von Amsterdam mit dem Schiff Costa Rica drei Wochen lang über den Atlantik nach Bogotá. (Kaiser Bolbecher 2002, 3) Gemeinsam mit Shona Dunlop, einer Tänzerin aus ihrem Ensemble gelang es ihr schließlich nach fast einem Jahr von Kolumbien nach Neuseeland zu emigrieren. Friedrich Rosenthal blieb in Frankreich, er wurde 1939 in Marseille und Toulouse interniert und schließlich von der Gestapo in Corrèze verhaftet, wahrscheinlich bei dem Versuch, Gertrud Bodenwieser nach Kolumbien zu folgen. (Österreichisches Biographisches Lexikon, 1815–1950, Bd. 9 (Lfg. 43) 1986, 253–254) Nach dem 21. August 1942 wurde Friedrich Rosenthal in Auschwitz ermordet.
Gertrud Bodenwieser überlebte im Exil. Die Erfahrung von Exil und Verlust war von gegenderten Rollenanforderungen, von Alter und sozialer Herkunft der Geflüchteten geprägt, aber auch stark von den jeweiligen spezifischen Lebensbedingungen im Exilland. Bodenwieser war zum Zeitpunkt ihrer Flucht fast fünfzig Jahre alt und baute sich dennoch auf der anderen Seite der Erdkugel eine zweite, wieder erfolgreiche Karriere als Tanzlehrerin und Choreographin auf.
Aus dem Exil strengte sie ein Beamtenentschädigungsverfahren an. In diesem Zusammenhang fragte das Bundeskanzleramt 1956 bei der Akademie für Musik und darstellende Kunst nach, ob Bodenwieser am 13. März 1938 noch Kursleiterin gewesen sei, was die Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch wäre. 9 Im Antwortschreiben der Akademie an den Bundesminister, betreffend der Forderung nach Wiedergutmachungszahlungen für Gertrud Bodenwieser wurde auf den Verlust von jenen Dokumenten verwiesen, die die Entlassung Bodenwiesers dokumentieren hätten können. (vgl. Preis 2009, 20, 26)
„Die oben genannten Schriftstücke selbst sind während der Kampfhandlungen im Jahre 1945 abhanden gekommen. Somit ist aus der letzten Eintragung zwar zu ersehen, daß Frau Prof. Bodenwieser im April 1938 aus der Akademie ausgeschieden ist, über die Voraussetzungen hierfür ist hieramts aber nichts bekannt.“ (mdw-Archiv, Personalakt zitiert nach Preis 2009, 285)
Gertrud Bodenwieser, die die Wiener Tanzmoderne bis 1938 so wesentlich geprägt hatte, wurde von der Zweiten Republik weder finanziell entschädigt noch sind Versuche dokumentiert, Bodenwieser als Professorin an die Akademie zurückzuholen. Bodenwiesers Wunsch nach (Selbst)Historisierung hat sich nach der Vertreibung und Auslöschung der sehr oft aus dem jüdischen Bürgertum stammenden Akteur*innen der Wiener Tanzmoderne in Österreich erst sehr spät erfüllt. Erst 1979 erschien im Kontext einer Ausstellung des Theatermuseums, die das Exil perspektivierte, der erste publizierte deutschsprachige Beitrag zu Bodenwieser. (Bleier-Brody 1979, 53ff.) 1981 verfasste Gabriele Renner eine Dissertation über die Tänzerin. (Renner 1981) Seit den 1990er Jahren haben sich in Österreich insbesondere die Tanzhistorikerinnen Andrea Amort (Amort 2001, Amort/Wunderer-Gosch 2001) und Gunhild Oberzaucher-Schüller (Oberzaucher-Schüller 1996 und 1999) forschend und schreibend mit der Wiener Tanzmoderne und auch mit Gertrud Bodenwieser auseinandergesetzt. Damit werden auch differenzierte und nicht nur huldigende Lesarten zu Bodenwieser möglich. Eine umfassende, historisch-biographische Studie zu Bodenwiesers Jahren in Wien allerdings steht nach wie vor aus und bleibt ein Forschungsdesiderat.
Anders als die deutsche Tanz-Pionierin Mary Wigman und ihre Dresdner Schule oder Rudolf Laban, die bis heute als wegweisende Begründer*innen des modernen Ausdruckstanzes international sehr bekannt sind und die beide mit den Nationalsozialist*innen kooperierten bzw. sich arrangierten, blieben Gertrud Bodenwieser und die Wiener Tanzmoderne in Europa Jahrzehnte lang vergessen. Erst der Unterricht an Tanzausbildungsstätten Wiens im 21. Jahrhundert oder die Ausstellung des Wiener Theatermuseums Alles Tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne, 2019 von Andrea Amort kuratiert sowie aktuelle Forschungsprojekte trugen in den letzten Jahren zur historischen Aufarbeitung und Speicherung der Wiener Tanzmoderne bei.
Im Jahr 2016 wurde in Wien Donaustadt (Seestadt Aspern) eine Gasse nach Gertrud Bodenwieser benannt.
Als „Dancemother“ bezeichnete Carol Brown beim Impulstanzfestival 2018 Gertrud Bodenwieser, obwohl sie Bodenwiesers Tanzstil nur vermittelt durch deren Schülerin Shona Dunlop-MacTavish in Neuseeland kennengelernt hat. MacTavish war 1935–1938 Mitglied der Bodenwieser Tanzgruppe, sie floh 1938 gemeinsam mit ihrer Lehrerin aus Wien und arbeitete nach 1945 in Australien und Neuseeland weiterhin eng mit Bodenwieser zusammen. Sie verfasste als ihre Schülerin 1987 auch die erste Biographie über Bodenwieser. (Dunlop Mac-Tavish 1987) MacTavish wurde die „Grande Dame“ des Tanzes in Neuseeland. Gertrud Bodenwieser wurde in den Jahrzehnten nach ihrer Emigration neuerlich für viele Generationen junger, australischer Tänzer*innen zur gefeierten und geschätzten „Dancemother“. Aus vielen Dokumenten ihrer Schüler*innen spricht Dank und Anerkennung. Bodenwieser wurde verehrt und bewundert. (u. a.: Shona Dunlop MacTavish 1998) Ihr Unterricht wird mehrfach als einfühlsam und als Raum und Freiheit gebend erinnert. Magda Brunner-Lehenstein, die mit Bodenwieser 1938 von Amsterdam nach Bogotá flüchtete, erzählte 2008 in einem Interview mit der Journalistin Christina Höfferer, „Wir haben sie verehrt. Sie unterrichtete uns nicht mit Stock und Stecken, sondern sie hat uns unser Eigenleben gelassen, hat uns zur Improvisation ermutigt.“ (Höfferer 2008) „Frau Gerty“, wie sie auch in Australien von ihren Schüler*innen genannt wurde, wurde als „Lebenslehrerin“, als prägend und stilbildend für deren eigene Karriere beschrieben. (Vernon-Warren/Warren 1999, 71–173)
Schon in Wien wurde Gertrud Bodenwieser von ihren Ensemblemitgliedern und von vertrauten Schüler*innen „Frau Gerti“ genannt. In der umfangreichen Berichterstattung der Wiener Presse über die Japan-Reise der Tanzkünstlerinnen* 1934 wird Bodenwieser als ganzheitliche und wertgeschätzte Pädagogin sichtbar. So schrieb die Bodenwieser-Tänzerin Gerda Shall-Singer 1934 auf der Reise nach Japan aus der Transsibirischen Eisenbahn Briefe an ihre Verwandten, die in der Zeitung Der Tag im Rahmen eines großen Berichts zur Japan-Reise des Ensembles abgedruckt worden sind:
„Ihr wisst gar nicht, wie schwer es ist, aus diesem Zug zu schreiben und die Post auch wegzuschicken, denn niemand kann uns Auskunft geben, wie hoch die Briefe frankiert werden. Uns geht es ausgezeichnet, wir laufen den ganzen Tag im Trainingsanzug herum. Täglich wird eine Stunde geturnt und nachmittags haben wir eine Englisch-Stunde bei Frau Gerti (Frau Professor Bodenwieser)“ (o. A., Wien tanzt in Japan, in: Der Tag, 21.4.1934, 5)
Die Tanzgruppen, die unter Gertrud Bodenwiesers Leitung in Wien und international bis 1938 auftraten, tanzten, lebten und reisten zusammen, waren auf Tourneen oft wochenlang gemeinsam unterwegs, manchmal waren drei Bodenwieser Tanzgruppen gleichzeitig auf Tour. Sie arbeitete als Bewegungsregisseurin und Pädagogin mit vielen jüngeren Tänzer*innen zusammen und hat diese gefördert. In den Ensembles waren oft zehn bis fünfzehn junge Frauen*, die entweder Bodenwiesers private Tanzschule im Keller des Konzerthauses besuchten, die sie 1923 gegründet hatte, oder aber ihre Schülerinnen* an der Staatsakademie waren.
Bodenwieser war für den Großteil angehender Tanzkünstler*innen der 1920er und 1930er Jahre in Wien also die prägende Lehrende. Ihr Tanzstil formte die Wiener Tanzmoderne in den 1920er und 1930er Jahren nicht zuletzt durch ihre singuläre Stellung als Professorin für künstlerischen Tanz entscheidend mit. Bodenwieser setzte sich an der Staatsakademie nicht nur für die Etablierung des Faches Künstlerischer Tanz als Hauptfach ein, sondern engagierte sich an der Staatsakademie auch für die Einführung einer Reifeprüfung für die Absolvent*innen und erarbeitete zu diesem Zweck gemeinsam mit Grete Gross einen Lehrplan, der die humanistische Allgemeinbildung für Tänzer*innen sicherstellen sollte. (mdw-Archiv, 2888/1935, in: Sammelmappe Gross-Bodenwieser) Sie erkämpfte sich eine institutionelle Position an der Staatsakademie, die den künstlerischen Tanz dort in den 1920er Jahren als Fach erst etablierte und Bodenwieser damit zur Lehrerin und auch zur Ansprechperson für alle jungen Frauen* machte, die an der Staatsakademie in Wien künstlerischen Tanz studierten. Im Jänner 1930 war sie federführend an der Gründung einer Interessensvertretung der Wiener Tanzkünstler*innen beteiligt, und wurde zur ersten Präsidentin des Dachverbandes der Wiener Schulen für Künstlerischen Tanz gewählt, nahezu 45 Schulen schlossen sich an. Die Vereinigung forderte den Abschluss von Versicherungsverträgen für die Schüler*innen, Reiseermäßigungen bei der Bahn oder die Reduzierung der Lustbarkeitssteuer. Grete Wiesenthal war Vizepräsidentin, auch die Solotänzerin des Staatsopernballetts Hedy Pfundmayr war Mitglied des Vereinsvorstandes. (Der Montag, 20.1.1930, 4) Pfundmayr sollte auch während des Nationalsozialismus als Solomimikerin bis 1945 an der Wiener Staatsoper erfolgreich sein. Ihr Interesse am Ausdruckstanz und am neuen Medium Film, ihre lesbische Beziehung zu der Solotänzerin Tilly Losch und die Gründung der ‚erste Mannequinschule’ Wiens im Jahr 1949 machten Pfundmayr zu einer interessanten und widersprüchlichen Figur der Wiener Tanzkultur.
Die Tanzensembles der jungen Tanz-Avantgardist*innen ob in Wien, in Berlin, Dresden oder Paris sind als halbinstitutionelle, professionelle Frauen*gruppen zu beschreiben, die künstlerisch und wirtschaftlich oft selbstständig agierten. Die Lebensläufe und Tanzkarrieren Gertrud Bodenwiesers Schüler*innen, ihrer Ensemblemitglieder und Kolleg*innen an der Staatsakademie während und nach den Diktaturen 1934–1938 und 1938–1945 verliefen sehr unterschiedlich. Sie stehen paradigmatisch für die verschiedenen individuellen, ästhetischen, sozialen und ideologischen Handlungsspielräume der in Wien tätigen Tanz-Künstler*innen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Bodenwieser selbst hatte sich mit dem austrofaschistischen Regime arrangiert und konnte ihre Karriere als Lehrende an der Staatsakademie und als Künstlerin bis 1938 fortsetzen. Das galt nicht für alle ihrer Schüler*innen.
Gertrud Kraus studierte bei Bodenwieser ab 1923 künstlerischen Tanz und war auch kurz Mitglied der Bodenwieser Gruppe, bevor sie 1924 ihre Karriere als Solotänzerin begann. Ihre Chorographien waren politisch links und zionistisch orientiert. Dazu gehörten etwa Ghettolieder (M: Joseph Archron 1930) oder Die Stadt wartet (M: Marcel Rubin 1933). Gertrud Kraus emigrierte bereits zwei Jahre nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland, 1935, nach Tel Aviv und gründete ein Tanzstudio in Israel. (Oberzaucher-Schüller 2001)
Hilde Holger war Bodenwieser-Schülerin und ihre Assistentin an der Staatsakademie. Sie praktizierte von 1926 bis 1929 auch in der Tanzgruppe Bodenwieser, bevor sie ihre Solokarriere mit politischen Choreografien zum Beispiel im Kontext der Roten Hilfe Revuen begann. Holger gelang die Flucht erst 1939, zunächst nach Indien. Erst viele Jahre später emigrierte sie doch nach England, wo sie im Londoner Exil zur bedeutenden Pionierin von Health Dance und integrativer Tanzpädagogik avancierte. (vgl. Wolf Perez 1995) Der Großteil ihrer Familie wurde in den Konzentrationslagern ermordet.
Ruth Suschitzky, die jüngere Tochter der Sozialdemokratin und Tänzerin Olga Suschitzky, war ebenfalls Bodenwieser Schülerin. Die tanzenden Suschitzky Frauen waren, so die Tanzhistorikerin Oberzaucher-Schüller, wichtige Protagonistinnen* der Wiener Tanzmoderne, die als „Suschitzky-Ballett“ insbesondere für ihr soziales und politisches Profil im künstlerischen Tanz des Roten Wien bekannt waren.10 Die 1929 eröffnete Tanzschule Suschitzky, die, auch als politisches Zeichen am Südtiroler Platz in Wien Favoriten und nicht in der Innenstadt eröffnet worden war, war einer der ersten Bauaufträge des Architekten Victor Gruen (eigtl. Viktor Grünbaum), der später in der Emigration in den USA als „Erfinder“ der modernen Einkaufszentren berühmt werden sollte. (vgl. Gruen 2014) Ruth Suschitzky war, wie ihre Familie, gezwungen 1938 Wien zu verlassen, sie heiratete 1948 im Exil den Schriftsteller Robert Jungk und kehrte mit diesem 1957 nach Wien zurück.
Berta Komauer war Kollegin von Gertrud Bodenwieser. Anders als Ruth Suschitzky oder Hilde Holger, die wie der Großteil der Tanzavantgarde aus dem jüdischen Bürgertum stammten und spätesten ab 1938 zu den Verfolgten der Nationalsozialist*innen zählten, war Komauer eine Kollegin, die von der erzwungenen Emigration von Bodenwieser profitierte. In ihrem Bewerbungsschreiben vom 23.6.1938 heißt es:
„...Die Unterzeichnete, (Arierin) die bis zum Jahre 1926 an der Musikakademie als Lehrkraft für Rhythmische Gymnastik tätig war und infolge einer Differenz mit Frau Bodenwieser sich genötigt sah, um Entlassung anzusuchen – bittet – da Frau Bodenwieser nicht mehr tätig ist um Wiederanstellung an der Musikakademie“. (mdw-Archiv, 1422/1938 P2)
Komauer wurde noch 1938 an die Akademie aufgenommen und unterrichtete dort bis 1947. (spielmachtraum/ Berta_Komauer) Um welchen Konflikt mit Bodenwieser es im Jahr 1926 ging, als Bodenwieser sicherlich die einflussreichere und etabliertere Tanzkünstlerin war, ist nicht überliefert.
Auch Elinor Miedler-Ceranke Hofmann, eine Schülerin von Bodenwieser, die als von Bodenwieser privat bezahlte Assistentin an der Staatsakademie lehrte, versuchte von den neuen politischen Verhältnissen und der Vertreibung von Kolleg*innen aus rassistischen Gründen, zu profitieren. Elinor Miedler-Ceranke Hofmann brachte sich bereits am 21.3.1938 ins Spiel. In einem Schreiben an die Akademieleitung legte sie dar, dass sie seit 1925 als Assistentin von Prof. Bodenwieser tätig sei und diese während ihrer Auslandsreisen vertreten habe und sich nun um die Lehrstelle künstlerischer Tanz bewerbe. Der Bewerbung legte Sie ein Schreiben einiger Schüler*innen der Bodenwieserklasse 1938 vom 22.3.1938 bei:
„Da infolge der neuen Reformen die Möglichkeit besteht, dass Frau Bodenwieser nicht mehr den Tanzkurs der Staatsakademie leiten wird, erlauben wir uns gegebenenfalls als ihre Schülerinnen (durchwegs Arierinnen) an das verehrte Präsidium die Bitte zu stellen, dass den Akademiekurs die Assistentin von Frau Bodenwieser Frau Elinor Miedler Ceranke (Arierin) weiterführen darf“. (mdw-Archiv, 688/1938 P2)
Zwei Jahre vor ihrer Flucht aus Wien und drei Jahre nach der Machtübernahme Hitlers in Deutschland, 1936, inszenierte Gertrud Bodenwieser das Stück Die Masken des Luzifer, in dem Terror und Vernichtung symbolisch vorweggenommen erscheinen. Die Bewegungen, die Stimmen und Kostüme ihrer Tänzerinnen* brachten das Thema des Totalitarismus und Rassismus auf die Bühne.
„Prachtvoll, wenn die Bewegung plötzlich an den Schrei der Stimme appelliert und die tanzenden Parteien die aufpeitschenden Schlagworte ‘Rasse gegen Rasse’, ‘Masse gegen Masse’, ‘Klasse gegen Klasse’einander entgegen schleudern. Prachtvoll auch wie eine neue Menschengruppe immer wieder die alte überwältigt, ad infinitum, bis zuletzt Luzifer allen den Fuß auf den Nacken setzt“. (Der Wiener Tag, 21.6.1936, 11)
Das neue Bodenwieser Programm wurde im Konzerthaus aufgeführt und in der Tageszeitung Der Neue Tag hymnisch gefeiert. Der Tanzabend umfasste auch zwei sogenannte Naturstücke, Der Sonnenuntergang und das Wiegenlied der Mutter Erde sowie ein Stück, das die Beschwernisse körperlicher Arbeit thematisierte: Der Karren. Am Ende des Tanzabends stand das Stück die Masken des Luzifer. Diese Inszenierung des Schreckens bekam in Bodenwiesers Chorographie am Ende jedoch eine humorvolle Wendung: Zu sehen war, so der Bericht, die getanzte Überwältigung von Bestien durch einen Zirkusdirektor, dessen Erledigung durch eine kleine Tänzerin und schließlich deren Überwältigung durch eine winzige Maus. Die Masken des Luzifer (1936) war eine der wenigen, explizit politisch zu deutenden Choreographien von Gertrud Bodenwieser. Viele ihrer Stücke aber reflektierten seit den 1920er Jahren zeitgenössische kulturelle (Lebens)Formen und thematisierten Widersprüche und Herausforderungen der Moderne. Das Meisterwerk Dämon Maschine (1924) inszenierte die moderne Mechanisierung des Körpers als Gruppentanz. In Film ohne Leinwand oder Jazz Band wurden Formen der modernen Alltags- und Popularkultur des 20. Jahrhunderts tänzerisch reflektiert und ironisiert.
Tanz hat mit kultureller und politischer Repräsentation zu tun. Musik, Bewegung und tanzende Körper dienten politischen Machtinteressen sowohl in Form von höfischen Inszenierungen im 18. Jahrhundert, als klassischer Bühnentanz im 19. Jahrhundert oder als Choreographie der Massen im 20. Jahrhundert. Tanz als künstlerische Praxis fungierte aber auch immer wieder als kulturelle Form, in der sich Widerstand gegen ästhetische oder politische Hegemonien artikulierte. Tanz als populäre Praxis ist in Verbindung mit Musik zumeist mit dem Erleben von Gemeinschaft und Interaktion verknüpft. Tanzende Körper sind als gefühltes, gehörtes und sichtbares Kollektiv anrufbar. Das macht sie politisch.
Am Rande einer Demonstration Ende 2017 gegen den bevorstehenden Regierungsantritt mit FPÖ-Beteiligung sehe ich am Heldenplatz, vor dem Bundeskanzleramt, eine Gruppe junger Menschen um ein Transparent mit der Aufschrift „Auftanzen statt Aufgeben“ tanzen. Es gibt Initiator*innen der getanzten Bewegung und jene, die die Bewegung aufnehmen und zur Musik mittanzen, hüpfen oder im Stehen ihre Körper in Wellenform bewegen. Ich erfahre, dass das Antifaschistische Ballett tanzt und zum Mittanzen einlädt und zwar für ein „Gutes Leben für Alle“.
In einem großen Teil der Protestbewegungen seit 2011 (Occupy Wallstreet) haben tänzerische Protestformen und die Forderung nach Genuss, Spaß und Freude eine große Bedeutung bekommen. Es geht dabei nicht mehr so sehr um die Botschaft, „If I can’t dance to it, it is not my revolution“, wie sie in den 1970er Jahren der Feministin und Anarchistin Emma Goldman zugeschrieben und popularisiert wurde, als Aufruf zur Vereinbarkeit von Revolution und einem hedonistischen Anspruch. Es geht vielmehr darum, so schlägt der Politikwissenschafter Oliver Marchart vor, dass sich in der Bewegung des Tanzens bei den globalen Demonstrationen nach 2011 die Jouissance gegenwärtiger demokratischer Aktion selbst ausdrückt, also die Unmöglichkeit der Symbolisierung des Realen. (vgl. Marchart 2011, 56)
Aktuelle Protestformen kommen wahrscheinlich deshalb ohne diese Formen von Spaß, Genuss und Freude nicht aus, weil sie tanzend und genießend gegen eine politische Wirklichkeit opponieren, die ohne Alternative scheint
In TV-Berichten der öffentlich-rechtlichen, deutschen Sendeanstalten zirkulierten 2018 auch Bilder über eine explizit weiblich kodierte Protestform in Wien, die Omas gegen rechts. (ARD 5.8.2018) Die Fernsehbilder zeigten tanzende und singende, ältere Frauen mit bunten, selbstgestrickten Mützen, die den Spaß und das Genießen am gemeinsamen Protest inszenierten und erfahrbar machten. Die Omas gegen rechts benützen und verdrehen auf erfrischende Weise stereotype Vorstellungen von Geschichte und Politik, von Geschlecht und Generation. Tanz und Bewegung wurden dabei zur performativen Form des Ausdrucks von kollektivem Protest gegen Rassismus, Vertreibung und Ausgrenzung.
Gertrud Bodenwieser blieb auch nach ihrer Vertreibung aus Wien transgenerational mit vielen ihrer ebenfalls emigrierten Schüler*innen verbunden. Einige von diesen haben Bodenwiesers künstlerische Arbeit weitergegeben und erzwungene transkontinentale Lebenswege in verschriftlichte Erinnerungsbewegungen und in choreographische Reenactments übersetzt. Vor Kurzem wurde ein spätes Werk Gertrud Bodenwiesers aus ihren Wiener Jahren, Die Masken des Luzifer von 1936 in dem abstrahierten Zeitbild „Terror“ rekonstruiert, reanimiert und in Österreich gezeigt. In einer Kooperation der Tänzerin und Tanz-Professorin Rose Breuss und Ihren Studierenden an der Bruckner Privatuniversität Linz mit Johannes Marian und Karin Wagner von der mdw ist es gelungen, auf Grundlage verschriftlichter Bewegungen, gezeichneter räumlicher Anordnungen und Fotografien abstrahierte Bewegungsbilder von Bodenwiesers Tanzkunst der 1930er Jahre wieder auf die Bühne zu bringen und damit den heißen Atem der Geschichte in die Gegenwart einer aufgewühlten Jetzt-Zeit des 21. Jahrhunderts zu übersetzen.
Andrea Amort (Hg.) (2019), Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne, (Ausstellungskatlog zur gleichnamigen Ausstellung im Wiener Theatermuseum. 21.3.2019–10.2.2020). Wien
Andrea Amort (2018), Künstlerischer Tanz und Exil: Forschung und Sichtbarmachung in Österreich – Versuch einer Chronologie, in: Evelyn Adunka, Primavera Gruber, Simon Usaty (Hg.) Exilforschung: Österreich. Leistungen, Defizite & Perspektiven. Wien, 341–358
Andrea Amort, Mimi Wunderer-Gosch (Hg.) (2001), Österreich tanzt. Geschichte und Gegenwart. Wien
Monika Bernold (2019), Gertrud Bodenwieser: Tänzerin, Tanzlehrerin, Choreographin (Wien 1890–Sidney 1959), in: Theresa Adamski, Doreen Blake, Veronika Duma, Veronika Helfert, Michaela Neuwirth, Tim Rütten, Waltraud Schütz (Hg.) Geschlechtergeschichten vom Genuss. Zum 60. Geburtstag von Gabriella Hauch. Wien, 187–209
Agnes Bleier-Brody (1979), Gertrud Bodenwieser-Rosenthal und der Neue Tanz, in: Josef Mayerhöfer (Hg.),Tanz. 20. Jahrhundert in Wien. (Ausstellungskatalog Österreichisches Theatermuseum Wien). Wien
Gertrud Bodenwieser (1921–22), Vom wahrhaften neuen Tanz, in: Moderne Welt, 9, 1921–22, 11
Gertrud Bodenwieser (1925), Der Tanz des eigenen Ich, in: Die Bühne, 1925, 17, 34–35
Gertrud Bodenwieser (1926), Tanz auf der Sprechbühne, in: Paul Stefan (Hg.) Tanz in dieser Zeit, in: Musikblätter des Anbruchs MdA H.3–4/1926, 148–150
Gertrud Bodenwieser-Rosenthal (1928) in: Franz Planer (Hg.) Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte. Wien, 34–35
Gertrud Bodenwieser, Grete Gross (1935), Entwurf eines Lehrplanes für Schüler des Hauptfaches „Künstlerischer Tanz“ als Grundlage der Anforderungen für die Reifeprüfung. (mdw Archiv 2888/1935, in: Sammelmappe Gross-Bodenwieser)
Carol Brown [2001], Migration and Memory: The dances of Gertrud Bodenwieser, in: Dance Advance. New York https://static-cdn.edit.site/users-files/c102c2119...[15.12.2020]
Carol Brown (2018), Political Breathing. A practical philosophy for living relations. Opening Keynote 6 IDOCDE (International Documentation of Dance Education) Symposion “You are Here!”, 26. Juli 2018, Impulstanz Festival Vienna 2018, abstract https://findanexpert.unimelb.edu.au/scholarlywork/1417503-political-breathing--a-practical-philosophy-for-living-relations.-opening-keynote. [23.10.2020]
Marie Cuckson (Hg.) (1976), The New Dance. Vaucluse
Marie Cuckson and H. Reitterer [1993], „Bodenwieser, Gertrud (1890–1959)‟, in: Australian Dictionary of Biography, National Centre of Biography, Australian National University, http://adb.anu.edu.au/biography/bodenwieser-gertru... [15.12.2020], published first in hardcopy
Shona Dunlop MacTavish (1987), An Ecstasy of Purpose. The Life and Art of Gertrud Bodenwieser, Dunedin, N.Z.
Shona Dunlop MacTavish (1992), Gertrud Bodenwieser. Tänzerin, Choreografin, Pädagogin. Übersetzung ins Deutsche: Gabriele Haefs. Bremen
Shona Dunlop MacTavish (1998), Shona Dunlop MacTavish interviewed by Michelle Potter for the Keep dancing oral history project [sound recording]. National Library of Australia, https://nla.gov.au/nla.obj-217359599/listen
Josef Feschalek (1922), Das indische Grabmahl, in: Die Neue Zeitung, 28.2.1922, 4
Victor Gruen (2014), Shopping Town. Memoiren eines Stadtplaners. Hg. v, Anette Baldauf, Wien
Andrea Harrandt (2001), Art. „Bodenwieser (eig. Bondi), Gertrud‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_B/Bodenwie... [15.12.2020]
Florian Holzer (2015), Festgehaltene Bewegung, in: Wiener Zeitung, 20.12.2015, https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/reflexion... [15.12.2020]
Lynne Heller, Doris Ingrisch (2017), Erste Lehrerinnen, Professorinnen des Hauses, in: spielmachtraum. frauen* an der mdw 1817–2017ff. https://www.mdw.ac.at/spielmachtraum/artikel/erste... [15.12.2020]
https://www.diepresse.com/373050/ohne-stock-und-stecken [16.12.2020)]
Roman Horak (2000), Josephine Baker in Wien – oder doch nicht? Über die Wirksamkeit des ‚zeitlos Popularen‘, in: Ders., Wolfgang Maderthaner, Siegfried Mattl u. a. (Hg.), Metropole Wien. Texturen der Moderne, Wien,169–213
Siglinde Kaiser-Bolbecher (2002), Österreichische Emigration in Kolumbien. Österreichische Literatur im Exil. Salzburg, http://www.literaturepochen.at/exil/lecture*5040.p... [15.12.2020]
Primus-Heinz Kucher, Martina Pipp, Art. „Bodenwieser, Gertrud‟. https://litkult1920er.aau.at/litkult-lexikon/boden... [30.6.2020 ]
Ellie Lafite (1919), Tanzabend Gertrud Bodenwieser, in: Die Frau, H. 41, 21. Mai 1919, 5
Oliver Marchart (2011), Dancing Politics, Political Reflections on Choreography, Dance and Protest, in: Diaphanes net, 39–57 https://www.diaphanes.net/titel/dancing-politics-2126 [15.12.2020]
Sandra Meinzenbach (2009), Zwischen Zeitgschichte, Selbstbehauptung und Verneinung. Politische Gesten in den Chorografien Isadora Duncans. in: Veronika Darian (Hg.), Verhaltene Beredsamkeit. Politik, Pathos und Philosophie der Geste. Frankfurt a Main u. a.
o. A. (1937), Prof. Gertrud Bodenwieser, in: Kunstnachrichten. Information des Arts. Organ für Musik, Theater, Literatur, Kunst und Wissen, Sondernummer: Festausgabe der Staatsakademie und darstellende Kunst zum Internationalen Musikwettbewerb, redigiert von Ing. Karl Oeschler, o. O. [Wien], 33–34
Manfred Oberlechner (2009), Cilli Wang. In: Jewish Women: A Comprehensive Historical Encyclopedia. 27 February 2009. Jewish Women's Archive. https://jwa.org/encyclopedia/article/wang-cilli [16.12.2020]
Gundhild Oberzaucher-Schüller (1996), „Auch das Neue hat die Wienerische Note…“ Gertrud Bodenwieser – Exponentin des Ausdrucktanzes, in: Tanzdrama, 1. März 1996, 8–15
Gundhild Oberzaucher-Schüller (1999), A Driving Force towards the New. Bodenwieser - Exponent of Ausdruckstanz, in: Bettina Vernon-Warren, Charles Warren (Hg.): Gertrud Bodenwieser and Vienna's Contribution to Ausdruckstanz. Amsterdam u. a., 19–28
Gunhild Oberzaucher-Schüller (2001a), Art. „Godlewski, Carl Borromäus“, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_G/Godlewski_Carl.xml [13.08.2020]
Gunhild Oberzaucher-Schüller (2001b), Art. „Kraus, Gertrud‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_K/Kraus_Ge... [13.08.2020]
Gunhild Oberzaucher-Schüller (2017), Margarete Wallmann – Glamouröse Bewegungsmoderne http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichte... [14.10.2020]
Barbara Preis (2009), Weibliche Lehrkräfte und Schülerinnen der Reichshochschule für Musik in Wien 1938-1945. Studien-Berufsentwicklung-Emigration, phil. Dissertation. Wien
Gabriele Renner (1981), Gertrud Bodenwieser. Ihre Choreographische und didaktische Bedeutung für den freien Tanz, phil. Dissertation. Wien
Egon Michael Salzer (1934), Fünf Wienerinnen tanzen vor dem Mikado. Japantournee des Bodenwieser Ensembel. in: Neues Wiener Journal, 5.2.1934, 10–11
Alfred Sandt (1924), Tanz auf der Raumbühne, in: Wiener Morgenzeitung, 15.10.1924
Marina Sassenberg (2009), Gertrud Bodenwieser, in: Jewish Women. A Comprehensive Historical Encyclopedia. 27 February 2009. Jewish Women's Archive. https://jwa.org/encyclopedia/article/bodenwieser-g... [15.12.2020]
Bettina Vernon-Warren, Charles Warren (1999), Contributions and letters from former members of the Bodenwieser Ballett and Marie Cuckson, in: Dies. (Hg.), Gertrud Bodenwieser and Vienna's Contribution to Ausdruckstanz. Harwood Academic Publishers, Amsterdam u. a., 73–172
Edith Wolf Perez (1995), „Wer zu mir kommt wird berühmt“. Hilde Holger feiert am 18. Oktober ihren 90. Geburtstag, in: tanz.Affiche, Nr. 56, 8. Jg., 23–24 (leicht überarbeitete Fassung) http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichte...
Abb. 1: Gertrud Bodenwieser-Ensemble bei der Ausstellung „Frau und Kind“, 1928, Messepalast Wien, Foto: Atelier Willinger. Quelle: KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien, Zitierlink: www.theatermuseum.at/de/object/fec210a38a/
Abb. 2: Ausdruckspose Gertrud Bodenwieser, Foto: Beatrice Freyberger um 1920. Quelle: KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien, Zitierlink: https://www.theatermuseum.at/onlinesammlung/detail/965767/?offset=0&lv=list
Abb. 3: „Dancing Sculpture‟ Carol Brown, Foto: Gregory Lorenzutti 2017. Quelle:
https://carolbrowndances.com/projects/dancingsculpture/
Abb. 4: „Dämon Maschine“, Choreographie: Gertrud Bodenwieser mit
Tanzgruppe, Foto: Madame d’Ora/Atelier d’Ora 11.5.1936. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rec/baa20650241
Abb. 5: Reenactment der Choreographie „Dämon Maschine“ getanzt von Studierenden des Victorian College of Arts, University of Melbourne, Foto: Gregory Lorenzutti 2017. Quelle: https://carolbrowndances.com/projects/dancingsculpture/
Abb. 6: Reenactment der Choreographie „Dämon Maschine“ getanzt von Studierenden des Victorian College of Arts, University of Melbourne, Foto: Gregory Lorenzutti 2017. Quelle: https://carolbrowndances.com/projects/dancingsculpture/
Abb. 7: Cover von Patricia Grayburn (Hg.), „Gertrud Bodenwieser. 1890–1959. A celebratory monograph on the 100th anniversary of her birth“. London 1990
Abb. 8: Gertrud Bodenwieser, Tanzpose, Foto: Franz Löwy um 1920. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: i http://data.onb.ac.at/rec/baa8076085
Abb. 9: „Dämon Maschine“, Choreographie: Gertrud Bodenwieser mit Tanzgruppe, Foto: Madame d’Ora/Atelier d’Ora 11.5.1936. Quelle: https://hauntedbystorytelling.tumblr.com/
Abb. 10: Gertrud Bodenwieser in „Kubistischer Tanz“, Foto: J. B. Zimbler 1923. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gertrud_Bodenwieser_in_%E2%80%9EKubistischer_Tanz%E2%80%9C,_Wien_1923._Foto_J._B._Zimbler.jpg Public domain, via Wikimedia Commons
Abb. 11: Gertrud Bodenwieser in Tanzpose „Slawischer Tanz“, Foto: Atelier d’Ora-Benda 12.3.1928. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rec/baa306655
Abb. 12: „Der Tanz mit den goldenen Scheiben“, Foto: Atelier d’Ora-Benda 8.2.1935. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rec/baa306844
Abb. 13: Bodenwieser-Tanzensemble „Wiegenlied der Mutter Erde“, abgebildete Personen; Irma Herrmann, Emmi Steininger, Lisa Allen, Foto: Atelier d’Ora-Benda 1936. Quelle: Theatermuseum, Zitierlink: https://www.theatermuseum.at/onlinesammlung/detail/315743/
Abb. 14: „Die Schwebenden“, Die Tänzerin und Choreographin Gertrud Bodenwieser mit einer zweiten Tänzerin, Foto: Atelier d’Ora-Benda 24.9.1931. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rec/baa307281
Abb. 15: Bodenwieser-Gruppe „Jazzbandparodie“, Foto: Atelier Willinger, Wien 1930. Quelle: Theatermuseum Wien, Zitierlink: www.theatermuseum.at/de/object/fa674aad18/
Abb. 16: Tänze vor dem Wiener Rathaus „Schuberttänze“, Foto: Atelier Willinger, Wien 11.6.1928. Quelle: Theatermuseum Wien, Zitierlink: www.theatermuseum.at/de/object/e15748eb4f/
Abb. 17: Gertrud Bodenwieser-Ensemble bei der Ausstellung „Frau und Kind“, Messepalast Wien 1928, Foto: Atelier Willinger, Wien. Quelle: Theatermuseum Wien, Zitierlink: www.theatermuseum.at/de/object/fec210a38a/
Abb. 18: „Gertrud Bodenwieser spricht am Donnerstag, 16. Februar, über den Wiener Kunsttanz Aufn. Feldscharek“, Foto zur Ankündigung in: Radio Wien 1933, 9. Jahrg., Heft 20, 28. Quelle: ANNO Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften, https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=raw&datum=19330210&seite=30&zoom=33
Abb. 19: Schreiben an Gertrud Bodenwieser vom 1.6.1961, Betreff: Prof. Gertrude Bodenwieser, Abhaltung von Kursen für Künstl. Tanz, Seite 1. Quelle: mdw-Archiv, 51 Res/1931
Abb. 20: Schreiben an Gertrud Bodenwieser vom 1.6.1961, Betreff: Prof. Gertrude Bodenwieser, Abhaltung von Kursen für Künstl. Tanz, Seite 2. Quelle: mdw-Archiv, 51 Res/1931
Abb. 21: sogenannte Abbauliste (Seite 1): Anlage 7 zum Schreiben der Leitung der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst vom 19.5.1938 an das Österr. Unterrichtsministerium. Quelle: mdw-Archiv, 94/Res/1938
Abb. 22: Am 29.3.1938 schreibt Gertrud Bodenwieser eine Erklärung, dass sie die Lehrstelle an der Staatsakademie zurücklegt und auf alle weiteren Bezüge verzichtet. Quelle: mdw-Archiv, 1424/1938 P-Div
Abb. 23: Gemeinsam mit der Erklärung (vgl. Abb. 21) ergeht am 29.3.1938 folgendes Schreiben von Gertrud Bodenwieser an den Präsidenten der Staatsakademie. Quelle: mdw-Archiv, 1424/1938 P-Div
Abb. 24: „Bodenwieser Viennese Ballet“ im Minerva Theatre in Sydney. Quelle: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/2307-enter-achilles-eine-weitere-facette-der-wiener-tanzmoderne
Abb. 25: Gertrud Bodenwieser Gasse, Seestadt Aspern, Wien, Foto: Birgit Huebener 2020
Abb. 26: Die Tänzerin Gertrud Bodenwieser, o. J. Quelle: https://jwa.org/encyclopedia/article/bodenwieser-gertrud
Abb. 27: „Sonnenuntergang“, Gertrud Bodenwieser-Tanzgruppe, Foto: Atelier d’Ora-Benda 11.5.1936. Quelle: ÖNB Bildarchiv und Grafiksammlung, Zitierlink: http://data.onb.ac.at/rec/baa10003594
Abb. 28: Gertrud Kraus in „Der müde Tod“, Foto: Franz Salmhofer, Wien 1928. in: Giora Manor (Hg.), „Gertrud Kraus“, Sifriat Poalim & The Dance Library of Israel, Tel Aviv 1988, Quelle: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/1646-das-ererbte-koerpergepaeck-des-simon-wachsmuth
Abb. 29: Hilde Holger, Foto: Josef Anton Trčka 1926 Quelle: Public domain, via Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Trcka_Holger_3.jpeg
Abb. 30: Tanzgruppe Suschitzky, um 1927 (1. Reihe, 2. von links: Ruth Suschitzky). Foto: Weitzmann. In: Rudolf Lämmel, „Der Moderne Tanz“, Oestergaard, Berlin o. J. Quelle: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichten/1692-beim-suedtirolerplatz-das-wirken-der-suschitzky-frauen-i-2
Abb. 31: Berta Komauer, Foto: Franz Löwy 1924 Quelle: https://pd.republicdomain.net/index.php?year=1949&author=8695&work=1533
Abb. 32: Mimo-Plastische Improvisationen (Cilli Wang, Ernst Ceiss), 1927, Foto: Anton Josef Trčka. Quelle: https://www.mutualart.com/Artwork/MIMO-PLASTISCHE-IMPROVISATIONEN--CILLI-W/186F2A4E0915A705
Abb. 33: Demonstration 2017 Ballhausplatz, Wien, Foto: Monika Bernold
1
Der Beitrag ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung des im Mandelbaum-Verlag 2019 erschienenen Textes der Autorin: Tanz-Genuss und Zeitgeschichte. Gertrud Bodenwieser: Tänzerin, Tanzlehrerin, Choreographin (Wien 1890 —Sidney 1959), in: Theresa Adamski, Doreen Blake, Veronika Duma, Veronika Helfert, Michaela Neuwirth, Tim Rütten, Waltraud Schütz (Hg.), Geschlechtergeschichten vom Genuss. Zum 60. Geburtstag von Gabriella Hauch. Wien 2019, 187–209.
Ich danke Severin Matiasovits und Erwin Strouhal, mdw-Archiv für Ihre Unterstützung und Birgit Huebener für die umsichtige redaktionelle Betreuung des vorliegenden Beitrags.
2
In Wien verkörperte sich der Konflikt zwischen Tanzmoderne und klassischem Tanz des 19. Jahrhunderts zum Beispiel in der Person Margarete Wallmann, die trotz ihrer Ausflüge zum Ausdruckstanz in den 1920er Jahren, 1934 erste Ballettmeisterin an der Wiener Staatsoper wurde. Als Jüdin wurde sie im März 1938 aus rassistischen Gründen ‚beurlaubt’, „...überliefert ist jedoch auch ein Aufstand des Wiener Ballettensembles gegen sie. Sosehr dieses klassische Ensemble tanzästhetisch gesehen auch in sich gespalten war – hier diejenigen, die der Tanzmoderne eher aufgeschlossen begegneten, dort die, die dem 19. Jahrhundert anhangen, so einig war man sich, wenn es gegen ,Fremde‘ ging.“ Vgl. Gunhild Oberzaucher-Schüller, Margarete Wallmann – Glamouröse Bewegungsmoderne, 27.4.2017, URL: http://www.tanz.at/index.php/wiener-tanzgeschichte...
3
1897 etwa formierte sich in Wien die Vereinigung bildender Künstler Österreichs – Wiener Secession,1910 wurde ebenfalls in Wien die Vereinigung Bildender Künstlerinnen Österreich gegründet. Andererseits entwickelte sich seit der Jahrhundertwende auch die Freikörperkultur (FKK), als Reformbewegung für einen Lebensstil, der auf die Befreiung von den Zwängen der bürgerlichen Etikette und den Zurichtungen industrialisierter Arbeitsverhältnisse im naturverbundenen Nacktsein der Körper gerichtet war.
4
Die sogenannte Frauen*Frage war in vielen Ländern der industrialisierten Welt spätestens seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts virulent geworden. Nach langen Kämpfen konnten Frauen* zum Beispiel an der Universität Wien erst ab 1900 Medizin und Pharmazie studieren. Zum Jusstudium wurden sie 1919 zugelassen, die Akademie der Bildenden Künste wurde erst ab 1920 für Frauen* geöffnet. Im November 1918, mit der Republiksgründung, wurde hierzulande endlich das Stimmrecht ohne Unterschied des Geschlechts eingeführt.
5
Danke an Kerstin Kussmaul, Choreographin, Tanzpädagogin und Myoreflex*Dozentin, die das Symposion in Wien mitorganisierte und ihre PHD Tensegric embodiment. Myofascia in movement and touch bei Carol Brown an der University of Auckland abgeschlossen hat. Ich habe von Kerstin sehr viel über meinen Körper und über Bewegungsgeschichte/n erfahren. Zum Symposion: http://www.idocde.net/pages/138
6
Vgl u.a. die Einträge zu Gertrud Bodenwieser im Jewish Women's Archive: Marina Sassenberg, Gertrd Bodenwieser, in: Welcome to the Jewish Women’s Archive!. URL: https://jwa.org/aboutjwa [abgerufen 19.7. 2018]; im Austria Wiki des 2007 gegründeten Informationsportales AustriaForum: URL: https://austria-forum.org/af/AustriaWiki/Gertrud*Bodenwieser, [abgerufen 7.7.2018], den Eintrag im Österreichischen Musiklexikon: Andrea Harrandt, „Bodenwieser (eig. Bondi), Gertrud‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, URL: https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik*B/Bodenwieser*Gertrud.xml, [abgerufen 7.8.2018] , in biografiA. Lexikon österreichischer Frauen Herausgegeben von: Ilse Korotin. 2016, Bd.1, oder auf der 2011 realisierten virtuellen Plattform spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017, URL: https://www.mdw.ac.at/spielmachtraum/bio/Gertrud_Bodenwieser 7.8.2018]
7
Schreiben Wieners vom 1.6.1931 an Gertrud Bodenwieser,“...zu meinem Bedauern mußte ich mit Bescheid 44/Res vom 27.5. ihren Dienstvertrag mit 28.2.1932 kündigen (....) da mir aber daran liegt, Ihr von mir geschätztes künstlerisches und pädagogisches Können auch weiterhin in irgend einer Form der Akademie zu sichern, lade ich Sie ein vom Beginn des kommenden Studienjahres ebenso wie Frau Grete Gross einen in 3 Jahrgängen à 3 Wochenstunden abzuhaltenden Kurs für künstlerischen Tanz unter folgenden Bedingungen abzuhalten: (…) Das Kursgeld beträgt einheitlich für den Kurs S 100 pro Semester und ist an der Akademiekasse einzuzahlen. Hievon erhalten Sie als Anteil am Schulgeld für die regelmäßige Abhaltung der Kurse und die Beistellung einer von Ihnen zu zahlenden Klavierbegleiterin 80% des von den Schülern eingezahlten Schulgeldes (...)” (mdw-Archiv, 51 Res/1931).
8
Dieser Professorentitel wurde ab der Verstaatlichung der Akademie 1909 ausgewählten Lehrenden verliehen.
9 „1934 wurde ihr ein mehrmonatiger Urlaub zur Durchführung einer Tournee nach Japan bewilligt. Es wäre zu klären, ob Prof. Gertrud Rosenthal nach Absolvierung dieser Tournee die Leitung der Kurse wieder übernommen hat und auch am 13. März 1938 Kursleiterin war.“ (mdw-Archiv, Personalakt, Abschrift: Republik Österreich Bundeskanzleramt /Z.95.325-4BE/55 Rosenthal Gertrud, Professor Beamtenentschädigung).
10
Am 15. Mai 1925 ist sie unter den Mitwirkenden eines Tanzabends der Schule Gertrud Bodenwieser in der Urania zu sehen, im selben Jahr an der Seite von Stella Mann und Trudl Dubsky am Wiener Bürgertheater in Tänzen von Bodenwieser
Monika Bernold, Artikel „‘der heiße atem unserer aufgewühlten zeit’ – gertrud bodenwieser, tanzkünstlerin in wien bis 1938“,
in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.
| zuletzt bearbeitet: 12.08.21